Geldflut der EZB Die Eine-Billion-Euro-Frage

Die Zentralbank hat Europas Banken die unvorstellbare Summe von einer Billion Euro verschafft, für nur ein Prozent Zinsen. Wer am meisten davon profitiert, wohin das Geld fließt, wo neue Anlageblasen drohen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat einen gewaltigen Geldberg in die Banken gepumpt Quelle: dpa

Die Rechnerei ist nicht sonderlich kompliziert, aber sie zahlt sich aus: Jede Woche speist ein Mitarbeiter der Abteilung M2 („Marktanalysen und Portfolios“) im 6. Stock des Betonbaus der Bundesbank in Frankfurt Daten aller deutschen Banken in den Computer ein: Reserven, die sie bei der Zentralbank halten, Einlagen von Staaten, Dollar-Forderungen. Das Ergebnis ist wie Weihnachten: Der Rechner spuckt aus, wie viel Geld die Banken brauchen. Der Wunschzettel geht in die Innenstadt, zur vier Kilometer südlich gelegenen Europäischen Zentralbank (EZB). Die muss nur noch die Meldungen aus den 17 Euro-Ländern addieren und weiß dann, wie viel Geld sie den Banken in dieser Woche zuteilen muss.

Wie die Europäische Zentralbank mehr als eine Billion Euro in den Kapitalmarkt pumpt, wer das Geld bekommt, wer profitiert und welche Märkte es beeinflusst.

In normalen Zeiten waren es meist um die 250 Milliarden Euro – Kurzfrist-Liquidität, die die EZB nach einer Woche wieder einsammelte. Am vergangenen Dienstag aber spuckte der Rechner keine rote 250, sondern eine dunkelgrüne 833 aus: 833 Milliarden Euro zu viel haben die Banken der Euro-Zone auf dem Konto – wenn man die Maßstäbe aus normalen Zeiten anlegt. Doch die Zeiten sind nicht normal, und so schob die EZB am Dienstag noch mal 61 Milliarden Euro nach.

Luxusproblem Geldschwemme

Seit kurz vor Weihnachten haben viele Banken ein Luxusproblem: Sie wissen nicht, wohin mit ihrem Geld. Am 21. Dezember gewährte EZB-Chef Mario Draghi ihnen 489 Milliarden Euro Zentralbankgeld zu einem Prozent Zins, am 28. Februar feuerte er noch einmal 530 Milliarden Euro nach. Klamme Institute aus den Schuldenstaaten Italien, Spanien, Portugal und Griechenland hatten die Liquidität bitter nötig. Einigen drohte die Pleite, weil sie fällige Schuldscheine nicht zurückzahlen konnten und Anleger Gelder abzogen.

Wie viel der Euro wirklich wert ist
Euro oder Gold
Der Euro im Währungsmix...
...und gegenüber dem DollarGemessen an der US-Währung hatte der Euro einen schwachen Start – dann stieg er kräftig an und erreichte im April 2008 mit fast 1,60 Dollar seinen höchsten Wert. Doch mit Ausbruch der Finanzkrise sackte er ab.
Bislang kein Teuro
Schwellenländer holen aufDie Währungen der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) gewinnen an Bedeutung. Der Euro wertete seit Ausbruch der Krise gegenüber diesen Währungen ab (Index 2000 = 100; Quelle: Thomson Reuters).

Zugegriffen haben aber auch viele, die das Geld überhaupt nicht brauchen. Allein in Deutschland waren es 460 Banken, von „A“ wie Aareal-Bank bis „V“ wie Volkswagen Financial Services. „Wir haben eine Milliarde Euro genommen und schauen erst einmal, was wir damit machen“, heißt es etwa beim Wiesbadener Immobilienfinanzierer Aareal Bank. Volkswagen Financial Services hat bei der EZB zwei Milliarden Euro aufgenommen: „Die Refinanzierung kann zum Vorteil im Kampf um die Leasing- und Kreditkunden werden“, sagt deren Chef Frank Witter.

Doppelt so viele deutsche Institute wie normal meldeten bei der Bundesbank ihre Wünsche an. 40 deutsche Banken hatten sogar zuvor noch nie Zentralbankgeld geliehen und mussten sich erst für die Zuteilung bei der Bundesbank registrieren lassen.

Sicherheiten kein Problem

Danach an EZB-Geld zu kommen war für Banken so einfach wie für Normalbürger eine Online-Überweisung. Sie hackten in das Online-Tool Omtos („Offenmarkt-Tender-Operations“) der Bundesbank ihre Wunschsumme ein, die Bundesbank schickte die an die EZB, und 24 Stunden später war das Geld auf dem Konto. Dabei akzeptierte die EZB für die Kredite immer schlechtere Papiere als Sicherheiten. Ein ehemaliger Notenbanker spottete, man könne auch den Büstenhalter seiner Großmutter als Sicherheit in Frankfurt hinterlegen. Mancher möchte am liebsten gleich eine eigene Bank gründen.

LTRO („Long-Term-Refinancing-Operation“) heißt diese einzigartige Aktion – EZB-Chef Mario Draghi selbst sprach von Schüssen mit der „Dicken Bertha“, eine leicht missglückte Anspielung auf ein Erste- Weltkrieg-Geschütz.

Feuerwerk für die Kurse

Börse Frankfurt Quelle: dpa

1019 Milliarden Euro – das ist so viel, wie Spanien, die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt, in einem Jahr erwirtschaftet. Die Bekanntgabe von LTRO löste an den Börsen ein Kursfeuerwerk aus. Der Dax hat seit dem 21. Dezember um 20 Prozent zugelegt, die Kurse von Anleihen der Schuldenstaaten erholten sich, parallel fielen deren Renditen, die zehnjähriger italienischer Staatsanleihen etwa um zwei Prozentpunkte
auf fünf Prozent. Doch wie kommt das EZB-Geld in die Märkte?

Kursbeflügelnd wirkt sicher nur ein kleiner Teil: Die Hälfte der 1019 Milliarden ging gleich an die EZB zurück, schätzt Alastair Ryan, Analyst der Schweizer UBS. Profitiert haben die Banken dennoch: Sie zahlten Kredite mit kürzerer Laufzeit, für die sie mitunter höhere Zinsen überweisen mussten, bei der EZB zurück. Aus kurzfristigen Krediten wurden so längerfristige. Die durchschnittliche Dauer, für die sich Banken Geld bei der EZB leihen, ist von 50 Tagen auf jetzt 900 Tage geschnellt.

Zahlen und Fakten zur Geldschwemme

Mit weiteren 187 Milliarden Euro kaufen vor allem die kapitalstärkeren Banken von ihnen selbst ausgegebene Anleihen zurück. Dadurch bekommen Investoren Bargeld, für das sie auf die Suche gehen müssen nach renditestarken, neuen Anlageformen. Diese Milliarden bleiben also nicht im Bankensystem, sondern fließen über indirekte Kanäle an die Börsen, in Unternehmensanleihen, in Rohstoffe und Immobilien – und treiben dort Preise und Kurse. Ein Umschichtungsprozess, der noch weiter läuft.

Wie Geld an die Börse wandert

Die meisten Banken müssen in ihrem eigenen Depot vorsichtig agieren – sie packen Pfandbriefe, solide Unternehmensanleihen oder Staatsanleihen hinein. Aber drei Effekte sorgen dafür, dass EZB-Geld
in die Anlagemärkte fließt.

  • Gelder werden frei: Wenn Banken Anleihen zurückkaufen oder weniger neue Anleihen ausgeben, wird bei Investoren, die sie ihnen verkauft haben, Geld frei. „Eine Reihe von Banken haben in den vergangenen Monaten auch Hybridanleihen mit Abschlägen auf den Nennwert zurückgekauft“, sagt Axel Wieandt, Managing Director bei der Schweizer Bank Credit Suisse. Hybridanleihen sind eine Art Zwitter aus Aktien und Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit. Durch den billigen Rückkauf – nicht selten zu Kursen um die 30 bis 50 Prozent – stärken Banken wie die Commerzbank ihr Eigenkapital.

Traditionell investieren etwa Versicherer rund die Hälfte ihres Portfolios in Bankpapiere. Weil die Banken jetzt über die EZB billiger an Geld gekommen sind, wird es künftig weniger davon geben. Marino Valensise, Investmentchef bei der britischen Fondsgesellschaft Barings, erwartet, dass etwa 200 Milliarden Euro an Bankschulden in den kommenden Jahren zurückgezahlt, aber nicht wieder durch Ausgabe neuer Bankpapiere verlängert werden müssen. Das schafft bei vielen Anlagedruck, zumal sichere Staatsanleihen, allen voran die des Bundes, nicht hoch genug rentieren, um Lebensversicherten die garantierten Renditen zu verschaffen. Die Großanleger weichen in andere Kanäle aus, wie Anleihen aus Schwellenländern in Lateinamerika und Osteuropa, Infrastrukturprojekte oder erneuerbare Energien. Dieter Wolf, Chef-Vermögensverwalter der Meag, der 207 Milliarden Euro für den Rückversicherer Munich Re und den Versicherer Ergo verwaltet, setzt schon jetzt bei Staatsanleihen zu 15 Prozent auf Schwellenländer und geht davon aus, dass sich dieser Anteil noch verdoppelt. Die Allianz wiederum investiert zunehmend in Windparks- und Solaranlagen. Hier bietet der Staat Investoren mit garantierten Abnahmepreisen den größten Anreiz. Mit diesen Anlageformen haben viele Investoren aber wenig Erfahrung – und dadurch entstehen neue Risiken.

  • Mehr und günstigere Kredite: Auffällig ist, dass auch Aktien-Hedgefonds wieder aggressiver werden. Londoner Hedgefondsmanager, die mit nur 80 Prozent Aktien in das neue Jahr gestartet waren, haben ihre Aktieninvestitionen mittlerweile auf 120 Prozent der Fondsgelder erhöht. Um mehr als das Fondsvermögen einzusetzen, nehmen Hedgefonds auch Kredite auf. Das Risiko, dass notleidende Banken Kredite überraschend schnell zurückfordern – in der Branche durchaus üblich – ist gesunken. Verkaufswellen wie im Spätsommer 2011, als Fonds Aktien und selbst Gold auf den Markt warfen, um andere Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen oder Investoren– zu denen wiederum auch Banken gehören – auszuzahlen, blieben aus.

Erste Preisblasen an den Märkten

Draghi Quelle: dpa

„Natürlich birgt das Vorgehen der EZB die Gefahr, dass sich auf den Märkten Blasen bilden“, sagt Axel Wieandt. „Zum Beispiel bei Immobilien, wo billige Finanzierungen die Preise nach oben treiben.“ Banken mit genügend Finanzpolster können günstigere Kreditkonditionen anbieten. Dadurch bekommen Immobilienkäufer mehr Spielraum. Wer jetzt sein Immobiliendarlehen verlängert, zahlt weniger Zinsen und hat monatlich mehr Geld für andere Ausgaben auf dem Konto.

Bei Wohnimmobilien sind schon die Anfänge einer Preisblase erkennbar. „Ende des Jahrzehnts besteht die Gefahr, dass wir am Immobilienmarkt die Überhitzung besonders stark spüren“, meint Banker Lange. Peter Huber, Chef des Oberurseler Vermögensverwalters Starcapital: „Wer für Immobilien das 20-Fache der jährlichen Mietrendite bezahlen muss, kauft teuer ein oder rechnet mit stark steigenden Mieten.“ Hubers Fazit: „Allein die Inflationsangst führt zu einer Fehlallokation der Gelder.“

  • Vertrauen in riskantere Anlagen nimmt zu: „LTRO hat die Aktienkursentwicklung befeuert, weil bei Investoren die Angst gewichen ist“, sagt Investmentbanker Wieandt. Das Risiko, dass Staaten verunglücken, war aus Sicht der Anleger erst einmal vom Tisch. Vor der zweiten EZB-Geldspritze hielten noch 60 Prozent der regelmäßig von Bank of America Merrill Lynch befragten Fondsmanager die „Refinanzierung von EU-Staatsschulden“ für den größten Risikofaktor. Die Zahl ist bei der März-Umfrage auf 38 Prozent gefallen.

Ende 2011 hielten die Manager von Europa- Aktienfonds noch 5,8 Prozent ihrer Fondsgelder in bar, bis Ende Februar hatten sie den Kassenbestand auf 3,8 Prozent reduziert und Aktien gekauft.

Auch die von der Geschäftslage und Zahlungsstärke eines Unternehmens abhängigen Unternehmensanleihen sind wieder gefragt. Seit Jahresbeginn flossen rund zehn Milliarden Euro in hochverzinsliche europäische Unternehmensanleihen. Auch Südeuropa, 2011 noch tabu, ist wieder angesagt: „Kaum jemand kaufte Fiat-Bonds mit 14 Prozent Rendite. Jetzt, bei nur noch sieben Prozent, will jeder sie plötzlich haben“, sagt ein Fondsmanager. Günstigere Finanzierungsbedingungen für Unternehmen aber stärken deren Gewinne und beflügeln letztlich die Aktienkurse.

Rettung für Schwache...

Geöffnet wurden die Geldschleusen, nachdem im Dezember 31 von 70 europäischen Großbanken durch einen Stresstest der Euro-Bankenaufsicht EBA gefallen waren. Die Banken mit dürrer Kapitaldecke hätten, um die nächste Krisensituation überstehen zu können, zusätzlich 115 Milliarden Euro auftreiben müssen. Vor allem Banken in Italien und Spanien liefen die Sparer in Scharen davon, sie parkten ihr Geld lieber
im Ausland oder im heimischen Tresor.

Unter dem Strich, inklusive der wieder bei der EZB eingezahlten Gelder, gingen nach Schätzungen der UBS 260 Milliarden Euro an italienische Banken, 250 Milliarden an spanische, 80 Milliarden an griechische und 50 Milliarden an portugiesische. Schnell lief es für die kapitalschwachen Banken wieder besser: Die Prämien für Kreditversicherungen (CDS), mit deren Hilfe sich Investoren gegen Kreditausfälle nach Bankpleiten absichern können, sind seit Dezember etwa für die italienischen Banken UniCredit und Intesa Sanpaolo um ein Drittel gesunken. Deutschen Banken bleiben die Wettbewerber erhalten: „Die EZB hat die südländischen Banken so gestützt, dass sie sich kaum aus Deutschland zurückziehen müssen“, sagt Commerzbank-Vorstand Markus Beumer.

Schrottpapiere als Sicherheiten

Beumer Quelle: dpa

15 Milliarden flossen zurück an Staaten. In Deutschland zahlten die IKB, die Commerzbank und die WestLB Hilfsgelder an den staatlichen Stabilisierungsfonds Soffin zurück.

Banken konnten mit dem frisch geschaffenen Geld nicht nur beim Staat, bei der EZB oder Investoren Kredite ablösen, sondern ihnen eröffnete sich ein neues Geschäftsmodell: Schrottpapiere bei der EZB als Sicherheiten einreichen, für ein Prozent Zins Milliarden leihen, Staatsanleihen des Heimatlandes kaufen und sechs Prozent kassieren. Für rund 180 Milliarden Euro haben Banken Staatsanleihen gekauft.

„In den südeuropäischen Schuldenländern ist die Verschränkung zwischen Staat und Banken enger geworden, nachdem die Banken Anleihen ihrer Staaten gekauft haben“, sagt Credit-Suisse-Banker Wieandt. Spanische Banken haben im Januar und Februar 52 Milliarden Euro für Staatsanleihen ihrer Regierung ausgegeben, italienische 32 Milliarden Euro. Selbst bei nur fünf Prozent Anleiherendite pro Jahr würden die Spanier mit diesen Positionen gut sechs Milliarden Euro Gewinn einfahren.

„Das ist für diese Banken ein einträgliches Geschäft, aber kein großes Risiko, weil ihre Existenz ohnehin von der ihres Staates abhängt“, sagt Commerzbank-Vorstand Beumer. „Solche Carry-Trades machen aber nur Banken in Krisenländern“, sagt der Vorstand einer anderen großen Bank, „für deutsche Institute ist das Risiko, dass die Krisenstaaten als Schuldner ausfallen, schlicht zu hoch.“ Stabilere Finanzinstitute trennten sich eher von Bonds der hoch verschuldeten Euro-Staaten zu wieder höheren Kursen. BNP Paribas etwa verkaufte italienische Anleihen im Gegenwert von zehn Milliarden Euro. Auch Versicherer, wie etwa die deutsche R+V-Versicherung, stießen Südeuropa-Anleihen ab. „Deutsche Banken haben das EZB-Geld vor allem dazu genutzt, um Kredite ihrer südeuropäischen Auslandstöchter zu finanzieren“, sagt ein Vorstand einer deutschen Großbank. Diese Töchter haben weniger Kundeneinlagen, finanzieren Kredite also vor allem über die deutsche Mutter. Müssten diese Kredite bei einem möglichen Euro-Austritt des südeuropäischen Landes abgewertet werden, würde die Mutter Milliarden verlieren. Damit soll Schluss sein, Aufsichtsbehörden sehen das nicht mehr gerne. Etwa 60 Milliarden Euro EZB-Geld haben die Euro-Land-Banken, darunter Commerzbank und Deutsche Bank, für ihre Auslandstöchter aufgenommen.

...Zusatzgewinne für Starke

Dabei hatte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann doch stets beteuert, die Bank brauche keine fremde Hilfe. Anfang Februar formulierte er dann feinsinnig: „Wir brauchen es nicht, machen aber mit, wenn es ökonomisch sinnvoll ist.“

Ähnlich denken die Autobanken. Töchter der nicht gerade schwachbrüstigen Konzerne VW und Daimler etwa haben sich bedient. Dass Kunden jetzt den VW Kleinwagen Up zu 3,9 Prozent auf Pump kaufen können, haben sie auch der EZB zu verdanken. Die Mercedes-Bank ist mit 2,5 Prozent noch günstiger. Man wolle das EZB-Geld eben „schnell in die Wirtschaft fließen lassen“, verlautet aus Stuttgart.

Ein Münchner Privatbanker ist da ehrlicher: „So billig bekommen wir nie wieder Geld. In unserer kleinen Welt ist das ein netter Ertrag“, sagt er. Seine Bank investiert jetzt in Pfandbriefe, die durch Immobilien in Süddeutschland gedeckt sind. Eine Berliner Privatbank hat EZB-Geld in hoch verzinsliche Anleihen mittelständischer Unternehmen gepackt.

Schwache Banken profitieren

Banken in Frankfurt Quelle: dpa

Der Erfindungsreichtum der Banken scheint unermesslich. So gibt es Institute, die mit EZB-Krediten eigene Pfandbriefe kaufen und sich selbst die Zinsen aus EZB-Geldern zahlen. „Die Pfandbrief-Zinsen sind natürlich höher als ein Prozent“ berichtet ein Frankfurter Bankvorstand.

Thomas Lange, Chef der National-Bank in Essen, zählt zu den wenigen Bankern, die das EZB-Geld nicht mitgenommen haben. Er hält die Gießkannen-Aktion für falsch. Banken, die viel Geld wollen, sollten auch mehr bezahlen. Thorsten Winkelmann, Fondsmanager bei Allianz Global Investors, sieht die stabilen Banken im Dilemma: „Nehmen sie das Geld nicht, haben sie gegenüber der Konkurrenz Nachteile. Um ihre Wettbewerbsstärke nicht zu verlieren, müssen sie zugreifen.“

Banken, die schlecht gewirtschaftet haben und nicht wettbewerbsfähig sind, bekommen Geld und könnten die Sanierung ihrer Bilanzen einfach verschieben. Drastisch formuliert: Die EZB hält Zombie-Banken am Leben und ermöglicht gesunden Häusern Zusatzprofite, womöglich sogar über neue Finanzinstrumente. „Demnächst werden Investmentbanken Finanzinnovationen verkaufen, die Banken helfen sollen, möglichst viel aus den LTRO-Geldern herauszuholen“, fürchtet ein hochrangiger Notenbanker. National-Banker Lange sieht das mit Graus: „Die Finanzwirtschaft sollte Kreditgeber für die Wirtschaft sein und nicht andauernd Zusatzgeschäfte suchen“, fordert er. Wer das für naiv halte, solle sich an die Wurzeln der Finanzmarktkrise von 2007 erinnern: „Es war auch das billige Zentralbankgeld, das zu den Blasen an den Kapitalmärkten geführt hat, die sich jetzt wieder – wenn auch an anderen Stellen – aufblähen können.“

Langfristig droht Inflation

„Die Überschussliquidität wird in der Wirtschaft nicht gebraucht und landet stattdessen in Anlagemärkten“, sagt Huber von Starcapital. Tatsächlich ist parallel zum Dax-Anstieg die Kreditvergabe an Euro-Unternehmen im Februar gegenüber Januar um drei Milliarden Euro gesunken.

Solange das Geld nicht in der Wirtschaft ankommt, bleibt die Inflation niedrig. In Deutschland lag die jährliche Inflationsrate zuletzt im März bei 2,1 Prozent – nur leicht unter den 2,3 Prozent von Februar. Doch das Basisgeld – die Summe aus Euro-Bargeld und Einlagen der Banken bei der EZB – ist von Dezember bis Mitte Februar um zehn Prozent gestiegen. Und darin ist noch nicht das üppige zweite LTRO-Geschenk von Ende Februar enthalten. Rein theoretisch könnten die Banken zum derzeitigen Mindestreservesatz von einem Prozent das 100-Fache ihrer Zentralbankguthaben als Kredite an die Wirtschaft vergeben. Dann käme es zu einer galoppierenden Inflation.

Gefahr Konjunktur

Ben Bernanke Quelle: REUTERS

Erste Übersprungeffekte zwischen Anlage- und Gütermärkten gibt es durchaus: Starke Nachfrage nach Immobilien kann im Bausektor die Preise treiben; Rohstoffinvestments, etwa in Öl oder Industriemetalle, können Güterpreise und Lebenshaltungskosten steigen lassen. Die sicher nicht nur politisch durch die Irankrise und den Atomausstieg getriebenen Energiepreise und die aktuell hohen Lohnforderungen
senden Warnsignale.

Bis auf Weiteres werden die Banken den Großteil ihres Geldes bei der EZB lagern. Richtig gefährlich aber würde es, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Die EZB müsste das Geld dann sofort einsammeln, doch: „Die Banken werden es ihr nicht so leicht wieder überlassen“, sagt National-Banker Lange. Sie müsste ihnen dann schon für Einlagen einen Zins deutlich über Marktzins bieten. Dann würde die EZB aber so das Zinsniveau generell erhöhen und den zarten Aufschwung gefährden. Hinzu kommt: Banken würden Staatsanleihen verschuldeter Staaten auf den Markt werfen und das Geld lieber sicher und hoch verzinst bei der EZB anlegen. Dies aber würde die Staatsschuldenkrise erneut anheizen – die nächste Runde der teuflischen Spirale aus Verschuldung und Gelddrucken.

Was tun?

Vorsichtige setzen auf Streuung ihrer Anlagen, auch in Gold. Wer Risiken aushält, sollten die Börsenwelle reiten. Die Umschichtung von Investorengeldern in Richtung Aktien ist noch nicht vorbei.

„Der erfolgreiche Verschuldungsabbau bleibt die Voraussetzung dafür, dass sich die Märkte nachhaltig beruhigen“, sagt Andreas Utermann, Investmentchef von Allianz Global Investors. Doch das klingt wie Wunschdenken. Die Staatsschulden wachsen weiter, also schöpfen die Notenbanken Geld: Die Bank of Japan und die Bank of England kaufen Staatsanleihen, Chinas Zentralbank hat die Mindestreserveanforderungen für Banken seit Dezember zwei Mal gesenkt. Allen voran marschiert Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Fed, der gerade wieder versprach, die extrem lockere Geldpolitik fortzuführen.

Die Fed hat, so scheint es, gerade wieder den Staffelstab von der EZB übernommen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%