Gazprom und die EU Der fatale Denkfehler der Russen

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Mit einer funktionierenden, unabhängigen Kommission rechneten die Russen nicht

Reaktionen auf den Friedensnobelpreis
Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher:Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hält die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union für verdient. Die Preisvergabe würdige vor allem das Verdienst der EU, Konflikte gemeinschaftlich und friedlich zu überwinden, sagte Genscher am Montag: „Damit wird die Aufmerksamkeit wieder auf das gerichtet, was für viele als Selbstverständlichkeit gilt: Nämlich dass es hier in Europa keinen Krieg gibt.“ Der Friedensnobelpreis sei ein Bürgerpreis, auf den jeder stolz sein könne. „Die Bürger sind es, die den europäischen Gedanken tragen, die den Frieden bewahren und sichern, und ihnen gebührt dieser Preis“, sagte der FDP-Politiker. Gleichzeitig äußerte er die Erwartung, dass die bekennenden Europäer sehr viel offensiver gegen jene Kräfte diskutieren, die Europa herabsetzten. „Alte Fehler dürfen nicht wiederholt werden“, warnte Genscher. Quelle: dapd
Bundeskanzlerin Angela Merkel:Merkel begrüßte die Verleihung des Friedensnobelpreises als „wunderbare Entscheidung“. „Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich - auch für mich ganz persönlich“, sagte sie. Sie habe immer wieder darauf hingewiesen, dass der Euro mehr sei als eine Währung. „Wir sollten auch gerade in diesen Wochen und in diesen Monaten, in denen wir für die Stärkung des Euro arbeiten, genau dies nicht vergessen.“ Am Ende gehe es immer um die ursprüngliche Idee Europas als Friedens- und Wertegemeinschaft. 60 Jahre Frieden in Europa seien für die Menschen, die jetzt in der EU lebten, eine lange Zeit, sagte Merkel. „In der Geschichte ist es nur ein Wimpernschlag.“ Deswegen dürfe man nie vergessen, dass man sich immer wieder für den Frieden einsetzen müsse. Quelle: REUTERS
Altbundeskanzler Helmut Kohl:Kohl hat die Ehrung der Europäischen Union mit dem Friedensnobelpreis als "klug und weitsichtig" begrüßt. "Ich freue mich sehr über diese Entscheidung", erklärte der 82-Jährige in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Entscheidung des Nobelkomitees sei "vor allem eine Bestätigung für das Friedensprojekt Europa". Zudem sei die Ehrung "eine Ermutigung für uns alle, auf dem Weg des geeinten Europa weiter voranzugehen". Kohl endete mit den Worten: "Als Europäer haben wir heute allen Grund, stolz zu sein. Ich bin es." Quelle: dpa
Gerhard Schröder Quelle: dpa
EU-Kommisionspräsident Jose Manuel Barroso:Barroso schrieb beim Kurznachrichten-Dienst Twitter: „Es ist eine große Ehre für die gesamte EU, für alle 500 Millionen Bürger, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden zu sein.“ Quelle: dpa
Regierungssprecher Steffen Seibert:"Die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin persönlich, gratuliert der EU, ihren Organen und all ihren Mitarbeitern", sagte Seibert. "Wir sehen darin eine Bestätigung, eine Ermutigung für das große Friedensprojekt, das diese Europäische Union über den europäischen Kontinent ausgebreitet hat, der lange Phasen des Friedens sehr selten gekannt hat." Quelle: REUTERS
Bundesaußenminister Guido Westerwelle:Westerwelle sagte, die Auszeichnung sei eine "großartige Entscheidung, die mich stolz und glücklich macht". Die europäische Integration sei das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte. "Aus den Trümmern von zwei schrecklichen Weltkriegen sind Frieden und Freiheit gewachsen, aus Erbfeinden sind gute Freunde und untrennbare Partner geworden", betonte der Außenminister. Quelle: dpa

Die russischen Machthaber waren nicht gänzlich naiv an die Sache herangegangen. Um ihre Macht- und Marktposition zu schützen, kultivierten sie ein ausgefeiltes Beziehungsgeflecht nach dem Prinzip “teile und herrsche”. Bilaterale Beziehungen mit der Politik und Unternehmen in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten wurden intensiviert, Verträge mit nationalen und regionalen Energieversorgern abgeschlossen, Firmen hinzugekauft.

Spitzenpolitiker wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wurden als Lobbyisten eingekauft, und die Lobbyarbeit über Verbände und gesponsorte NGOs massiv ausgeweitet. Die Strategie basierte auf der Annahme, dass man sich politischen Einfluss auf die Entscheidungen in EU-Mitgliedsstaaten erkaufen kann, um so auch letztlich das Verhalten der europäischen Institutionen in Brüssel zu beeinflussen. Dass nun die Europäische Kommission unabhängig und völlig unbeeindruckt von solchen Maßnahmen in ihrer Funktion als Hüterin der europäischen Verträge ein Kartellverfahren von potentiell enormer Reichweite einleitet, kann in Moskau nur als empfindliche Niederlage wahrgenommen werden. Mit einem funktionierenden rechtsstaatlichen Apparat, der sich tatsächlich für die Einhaltung geltenden Rechts in Europa einsetzt, hatten die russischen Strategen offenbar nicht gerechnet.

Zahlen und Fakten zu Russland

In den Denkmustern der Korruption gefangen

Diese Fehlkalkulation wirft ein bezeichnendes Licht auf das Politikverständnis in Russland. Die implizite Annahme, dass die Methoden, die innerhalb Russlands zum Erfolg führen, auch in der EU die gewünschten Ergebnisse bringen, zeigt wie sehr die russischen Entscheider in korrupten Denkmustern gefangen sind. Die Projektion des eigenen Modells auf den Gegenüber ist ein klassischer Fehler von Akteuren in geschlossenen Denksystemen. Europa und seine Entscheider sind sicher empfänglich für Einflussnahme und attraktive Angebote, aber Korruption ist, anders als in Russland, nicht das herrschende Grundprinzip von Governance in den Mitgliedsstaaten und in der EU.

Hinzu kommt, dass die russische Seite offenbar den Brüsseler Apparat noch immer nicht ausreichend versteht. Nicht um das starke unabhängige Mandat zu wissen, dass der Europäischen Kommission aus den europäischen Verträgen zukommt, und das sie zu einem sehr machtvollen Akteur in allen Marktfragen macht, ist ein Anfängerfehler. Spätestens nach dem spektakulären Kartellfall, der den amerikanischen IT-Konzern Microsoft viel Geld gekostet hat, hätte man gewarnt sein müssen. Gut gepflegte private Kontakte zu Spitzenpolitikern in Europa bewahren einen nicht vor dem Zugriff der Kommission, denn diese haben kein Vetorecht über Kommissionsaktivitäten in vergemeinschafteten Politikbereichen. Was europäische Politiker längst wissen, hätten die russischen Entscheider ebenfalls seit langem wissen können.

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