Gabriel Zucman Piketty-Schüler wettert gegen die Schweiz

Der 27-jährige Franzose Gabriel Zucman ist ein Ziehsohn von Kapitalismuskritiker Thomas Piketty. In seinem neuen Buch fordert er: Steueroasen müssen endlich ausgetrocknet werden – ohne Rücksicht auf Verluste.

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Gabriel Zucman Quelle: Presse

Das Buch kommt unscheinbar daher. Das Cover zeigt einen leeren Tresor, der Titel "Steueroasen – Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird" ist nüchtern – zu nüchtern, für das, was auf den 119 Seiten folgt.

Der erst 27-jährige Autor ist der französische Ökonom Gabriel Zucman. Sein Doktorvater war der Kapitalismuskritiker Thomas Piketty. Und in seinem neuen Buch fordert Zucman nicht weniger als die Grundlagen der Europäischen Union auf den Kopf zu stellen. Der Schweiz, einer der wichtigsten Steueroasen der Welt, soll der Zugang zum europäischen Binnenmarkt verwehrt werden. Luxemburg, ebenfalls ein beliebter Ort für Steuerflüchtlinge, soll gar aus der Europäischen Union geworfen werden.

Zur Person

Doch der Reihe nach: Zucman, der Wirtschaftswissenschaften an der London School of Economics lehrt, zeigt in seinem Buch auf, wie die Steuerflucht in den vergangenen 100 Jahren zur "Plage" geworden ist. Er präsentiert Grafiken und Zahlen, geht in die Geschichte zurück, verliert aber nie den Kontakt zum Hier und Jetzt. Er setzt die Summen ins Verhältnis und rechnet vor, dass etwa die Staatsverschuldung Frankreichs nicht wie aktuell bei 94 Prozent des BIP liegt, sondern nur bei 70 Prozent, sofern es kein Bankgeheimnis auf der Welt geben würde.

Das Buch von Gabriel Zucman ist am 14.07.2014 im Suhrkamp Verlag erschienen und für 14,00 Euro erhältlich. Quelle: Presse

Im Zentrum der Zucman’schen Kritik steht die Schweiz, der weltweit älteste und wichtigste Finanzplatz für Vermögensverwaltung. Aufgrund des Bankgeheimnisses und der Verschleierungstaktiken der Banken mittels Briefkastenfirmen oder Stiftungen gibt es keine verlässlichen Zahlen, sondern nur Annäherungen durch Insider und Rechenmodelle. Doch der Autor schätzt die Summe des in der Schweiz gebunkerten Geldes auf 1000 Milliarden Euro. Nur von Europäern.

Der Löwenanteil des Geldes stammt aus Deutschland, nämlich etwa 20 Prozent, also 200 Milliarden Euro. Noch einmal die gleiche Summe horten deutsche Steuerflüchtlinge in anderen Steueroasen wie Singapur, Hongkong, Luxemburg und den Bahamas.

Steueroasen

Es sind die Reichen, die so ihr Geld vor dem Zugriff des Fiskus schützen und den Sozialstaat in seinen Grundfesten erschüttern. Seit Jahren geht die Schere zwischen Arm und Reich in den Industrieländern auseinander, Reichtum ersteht nicht mehr länger durch Arbeitsaufkommen, sondern durch das Vererben von Vermögen – wie Zucmans Doktorvater Thomas Piketty aufgezeigt hat. "Ohne Veränderungen wird das System an Stabilität verlieren. Der Kapitalismus droht erst an Rückhalt zu verlieren – und dann unterzugehen", warnt der Berliner VWL-Professor Giacomo Corneo im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online.

Auch die Politik hat längst erkannt, dass die Gerechtigkeitslücke möglicherweise noch schmerzhafter ist als die Etatlücken, die durch Steuerhinterziehung entstehen. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück wollte einst "per Kavallerie" Druck auf die Schweiz ausüben. Immerhin: Durch den Ankauf von Schweizer Steuer-CDs wurden Tausende deutsche Steuersünder aufgegriffen. Luxemburg hat sich verpflichtet, ab 2015 Bankdaten mit den anderen EU-Staaten auszutauschen. Eine Trendwende?

Steuersünder-Dateien in der Hand deutscher Ermittler

Weit gefehlt, sagt Gabriel Zucman im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. "Den Steueroasen ging es noch nie besser als heute", so der Franzose. Das Auslandsvermögen in der Schweiz stieg in den vergangenen fünf Jahren um 14 Prozent. Zucman traut Ländern wie der Schweiz und Luxemburg nicht über den Weg. Ihre neulich gemachten Zusagen, mit den Europäern Bankdaten auszutauschen und Steuerflucht zu erschweren, seien zu wage und die Kontrollmöglichkeiten zu schwach. Kleine Betrüger könne man so stoppen, die großen Fische würden Umwege und Tricks schon finden, ihr Geld weiter über die Oasen am heimischen Fiskus vorbeizuschleusen. Und überhaupt: Niemals würden Länder wie die Schweiz ihr Geschäftsmodell aufgeben, ist Zucman überzeugt – es sei denn, die internationale Gemeinschaft arbeite an einer großen Lösung.

Keine Gnade mit "Zwergstaaten wie Luxemburg"

"Frankreich, Deutschland und Italien können die Schweiz zur Aufgabe ihres Bankgeheimnisses zwingen, wenn sie gemeinsam Einfuhrzölle von 30 Prozent auf Waren erheben, die sie aus der Eidgenossenschaft importieren", schreibt Zucman. Der Grund: Die Kosten würden die Einnahmen übersteigen, die Schweizer Banken aus der Steuerflucht erzielen. Der Ausschluss der Schweiz vom Europäischen Binnenmarkt ist keine abwegige Idee. Nach dem die Schweizer per Volksentscheid die Personenfreizügigkeit massiv einschränken wollen, ist das Verhältnis angespannt. Nicht wenige Parlamentarier in Brüssel fordern, die Rechte der Schweiz im Handel mit Europa einzuschränken – sollte die Schweiz nicht einlenken.

Es wäre durchaus sinnvoll, in den Gesprächen mit der Regierung in Bern die Steuerfrage erneut auf die Tagesordnung zu heben und auch dort, eine wirksame Lösung einzufordern. Denn es kann nicht sein, dass "die Schweiz (…)  nur das vom Buffet Europa [nimmt], was ihr schmeckt", wie FDP-Chef Christian Lindner nach dem Migrationsvotum richtig feststellte. Die Drohung Zucmans, die Schweiz den Handel mit Europa zu erschweren, erscheint demnach sympathisch und nicht ausgeschlossen.

Welche Strafen Steuertricksern drohen

Anders verhält es sich mit Luxemburg, dem Gründungsmitglied der Europäischen Union bzw. deren Vorgänger, der Europäischen Gemeinschaften. Dem Land kann der Zugang zum Binnenmarkt nicht verwehrt werden. Zucmans Lösung: Der Rauswurf aus der EU.

"Bei Zwergstaaten (wie Luxemburg), die von Schattenfinanzen leben, müsste man weiter gehen, und zwar bis hin zu Maßnahmen, die einem Finanzembargo gleichkämen – und vielleicht bis zum Ausschluss aus der Europäischen Union", schreibt der Franzose in seinem Buch. Die Steueroasen mögen zwar Finanzriesen sein, aber ökonomisch und politisch seien sie Zwerge und massiv vom Handel abhängig. Das sei ihre Schwachstelle. "Dort muss der Zwang ansetzen."

Dieser Kampf lasse sich nicht nur auf europäische Ebene führen, sondern könnte auch weltweit Erfolg haben, so Zucman. Würde man die USA mit ins Boot holen (und Großbritannien), könne man auch Hongkong, die Bahamas und die Cayman Islands zum Einlenken zwingen. Bei letztere läge ein angemessener Strafzoll bei 100 Prozent.

Zehn goldene Regeln für die Selbstanzeige

Dass es soweit nicht kommen wird, weiß auch Zucman. Zu radikal ist sein Ansatz, zu zerstritten die Weltgemeinschaft, um gemeinsam gegen die Steueroasen vorzugehen. Nicht mal Europa spricht ja mit einer Sprache. Dass mit Jean-Claude Juncker ein Mann zum EU-Kommissionspräsident gewählt werden soll, der fast zwei Jahrzehnte die Regierung Luxemburg anführte und im Europawahlkampf alle Angriffe auf das Luxemburger Bankwesen abblockte, sei für ihn eine "große Enttäuschung", sagt Zucman. Junckers Bilanz sei "erschreckend". Seine Ernennung sei keine gute Nachricht für all diejenigen, die auf Steuergerechtigkeit hoffen.

Auch wenn sein Buch "Steueroasen – Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird" wenig verändern wird, lesenswert ist es allemal. Weil es zeigt, wie groß der finanzielle Schaden durch Steuerbetrug ist und dass die Gerechtigkeitsdebatte noch lange nicht beendet ist.

Man spürt, wie sauer Zucman über die Steuerflucht der Reichen ist. "Mit höflichen Floskel kommen wir nicht weiter", unterstreicht er gegenüber WirtschaftsWoche Online. Nur Druck helfe. Seine Ansätze sind provokant und radikal – und dürften deshalb bei den Verlierern durch die Schuldenkrise in Frankreich, Italien oder Spanien, die nicht weniger aufgewühlt sind als Zucman, für Aufsehen sorgen.

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