G7 und Münchner Sicherheitskonferenz Streicheleinheiten für die transatlantische Seele

In Berlin wartet man seit dem Wahlsieg des Demokraten Joe Biden Anfang November ungeduldig darauf, endlich loslegen zu können mit dem Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen. Quelle: imago images

Vier Jahre Trump haben das transatlantische Bündnis ziemlich ramponiert. Jetzt geht es an die Reparaturarbeiten. Beim G7-Gipfel und der Münchner Sicherheitskonferenz rückten die Bündnispartner wieder näher zueinander.

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Joe Biden hält sich nicht lang mit Umschweifen auf. „Amerika ist zurück. Die transatlantische Allianz ist zurück“, sagt der neue US-Präsident am Freitag gleich zu Beginn seiner Video-Ansprache bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Nach vier Jahren Donald Trump streckt er die Hand aus an die europäischen Partner, die sein Vorgänger so oft und so heftig vor den Kopf gestoßen hat. Bidens Botschaft: Die USA seien wieder da, als verlässlicher Partner, als Verfechter internationaler Zusammenarbeit. Das verkündet er nicht nur in Worten, sondern verpackt es auch in erste Taten. Sein Signal neuer Kooperation des Westens verbindet Biden aber zugleich mit einer harten Ansage an Russland und China.

Biden hat die Münchner Sicherheitskonferenz ausgesucht, um sich erstmals seit seinem Amtsantritt direkt an die europäischen Partner zu richten. Er ist als erster US-Präsident bei der Expertentagung. In anderen Funktionen war Biden schon häufig dort – erstmals vor mehr als 40 Jahren als US-Senator, später als US-Vizepräsident unter Barack Obama. Zuletzt war Biden 2019 in München. Damals grenzte er sich vehement von Trumps Politik ab, bezeichnete diese in Teilen als „peinlich“ und versprach: „Auch das geht vorbei. Wir kommen zurück.“ Nun sei es soweit, sagt Biden am Freitag: „Ich stehe zu meinem Wort.“

Seine Video-Ansprache aus dem Weißen Haus ist eine Streicheleinheit für die transatlantische Seele. Biden verspricht enge Zusammenarbeit mit den Europäern, betont sein unverbrüchliches Bekenntnis zur Nato, lobt sogar dezent Europas „wachsende“ Verteidigungsausgaben – unter Trump ein Dauer-Streitthema. Die Auseinandersetzung über die Gaspipeline Nord Stream 2, die auch er eigentlich scharf kritisiert, erwähnt er bei der Rede nicht. Stattdessen betont er die Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Europa, die geteilten Werte, die vereinte Kraft, das Potenzial der Beziehungen.

von Max Haerder, Maxim Kireev, Christian Ramthun, Silke Wettach, Lukas Zdrzalek

Trump hatte das Verhältnis zwischen den USA und Europa in seiner Amtszeit schwer ramponiert: Er kündigte internationale Verträge, machte den Vorteil des eigenen Landes zur Maxime und verprellte Verbündete durch Alleingänge aller Art reihenweise. Mehrfach weckte Trump auch Zweifel daran, ob die USA im Ernstfall ihrer Nato-Verpflichtung zum militärischen Beistand nachkommen würden und drohte sogar mit dem Austritt aus dem Bündnis.

„Die vergangenen vier Jahre waren hart“, sagt Biden mit Blick auf die Volten seines Vorgängers. Er beschwört dagegen, die Demokratien müssten zusammenstehen. Die Welt sei an einem „Wendepunkt“, die Demokratie stehe an vielen Orten unter Beschuss, auch in Europa und den Vereinigten Staaten. Die USA und Europa müssten sich gemeinsam autokratischen Mächten entgegenstellen. Russland versuche, westliche Demokratien zu untergraben, China greife wirtschaftlich an. Dagegen müsse das transatlantische Bündnis gemeinsam angehen.

Der Westen gegen den Osten? Biden weist solche Assoziationen schnell zurück. Es gehe nicht darum, den Kalten Krieg wieder aufleben zu lassen. Auch müsse und werde es mit China und Russland Zusammenarbeit geben. Aber Provokationen dürften nicht hingenommen werden.

Bidens verbale Kooperationsschwüre werden begleitet von konkreten Taten: Beim G7-Gipfel am Freitag einigen sich die führenden westlichen Industrienationen auf Milliardenhilfen für die Corona-Impfkampagne in armen Ländern und setzen damit ein Zeichen, dass sie bei dieser globalen Krise, die alle angeht, nun auch wirklich an einem Strang ziehen. Biden sagt insgesamt rund vier Milliarden Dollar für die Covax-Initiative zu, der sich die USA erst unter ihm anschlossen. Trump hatte sich hier gesperrt.



Der US-Präsident kündigt auch an, die Vereinigten Staaten seien zu neuen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm bereit. Das internationale Atomabkommen mit dem Iran war in den vergangenen vier Jahren eines der Hauptstreitthemen zwischen den USA und den Europäern. Trump war aus dem Abkommen ausgestiegen und wollte Teheran mit möglichst harten Sanktionen dazu bringen, seine Einmischung in regionale Konflikte wie Jemen, Syrien oder Libanon zu beenden. Die Europäer setzten dagegen auf Gespräche auf der Grundlage des bestehenden Abkommens. Jetzt will auch die Biden-Regierung auf den Pfad der Diplomatie zurückkehren, was von der Bundesregierung schon als ein erster Durchbruch gewertet wird – auch wenn noch sehr dicke Bretter zu bohren sind.

Mit Tagesanbruch am Freitag an der US-Ostküste kehrten die USA auch offiziell in das UN-Klimaabkommen zurück, von dem Trump sich losgesagt hatte. Ein weiterer großer Streitpunkt mit den europäischen Verbündeten ist damit Geschichte. Die USA melden sich in dem vielleicht wichtigsten internationalen Abkommen zurück, das in den vergangenen Jahrzehnten abgeschlossen wurde.

In Berlin wartet man schon seit Bidens Wahlsieg Anfang November ungeduldig darauf, endlich loslegen zu können mit dem Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen. Kanzlerin Angela Merkel nimmt Bidens ausgestreckte Hand sofort an. „Deutschland steht für ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft bereit“, sagt sie am Freitag bei ihrem Videoauftritt bei Münchner Sicherheitskonferenz. Merkel betont: „Es gibt sehr viel zu tun.“

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Von der Wertebasis und der Überzeugung, dass die Demokratie handlungsfähig sei, „haben wir ein breites, gutes gemeinsames Fundament“, sagt die Kanzlerin. Anders als Biden spricht sie aber auch an, dass es nicht nur alles harmonisch laufen dürfte zwischen beiden Seiten des Atlantiks. „Das wird nicht immer Interessengleichheit sein. Ich mache mir darüber keine Illusionen.“ Man müsse auch offen über Differenzen sprechen. An einem anderen Tag.

Mehr zum Thema: Bei der Münchner Sicherheitskonferenz richtet US-Präsident Biden die erste Rede an die europäischen Verbündeten. Klar ist: Er wünscht sich wieder mehr Zusammenhalt zwischen der EU und den USA, aber nicht um jeden Preis.

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