Für mehr Produktivität Spanien will die Arbeitszeit drosseln

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Neue Zeitrechnung?

So denkt Spanien über Europa
Im Internet waren die satirischen Landkarten des bulgarischen Designers Yanko Tsvetkov schon lange ein Renner. Er zeichnete jeweils den Blick verschiedener Gruppen oder Nationalitäten auf Europa und die Welt, in dem er die Namen der jeweiligen Länder durch Klischees ersetzte, die am häufigsten mit diesen Ländern assoziiert werden. Mittlerweile gibt es die Landkarten auch gebunden, als "Atlas der Vorurteile", erschienen im Knesebeck-Verlag. Auf 80 Seiten stellt der Designer dar, wie die verschiedenen Nationalitäten ihre Nachbarn wahrnehmen. Auch den Spaniern widmet Tsvetkov eine ganze Seite. Und die lassen kein Gutes Haar an ihren Nachbarn - nicht mal an den weiter entfernten. So stehen beispielsweise "verheiratete Priester" für Russland, Estland, Lettland und Litauen werden zum "Russischen Galizien" und Weißrussland zum "Russischen Franco". Ebenfalls wenig schmeichelhaft: Die Ukrainer sind aus Sicht der Spanier "Radioaktive Nannys". Quelle: Screenshot
Ähnlich charmant ist die spanische Sicht auf Rumänien: Wegen der vielen Alten- und Krankenpfleger, die von dort kommen und in anderen europäischen Ländern Arbeit suchen, ist Rumänien in der spanischen Europasicht schlicht das Land der Windelwechsler. Quelle: dpa
Sich selbst sehen die Spanier übrigens als "Café para todos" - also als Café oder beliebten Treffpunkt für alle anderen Europäer. Was ja auch nicht falsch ist. Quelle: dpa
Bei vielen Iren mag die spanische Einordnung als "Rotschöpfe" ja stimmen. Alle Briten unter "kotzende Touristen" zusammenzufassen, tut dagegen sicher sehr vielen Unrecht. Quelle: dpa
Die Türkei kommt mit "östliches Marokko" eigentlich noch recht gut weg. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Deutschland dagegen hat - Sparpolitik & Co. sei Dank - gar keinen guten Stand bei den Spaniern. Wegen der deutschen Rolle in der Euro-Krise wird Deutschland auf der Landkarte, die Spaniens Europasicht verdeutlichen soll, "Cruella de Merkel" genannt. Quelle: dpa
Schöne Strände, gute Küche und guten Wein haben die Spanier selbst. Was fällt ihnen darüber hinaus zu Italien ein? Auf der spanischen Seite im Atlas der Vorurteile steht statt Italien "Muttersöhnchen". Griechenland bekommt dagegen den Beinamen "schlechtes Olivenöl". Auch nicht nett. Quelle: AP

Nach dem 2. Weltkrieg wurde diese Umstellung nicht wieder rückgängig gemacht. Für den Tourismus war es eine gute Entscheidung. Es ist länger hell, Licht gibt es im Durchschnitt 15 Stunden am Tag. Aber für den Rest der Wirtschaft ist die Sonne und der nach hinten geschobene Zeitplan eher schlecht. Kritisiert werden von Unternehmensberatern wie Ignacio de Benito vor allem die langen und späten Essen: “Das kostet viel Geld, es geht auf die Gesundheit und es ist unmöglich, danach noch weiter zu arbeiten. Man wird müde. Es gibt viele Geschäftsleute, die trinken eine halbe Flasche Wein zu Mittag und dann noch einen Schnaps zur Verdauung.”

Für Ignacio Buqueras ist das Thema Arbeitszeiten schon seit langem ein Hauptgrund für die mangelnde Produktivität in vielen spanischen Firmen. Er leitet eine Organisation sowie eine nationale Kommission, welche Lobbyarbeit macht, um den Kulturwandel im eigenen Land durchzudrücken. Er setzt auf De Guindos und die negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise: “Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um eine Mehrheit für eine Änderung der Arbeitszeiten zu erzielen und ein neues Zeitverständnis. Wir vergeuden Zeit. Sie hat keinen Wert wie in anderen Ländern.” Man lasse Geschäftspartner warten und liefere nicht wie abgemacht. Noch schlimmer: Immer mehr spanische Firmen halten Zahlungstermine nicht ein: “Und weil wir uns nicht richtig organisieren, haben wir zudem keine Zeit für unsere Familie.”

Produktivität contra Lebensfreude

Aber ein Wandel in der spanischen Arbeitswelt ist nicht einfach, glaubt der Leiter einer Lotto-Geschäftsstelle in Madrid, Rafael Martinez: “Die meisten arbeiten in Spanien, um zu leben. Wir messen dem sozialen Kontakt viel mehr Bedeutung bei als der Karriere. Im Norden Europas lebt man dagegen, um zu arbeiten. Man versucht, möglichst effektiv zu sein, um weiterzukommen. Hier bei uns vermischt sich alles. Zudem können sich die meisten nicht mit ihrer Arbeit identifizieren und strengen sich deswegen nicht an.”

Aber würde man nicht auch an Lebensqualität verlieren, wenn man auf einmal viel produktiver und effizienter wäre? Würde Spanien, wenn es wie Nordeuropa tickt, noch attraktiv sein für die vielen Ausländer, die ihren Lebensschwerpunkt ans Meer verlagern und die für den Tourismus und Immobilienmarkt wichtig sind? Diese Fragen stellt sich der Internist José Luis Gómez Gil seit langem: “Der soziale Austausch am Arbeitsplatz macht die Atmosphäre lockerer, er reduziert den Stress. Die Kaffeepause und das gute Essen helfen den Tag besser zu bewältigen. Das alles ist gut für die Gesundheit.” Für den Arzt aus Galizien ist klar: “Wenn wir etwas ändern an unserer Arbeitskultur, dann sollten wir es so machen, wie es zu uns passt, und uns nicht nach deutschen oder englischen Mustern richten. Wir haben nicht umsonst die längste Lebenserwartung in Europa. Das hat auch mit Lebensfreude zu tun.”

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