Geldpolitik der EZB Der Euro auf Talfahrt

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Ukraine-Krise belastet das Tagesgeschäft

Längere Flugrouten trieben die Kosten in die Höhe und drehten die Integration der Weltwirtschaft ein Stück weit zurück. Die Folgen dürften insbesondere die deutschen Unternehmen zu spüren bekommen. In einer Umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer gaben jüngst 58 Prozent der in Russland aktiven deutschen Unternehmen an, die Ukraine-Krise belaste ihr Tagesgeschäft. Die Ökonomen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages warnen, der Ukraine-Konflikt werde die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr einen Prozentpunkt Exportwachstum kosten.

Aus den übrigen Schwellenländern, wo die Geschäfte der europäischen Unternehmen in den vergangenen Jahren bombig liefen, kommen ebenfalls schlechte Nachrichten. Brasiliens Wirtschaft befindet sich in der Rezession, in China drücken rückläufige Immobilienpreise und -verkäufe auf das Wirtschaftswachstum, und in Indien dämpft die Hochzinspolitik die Konjunktur. Das erschwert es den Europäern, sich aus der Konjunkturflaute herauszuexportieren.

Die Reformverweigerung der Regierungen in Italien und Frankreich verschärft die Probleme noch. Regierungschef Matteo Renzi und Präsident François Hollande gefallen sich zwar darin, Reformen anzukündigen. Geliefert aber haben sie bisher so gut wie nichts. Italiens Wirtschaft schrumpft seit Jahren, das Bruttoinlandsprodukt liegt um zehn Prozent unter dem Niveau von 2008 (siehe Grafik). Nach Berechnungen der Ökonomen des Analyseinstituts Oxford Economics ist Italien das einzige Land Europas, in dem die Produktivität der Arbeitskräfte und der Maschinen seit dem Jahr 2000 anhaltend sinkt.

Reales Bruttoinlandsprodukt

Mangelnde Innovationsfähigkeit, schlechte Bildung, Korruption, Bürokratie

Mangelnde Innovationsfähigkeit, schlechte Bildung, Korruption, eine überbordende Bürokratie und ein zementierter Arbeitsmarkt liegen wie Mehltau auf der Wirtschaft. Außer einer Ministeuerentlastung für Geringverdiener und einer halb garen Senatsreform hat Renzi nichts zustande gebracht, was den Namen Reformen verdiente. Anfang September versprach er, Italien binnen 1000 Tagen zu einem „zivilisierten Land“ zu machen. Experten sind jedoch skeptisch. „Das Risiko, dass der Schwung verpufft und die Reformen ausbleiben, ist hoch“, sagt Nicola Nobile, Ökonomin von Oxford Economics.

Kaum besser sieht es in Frankreich aus. Die Wirtschaft leidet unter dem hypertrophen Staat, den die Regierung in den vergangenen Jahren mit immer höheren Steuern gemästet hat. Der Arbeitsmarkt ist stark reguliert, die Kooperationsbereitschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gering, die Arbeitslosigkeit hoch. Der Regierung fehlt der Wille, den Staatshaushalt zu sanieren. In der vergangenen Woche kündigte Finanzminister Michel Sapin an, die Regierung sehe sich außerstande, das Haushaltsdefizit wie versprochen 2015 unter die Maastrichter Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu drücken. Das sei frühestens 2017 möglich. Zuvor hatte die Regierung erklärt, die für das nächste Jahr vorgesehenen Einsparungen von 21 Milliarden Euro um ein bis zwei Milliarden Euro zu kürzen.

Der finanzpolitische Schlendrian, gepaart mit Nullwachstum, lässt die Staatsschulden Italiens und Frankreichs steigen. Verlieren die Märkte aber das Vertrauen in die beiden Länder, sind Hilfskredite durch den Euro-Rettungsschirm ESM kaum möglich. „Italien und Frankreich würden schon jeweils allein die Möglichkeiten des ESM bei Weitem überschreiten, da ihre Wirtschaftsleistung und ihr Anleihemarkt schlicht zu groß sind“, sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank.

Verbraucherpreise in der Euro-Zone

Druck auf EZB

So wächst der Druck auf die EZB, den Regierungen in Rom und Paris mit niedrigen Zinsen und höherer Inflation zu Hilfe zu eilen. „Die EZB wird zunehmend zum Ausputzer für die reformresistenten Regierungen“, kritisiert Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Nicht auszuschließen, dass die Reformverweigerung der Regierungen in Rom und Paris mit Kalkül erfolgt. Denn je schlechter es der Konjunktur und den Staatshaushalten in der Euro-Zone geht, desto stärker wird der Druck auf die EZB, die Staaten mit der Notenpresse zu finanzieren.

Der Währungsunion droht damit eine Entwicklung, wie sie Italien in den Siebzigerjahren erlebt hat. Um den Ausbau des Wohlfahrtsstaates zu finanzieren, räumte die italienische Zentralbank Banca d’Italia damals dem Finanzminister eine Kreditlinie von 14 Prozent des Budgets zu einem Minizinssatz von einem Prozent ein. Später kaufte sie Anleihen des Staates, die dieser nicht am Markt platzieren konnte. 1975 befanden sich bereits 48 Prozent aller Staatspapiere im Besitz der Banca d’Italia. Die Folge der hemmungslosen Gelddruckerei war Inflation. In der Spitze schoss die Teuerungsrate auf 26 Prozent in die Höhe.

Die Haushaltsfinanzierung mit der Notenpresse ließ bei den Politikern in Rom alle Hemmungen fallen. Das Haushaltsdefizit sprang von drei Prozent vom BIP im Jahr 1970 auf zehn Prozent 1975. Der Schuldenberg wuchs von 36 Prozent der Wirtschaftsleistung 1969 auf 56 Prozent im Jahr 1975. Die Konsequenz: Italiens Währung ging auf steile Talfahrt.

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