Das Buch kommt unscheinbar daher. Das Cover zeigt einen leeren Tresor, der Titel "Steueroasen – Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird" ist nüchtern – zu nüchtern, für das, was auf den 119 Seiten folgt.
Der erst 27-jährige Autor ist der französische Ökonom Gabriel Zucman. Sein Doktorvater war der Kapitalismuskritiker Thomas Piketty. Und in seinem neuen Buch fordert Zucman nicht weniger als die Grundlagen der Europäischen Union auf den Kopf zu stellen. Der Schweiz, einer der wichtigsten Steueroasen der Welt, soll der Zugang zum europäischen Binnenmarkt verwehrt werden. Luxemburg, ebenfalls ein beliebter Ort für Steuerflüchtlinge, soll gar aus der Europäischen Union geworfen werden.
Zur Person
Gabriel Zucman, geb. 1986 in Paris, arbeitet an der Berkeley-Universität in Kalifornien. Noch in diesem Jahr wechselt er als Assistant Professor an die London School of Economics. Im vergangenen Jahr schrieb er zusammen mit Thomas Piketty über die „Rückkehr des Kapitals“. Ebenfalls 2013 erschien sein erstes Buch: "La Richesse cachée des nations. Enquête sur les paradis fiscaux". Ab Montag, 14. Juli, ist es unter dem Titel "Steueroasen: Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird" auch auf Deutsch erhältlich.
Doch der Reihe nach: Zucman, der Wirtschaftswissenschaften an der London School of Economics lehrt, zeigt in seinem Buch auf, wie die Steuerflucht in den vergangenen 100 Jahren zur "Plage" geworden ist. Er präsentiert Grafiken und Zahlen, geht in die Geschichte zurück, verliert aber nie den Kontakt zum Hier und Jetzt. Er setzt die Summen ins Verhältnis und rechnet vor, dass etwa die Staatsverschuldung Frankreichs nicht wie aktuell bei 94 Prozent des BIP liegt, sondern nur bei 70 Prozent, sofern es kein Bankgeheimnis auf der Welt geben würde.
Im Zentrum der Zucman’schen Kritik steht die Schweiz, der weltweit älteste und wichtigste Finanzplatz für Vermögensverwaltung. Aufgrund des Bankgeheimnisses und der Verschleierungstaktiken der Banken mittels Briefkastenfirmen oder Stiftungen gibt es keine verlässlichen Zahlen, sondern nur Annäherungen durch Insider und Rechenmodelle. Doch der Autor schätzt die Summe des in der Schweiz gebunkerten Geldes auf 1000 Milliarden Euro. Nur von Europäern.
Der Löwenanteil des Geldes stammt aus Deutschland, nämlich etwa 20 Prozent, also 200 Milliarden Euro. Noch einmal die gleiche Summe horten deutsche Steuerflüchtlinge in anderen Steueroasen wie Singapur, Hongkong, Luxemburg und den Bahamas.
Steueroasen
Ein echtes Paradies: Viel Sonne, Strand und keine Steuern für Unternehmen, Werktätige und Privatiers
Irische Spezialität: doppelter Firmensitz mit direktem Zugang in die Karibik
Keine Steuern auf Lizenzen! Der Fiskus bietet geheime "Tax Rulings" zu Sonderkollektionen an
Nie mehr geteilt: Unternehmen vererben ohne Steuer. Gilt auch für privates Geld-, Aktien-, Immobilienvermögen
Kanalinsel im Kronbesitz von Elisabeth II. ohne Mehrwert-, Kapitalertrag- und Erbschaftsteuer. Milde Tarife für Unternehmen
Flamen mögen forschungsintensive Firmen: nur 6,8 Prozent Steuern. Plus: Fiktive Eigenkapitalzinsen drücken den Gewinn
Auf den ersten Blick teuer, aber reizvolle Doppelbesteuerungsabkommen mit Polen oder Südkorea
Gerade wer mit Kunst handelt, liebt die Finanzverwaltung der Insel für ihre Flexibilität und Verschwiegenheit
Es sind die Reichen, die so ihr Geld vor dem Zugriff des Fiskus schützen und den Sozialstaat in seinen Grundfesten erschüttern. Seit Jahren geht die Schere zwischen Arm und Reich in den Industrieländern auseinander, Reichtum ersteht nicht mehr länger durch Arbeitsaufkommen, sondern durch das Vererben von Vermögen – wie Zucmans Doktorvater Thomas Piketty aufgezeigt hat. "Ohne Veränderungen wird das System an Stabilität verlieren. Der Kapitalismus droht erst an Rückhalt zu verlieren – und dann unterzugehen", warnt der Berliner VWL-Professor Giacomo Corneo im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online.
Auch die Politik hat längst erkannt, dass die Gerechtigkeitslücke möglicherweise noch schmerzhafter ist als die Etatlücken, die durch Steuerhinterziehung entstehen. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück wollte einst "per Kavallerie" Druck auf die Schweiz ausüben. Immerhin: Durch den Ankauf von Schweizer Steuer-CDs wurden Tausende deutsche Steuersünder aufgegriffen. Luxemburg hat sich verpflichtet, ab 2015 Bankdaten mit den anderen EU-Staaten auszutauschen. Eine Trendwende?
Steuersünder-Dateien in der Hand deutscher Ermittler
Ein ehemaliger Mitarbeiter der Liechtensteiner Bank LGT bietet dem Bundesnachrichtendienst brisante Bankdaten zum Kauf an. Später erhält er zwischen vier und fünf Millionen Euro. Rund 800 wohlhabende Deutsche geraten unter Verdacht. Bis Februar 2010 fließen fast 200 Millionen Euro Straf- und Nachzahlungen an den Staat.
Nach dem Kauf von Steuersünder-Daten über Kunden und Mitarbeiter der Schweizer Bank Credit Suisse leitet die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mehr als 1000 Ermittlungsverfahren ein. Das Anlagevermögen soll 1,2 Milliarden Euro betragen. Für die Daten sollen die Finanzbehörden in Nordrhein-Westfalen mehr als 2,5 Millionen Euro gezahlt haben. Sie bringen dem deutschen Fiskus nach Einschätzung der Steuergewerkschaft bis zu 900 Millionen Euro.
Es wird bekannt, dass der Bund und Niedersachsen gemeinsam Daten mutmaßlicher deutscher Steuerbetrüger in der Schweiz gekauft haben. Für 185 000 Euro erhalten sie rund 20 000 Datensätze. Die Steuergewerkschaft rechnet damit, dass der deutsche Fiskus 500 Millionen Euro einnimmt.
Nordrhein-Westfalen kauft für 1,4 Millionen Euro Daten der Schweizer Bank Julius Bär. Sie enthält Angaben über Deutsche, die ihre Steuerpflicht umgehen. Es folgen zahlreiche Ermittlungen und Selbstanzeigen. Im April 2011 zahlt Julius Bär 50 Millionen Euro, damit die deutschen Behörden ihre Ermittlungen gegen die Bank und ihre Mitarbeiter einstellen.
Nordrhein-westfälische Finanzbehörden kaufen Bankdaten von rund 3000 mutmaßlichen Steuersündern. Auf dem Datenträger befinden sich Medienberichten zufolge Informationen über deutsche Kunden einer Tochter der britischen HSBC in Luxemburg.
Nordrhein-Westfalen soll nach Angaben von „Spiegel“ und „Financial Times Deutschland“ zunächst für 3,5 Millionen Euro Namen und Konten von 1000 deutschen Kunden der Privatbank Coutts in Zürich. erworben haben.
Nordrhein-Westfalen kauft zwei CDs, berichten Medien. Die Datenträger sollen überwiegend deutsche Steuersünder bei der Schweizer Großbank UBS belasten - angeblich auch das Institut selbst. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum ermittelt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Anleger. In den folgenden Wochen melden die Behörden in mehreren Bundesländern vermehrt Selbstanzeigen reuiger Steuerbetrüger.
Weit gefehlt, sagt Gabriel Zucman im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. "Den Steueroasen ging es noch nie besser als heute", so der Franzose. Das Auslandsvermögen in der Schweiz stieg in den vergangenen fünf Jahren um 14 Prozent. Zucman traut Ländern wie der Schweiz und Luxemburg nicht über den Weg. Ihre neulich gemachten Zusagen, mit den Europäern Bankdaten auszutauschen und Steuerflucht zu erschweren, seien zu wage und die Kontrollmöglichkeiten zu schwach. Kleine Betrüger könne man so stoppen, die großen Fische würden Umwege und Tricks schon finden, ihr Geld weiter über die Oasen am heimischen Fiskus vorbeizuschleusen. Und überhaupt: Niemals würden Länder wie die Schweiz ihr Geschäftsmodell aufgeben, ist Zucman überzeugt – es sei denn, die internationale Gemeinschaft arbeite an einer großen Lösung.
Keine Gnade mit "Zwergstaaten wie Luxemburg"
"Frankreich, Deutschland und Italien können die Schweiz zur Aufgabe ihres Bankgeheimnisses zwingen, wenn sie gemeinsam Einfuhrzölle von 30 Prozent auf Waren erheben, die sie aus der Eidgenossenschaft importieren", schreibt Zucman. Der Grund: Die Kosten würden die Einnahmen übersteigen, die Schweizer Banken aus der Steuerflucht erzielen. Der Ausschluss der Schweiz vom Europäischen Binnenmarkt ist keine abwegige Idee. Nach dem die Schweizer per Volksentscheid die Personenfreizügigkeit massiv einschränken wollen, ist das Verhältnis angespannt. Nicht wenige Parlamentarier in Brüssel fordern, die Rechte der Schweiz im Handel mit Europa einzuschränken – sollte die Schweiz nicht einlenken.
Es wäre durchaus sinnvoll, in den Gesprächen mit der Regierung in Bern die Steuerfrage erneut auf die Tagesordnung zu heben und auch dort, eine wirksame Lösung einzufordern. Denn es kann nicht sein, dass "die Schweiz (…) nur das vom Buffet Europa [nimmt], was ihr schmeckt", wie FDP-Chef Christian Lindner nach dem Migrationsvotum richtig feststellte. Die Drohung Zucmans, die Schweiz den Handel mit Europa zu erschweren, erscheint demnach sympathisch und nicht ausgeschlossen.
Welche Strafen Steuertricksern drohen
Hier wird in der Regel eine Geldstrafe verhängt, die in etwa einem Jahresnettoeinkommen des Steuerpflichtigen entspricht.
Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln die Geldstrafe nach so genannten Tagessätzen. Der Geldbetrag für einen Tagessatz soll dem Tagesnettoeinkommen entsprechen.
Hat jemand ein Jahreseinkommen von 50.000 Euro brutto und Abzüge von 20.000 Euro für Steuern, Versicherungen und ähnlichem, so wäre der Tagessatz 82 Euro (gerechnet: 30.000:365).
Bei einer Hinterziehung von 10.000 Euro werden in der Regel 365 Tagessätze verhängt. Das bedeutet im Beispielsfall 365x82 = 29.930 Euro. Die Geldstrafe läge also bei rund 30.000 Euro.
Bei hohen Einkommen kann laut Experten die Strafe durchaus höher als die hinterzogene Steuer sein. Schließlich soll sich Steuerhinterziehung ja nicht lohnen.
Bei 20.000 Euro kommt man zu rund 440 Tagessätzen. Die Strafe läge im Beispielsfall dann 36.080 Euro.
Es ist bekannt, dass in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich streng bestraft wird. Eine interne Tabelle weist dies nach. Insofern gelten die hier genannten Strafrahmen nicht absolut, sondern sind lediglich Faustregeln.
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Az. 1 StR 525/11) ist die Chance, auch bei schweren Steuervergehen um eine Haftstrafe herumzukommen, deutlich gesunken. Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Entscheidung ein Urteil des Landgerichts Augsburg kassiert, das einen Unternehmer wegen 1,1 Millionen Euro hinterzogener Steuern nur zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt hatte. Dieses Strafmaß sei zu gering, entschied der BGH. Das Urteil liegt im Trend, glaubt Martin Wulf von der auf Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Streck Mack Schwedhelm: „In der Tendenz ziehen die Sanktionen an“, sagt der Jurist.
Anders verhält es sich mit Luxemburg, dem Gründungsmitglied der Europäischen Union bzw. deren Vorgänger, der Europäischen Gemeinschaften. Dem Land kann der Zugang zum Binnenmarkt nicht verwehrt werden. Zucmans Lösung: Der Rauswurf aus der EU.
"Bei Zwergstaaten (wie Luxemburg), die von Schattenfinanzen leben, müsste man weiter gehen, und zwar bis hin zu Maßnahmen, die einem Finanzembargo gleichkämen – und vielleicht bis zum Ausschluss aus der Europäischen Union", schreibt der Franzose in seinem Buch. Die Steueroasen mögen zwar Finanzriesen sein, aber ökonomisch und politisch seien sie Zwerge und massiv vom Handel abhängig. Das sei ihre Schwachstelle. "Dort muss der Zwang ansetzen."
Dieser Kampf lasse sich nicht nur auf europäische Ebene führen, sondern könnte auch weltweit Erfolg haben, so Zucman. Würde man die USA mit ins Boot holen (und Großbritannien), könne man auch Hongkong, die Bahamas und die Cayman Islands zum Einlenken zwingen. Bei letztere läge ein angemessener Strafzoll bei 100 Prozent.
Zehn goldene Regeln für die Selbstanzeige
Die Selbstanzeige ist nur strafbefreiend, wenn die Tat noch nicht entdeckt ist. Daher ist Eile geboten.
Quelle: BRANDI Rechtsanwälte
Stand: Oktober 2017
Ist die Tat schon entdeckt, wirkt selbst eine unwirksame Selbstanzeige strafmildernd wie ein Geständnis. Es ist also nie zu spät für die Offenlegung.
Nur wer in vollem Umfang die Steuererklärungen einer Steuerart der letzten zehn Kalenderjahre korrigiert, bleibt straffrei. „Vergessene“ Sachverhalte gefährden die Wirksamkeit der Selbstanzeige.
Mit Abgabe der Selbstanzeige müssen sämtliche hinterzogenen Steuern samt Zinsen und gegebenenfalls Strafzuschlag bezahlt werden. Wer nicht zahlen kann, sollte Alternativen erörtern.
Eine Selbstanzeige erfordert strafrechtliche und steuerrechtliche Erfahrung. Ziehen Sie auf jeden Fall Berater hinzu. Die Tücke steckt im Detail.
Weihen Sie ihren Steuerberater nie in etwaige Steuerhinterziehung ein. Sollte keine Selbstanzeige abgegeben werden können, macht er sich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig, wenn er weiterhin ihre Steuererklärungen bearbeitet, ohne die Hinterziehung offenzulegen.
Eine Selbstanzeige ist meist erst der Anfang. Ohne intensive Verhandlungen mit dem Finanzamt und gegebenenfalls ein gerichtliches Verfahren läuft die Selbstanzeige nur selten ab.
Es sollte genau geprüft werden, ob durch die Selbstanzeige Außenstehende oder etwa Familienangehörige belastet werden. In einem solchen Fall ist ein koordiniertes Vorgehen bis hin zur gleichzeitigen Abgabe der Selbstanzeige ratsam.
Beamten – auch verbeamteten Lehrern – und Angehörigen des öffentlichen Dienstes sowie Berufsträgern wie Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern droht bei einer Selbstanzeige ein disziplinarrechtliches oder berufsrechtliches Verfahren. Dies kann bis hin zum Verlust von Pensionsansprüchen führen.
Die Finanzverwaltung ist verpflichtet, Kenntnisse über Straftaten wie Korruption oder Geldwäsche an andere Behörden weiterzuleiten. So kann eine Selbstanzeige weiterte Ermittlungen und Anklagen auslösen, selbst wenn die Steuerhinterziehung straffrei bleibt.
Dass es soweit nicht kommen wird, weiß auch Zucman. Zu radikal ist sein Ansatz, zu zerstritten die Weltgemeinschaft, um gemeinsam gegen die Steueroasen vorzugehen. Nicht mal Europa spricht ja mit einer Sprache. Dass mit Jean-Claude Juncker ein Mann zum EU-Kommissionspräsident gewählt werden soll, der fast zwei Jahrzehnte die Regierung Luxemburg anführte und im Europawahlkampf alle Angriffe auf das Luxemburger Bankwesen abblockte, sei für ihn eine "große Enttäuschung", sagt Zucman. Junckers Bilanz sei "erschreckend". Seine Ernennung sei keine gute Nachricht für all diejenigen, die auf Steuergerechtigkeit hoffen.
Auch wenn sein Buch "Steueroasen – Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird" wenig verändern wird, lesenswert ist es allemal. Weil es zeigt, wie groß der finanzielle Schaden durch Steuerbetrug ist und dass die Gerechtigkeitsdebatte noch lange nicht beendet ist.
Man spürt, wie sauer Zucman über die Steuerflucht der Reichen ist. "Mit höflichen Floskel kommen wir nicht weiter", unterstreicht er gegenüber WirtschaftsWoche Online. Nur Druck helfe. Seine Ansätze sind provokant und radikal – und dürften deshalb bei den Verlierern durch die Schuldenkrise in Frankreich, Italien oder Spanien, die nicht weniger aufgewühlt sind als Zucman, für Aufsehen sorgen.