Geldpolitik Das Dilemma der EZB wird immer größer

Die Europäische Zentralbank steht angesichts der Unruhe im Bankensektor nach der Pleite der amerikanischen  Silicon Valley Bank unter erhöhtem Druck. Quelle: dpa

Im Kampf gegen die Inflation muss die EZB die Zinsen weiter erhöhen. Jedoch steigen so die Verluste in den Bilanzen der nationalen Notenbanken. Ein Abbau aufgeblähter Notenbankbilanzen könnte das lösen. Ein Gastbeitrag.

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Mit Spannung blicken die Teilnehmer an den Finanzmärkten an diesem Donnerstag nach Frankfurt, wo der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) über die Zinsen entscheidet. Nach der Pleite der kalifornischen Silicon Valley Bank und der Unruhe, die diese an den Märkten ausgelöst hat, erwarten die Analysten Hinweise von EZB-Chefin Christine Lagarde, wie es weiter geht mit den Zinsen. Angesichts der hohen Inflation hat die Notenbank die Leitzinsen seit Juli 2022 um insgesamt 300 Basispunkte angehoben. Das gilt für den Hauptrefinanzierungssatz ebenso wie für den Einlagenzins und den Zins auf die Spitzenrefinanzierungsfazilität.

Die geldpolitische Straffung sorgt nicht nur mit Blick auf die Auswirkungen auf die Konjunktur, sondern auch mit Blick auf die finanzielle Lage der Kreditinstitute und der Notenbanken für Diskussionen. Im Mittelpunkt steht dabei der Einlagenzins. Das ist der Zins, den die EZB den Geschäftsbanken zahlt, wenn diese Zentralbankgeld auf ihren Konten bei der EZB halten. Seit Beginn des Zinserhöhungszyklus hat die EZB den Einlagenzins von minus 0,5 auf nunmehr plus 2,5 Prozent angehoben.  Die Einlagen der Banken bei der EZB belaufen sich auf rund 4000 Milliarden Euro (Stand: Ende 2022). 

Der Ökonom Paul De Grauwe von der renommierten London School of Economics beklagt, dass die EZB die Banken durch die Anhebung des Einlagensatzes subventioniere. Nach Berechnungen von Nils Sonnenberg vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel fließen in diesem Jahr Zinszahlungen der EZB von 100 Milliarden Euro an die Banken, davon 34 Milliarden Euro an deutsche Banken. Und je höher die Zinsen steigen, desto höher fallen die Zahlungen aus.

Über die Gastautoren

Selbst verschuldetes Problem

Die nationalen Zentralbanken, die die Konten der Geschäftsbanken führen und verwalten, rutschen dadurch mehr und mehr in die Verlustzone.  Sie können keine Notenbankgewinne mehr an die nationalen Staatshaushalte überweisen. Für die Finanzminister bedeutet dies den Verzicht auf Einnahmen, was in der aktuellen konjunkturellen Flaute besonders schmerzhaft ist. Ein Dorn im Auge ist Kritiker besonders, dass die Geschäftsbanken selbst zwar beträchtliche Zinserträge von der EZB erhalten, ihrerseits aber bei den Zinsen für ihre Kunden knausern.  

Was jedoch oft übersehen wird: Das Problem der Notenbanken ist selbstverschuldet. Es ist eine Folge der ultralockeren Geldpolitik, die die Notenbanker im Rat der EZB beschlossen haben. Vor der Eurokrise hielten die Banken nur so viele Einlagen bei der EZB wie sie aufgrund der Mindestreserveverpflichtungen halten mussten. Das wären nach gegenwärtigem Stand der Dinge rund 166 Milliarden Euro, also nur ein Bruchteil der tatsächlichen Einlagen von 4000 Milliarden Euro. Die auf die Mindestreserven fälligen Zinsen lägen bei lediglich 4,15 Milliarden Euro.

Die Abstürze der Credit Suisse und der Silicon Valley Bank lassen die Finanzwelt beben. Sie sind keine Einzelfälle. Der überfällige Zinsanstieg wird weitere Banken durchrütteln.
von Melanie Bergermann, Malte Fischer, Julian Heißler, Matthias Hohensee, Michael Kroker, Theresa Rauffmann, Anton Riedl, Dieter Schnaas, Hendrik Varnholt, Sascha Zastiral, Lukas Zdrzalek

Höhere Margen für die Banken

Im Verlauf der Eurokrise hat die EZB jedoch im Rahmen der quantitativen Lockerung Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von etwa 5000 Milliarden Euro von den Geschäftsbanken gekauft und diesen im Gegenzug den Betrag auf den Zentralbankkonten gutgeschrieben. Auch die sogenannten gezielten längerfristigen Geldleihgeschäfte der EZB mit den Geschäftsbanken im Umfang von 2200 Milliarden Euro haben deren Guthaben bei der der EZB erhöht. Die gesamten Einlagen der Banken bei der EZB liegen derzeit daher weit über der Mindestreserve. 

2014 drückte die EZB den Einlagenzins in den negativen Bereich. Die Banken mussten seither Strafzinsen auf ihre Zentralbankguthaben zahlen. Das hat die Institute stark belastet. Dazu kommt, dass die anhaltende Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der EZB die Marge zwischen Kredit- und Einlagenzinsen geschmälert hat. Die Nettozinseinnahmen der Banken (Zinseinnahmen abzüglich Zinsausgaben) schrumpften.  Die Aktienkurse der großen Banken des Eurogebiets blieben auch deshalb im Gegensatz zu amerikanischen Banken im Keller. Die kleinen und mittleren Banken mussten Filialen schließen, Personal abbauen und fusionieren.

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Aus dieser Sicht ist die aktuelle Zinserhöhung der EZB nur eine Normalisierung der Geldpolitik, die es den Banken wieder ermöglicht, mit höheren Margen ihre Kosten zu decken. Höhere Margen sind auch deshalb wichtig, weil die Banken in der langen Niedrigzinsphase viele Immobilienkredite vergeben haben, deren Ausfallrisiko aufgrund der mittlerweile erfolgten Zinserhöhungen steigt. Höhere Margen ermöglichen es den Instituten, Rücklagen für mögliche Kreditausfälle zu bilden. Dass dies wichtig für die Stabilität des Bankensektors ist, hat der Bankrott der kalifornischen Silicon Valley Bank gezeigt. Nicht vergessen werden sollte bei der Bewertung der Auswirkungen der Geldpolitik auf die Bankbilanzen, dass die EZB die negativen Zinsen auf die gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte, die die Banken finanziell entlastet haben, mittlerweile suspendiert hat. 

Zinsaufwendungen belasten 

Kritiker, die eine Subventionierung der Banken durch die höheren Zinsen beklagen, sollten zudem bedenken, dass die Einlagen der Kunden bei den Geschäftsbanken sehr viel größer als die Einlagen der Banken bei der EZB sind. In Deutschland haben Haushalte und Unternehmen bei den deutschen Banken rund 3500 Milliarden Euro geparkt, während die Banken bei der Deutschen Bundesbank nur rund 1.200 Milliarden Euro halten. Höhere Zinssätze schlagen daher wegen der größeren Bemessungsgrundlage bei den Zinsaufwendungen der Banken bilanziell stärker zu Buche als bei den Zinserträgen. 

Zudem stehen den Einlagen der Kunden in den Bilanzen der Geschäftsbanken noch immer viele Staatsanleihen und Kredite gegenüber, die sich aufgrund der langjährigen Niedrigzinspolitik der EZB kombiniert mit den üblichen Zinsbindungen noch lange sehr gering verzinsen werden.

Will die EZB die Zinszahlungen auf die Zentralbankeinlagen der Geschäftsbanken nachhaltig senken, muss sie ihre Staatsanleihen an die Banken verkaufen, was die Guthaben der Banken bei der EZB reduziert. Dann fielen auch die Zinszahlungen der EZB an die Banken geringer aus.  

Aber die EZB verkauft keine Anleihen! Den Bestand der im Rahmen des Pandemischen Notfallkaufprogramms (PEPP) erworbenen Anleihen (1684 Milliarden Euro) wird sie bis mindestens Ende 2024 konstant gehalten. Die Anleihebestände aus dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) von 3.254 Milliarden Euro reduziert sie seit Anfang dieses Monats um etwa 15 Milliarden Euro pro Monat, indem sie die Hälfte der auslaufenden Anleihen nicht ersetzt. Insgesamt reduziert die EZB ihre Anleihebestände weit weniger stark als die US-amerikanische Federal Reserve Bank oder die Bank of England

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von Malte Fischer

Verkauf von Staatsanleihen 

So wird das Zins-Dilemma der EZB deutlich. Sie will einerseits die Inflation bekämpfen, indem sie die kurzfristigen Zinsen erhöht. Andererseits zögert sie, die langfristigen Zinsen durch den Verkauf ihrer Anleihen ebenfalls steigen zu lassen.  Der Grund dürfte die hohe Verschuldung von Italien, Griechenland und anderen Eurostaaten sein, die bei zu stark steigenden Zinsen Staatsbankrotte befürchten lässt. Das Dilemma wird nun dadurch verstärkt, dass höhere Leitzinsen zu Bilanzverlusten bei den nationalen Notenbanken und damit zu Einnahmenausfällen bei den Finanzministern führen. 

Paul de Grauwe hat daher vorgeschlagen, die derzeit freiwilligen (und verzinsten) Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB in nicht-verzinste Mindestreserven umzuwandeln. Die kurzfristigen Zinsen könnten dann weiter steigen, ohne dass die EZB und die Regierungen finanziell belastet würden. Allerdings würden die Geschäftsbanken geschwächt, während aufgrund der Leitzinserhöhungen der EZB die Kreditausfallrisiken steigen. Die Geschäftsbanken könnten dem nur entgegenwirken, indem sie die Kreditzinsen erhöhen und die Einlagenzinsen senken. Der Spielraum für beides ist derzeit gering, so dass die Wahrscheinlich von Bankrotten im Bankensektor steigen würde.

Insgesamt ist die Aussicht der Sparer auf höhere Einlagenzinsen gering, während die maßgeblich von der EZB geschaffene hohe Inflation die Kaufkraft der Ersparnisse weiter in einem rasanten Tempo auffrisst. Das wird sich auf die lange Frist nur ändern, wenn die EZB die kurzfristigen Zinsen schrittweise weiter erhöht und zugleich einen Großteil ihrer Staatsanleihen verkauft. 

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Steigen in der Folge die Finanzierungskosten für die Regierungen, geraten sie unter Druck, den Rotstift bei den Ausgaben anzusetzen und die Staatshaushalte zu konsolidieren. Das wäre schmerzhaft, würde aber zu einer Stabilisierung des Euros führen. Besser wäre es jedoch gewesen, die EZB hätte sich nie auf die Abenteuer der quantitativen Lockerung und der Negativzinspolitik eingelassen.

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