Geldpolitik Die geldpolitische Geisterfahrt der EZB geht weiter

Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Quelle: dpa

Die Europäische Zentralbank hält an ihren Nullzinsen fest und will weiterhin Wertpapiere kaufen. Das wird die Bürger Europas teuer zu stehen kommen. Ein Kommentar. 

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Was für eine Woche! Selten hat es so viele und wichtige Entscheidungen von Zentralbanken in nur einer Woche gegeben wie in dieser. Erst beschließt die US-Notenbank Fed vor dem Hintergrund rasant steigender Inflationsraten schneller aus der ultralockeren Geldpolitik auszusteigen. Dann erhöht die Zentralbank von Norwegen wegen steigender Inflationsraten den Leitzins, anschließend folgt ihr die Bank von England. Wer erwartet hat, dass nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) die Zeichen der Zeit erkannt hat und die geldpolitischen Zügel strafft, der hat sich jedoch getäuscht. 

Statt den anderen Zentralbanken auf dem Weg zu einer den Stabilitätsgefahren begegnenden Geldpolitik zu folgen, trägt die EZB weiter Scheuklappen und geriert sich als Schutzmacht der hoch verschuldeten Südländer der Eurozone. Anders lassen sich die Entscheidungen, die die Frankfurter Währungshüter heute getroffen haben, nicht interpretieren. 

Fragwürdige Beschlüsse

So kündigte die EZB an, die Anleihenkäufe im Rahmen ihres Pandemie-Notfallprogramms (PEPP) im ersten Quartal nächsten Jahres zwar herunterzufahren und Ende März auslaufen zu lassen. Im Gegenzug aber will sie die Käufe im Rahmen des schon länger laufenden Wertpapierkaufprogramms (APP) im zweiten Quartal auf 40 Milliarden Euro pro Monat verdoppeln. Im dritten Quartal sollen die APP-Käufe auf 30 Milliarden und im vierten Quartal auf 20 Milliarden Euro pro Monat zurückgefahren werden. Ein Ende der Käufe hat die EZB allerdings nicht in Aussicht gestellt. 

Zudem kündigte EZB-Chefin Christine Lagarde an, die EZB könne die Käufe im Rahmen des PEPP jederzeit wieder aufleben lassen, sollte sie dies für erforderlich halten, um die negativen Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Diese Anschlusskäufe seien nicht a priori begrenzt, ihr Umfang hänge vielmehr von den Umständen und den Entscheidungen des EZB-Rats ab, erklärte Lagarde auf der Pressekonferenz. Die EZB verschafft sich dadurch einen unbegrenzten Spielraum, innerhalb dessen sie diskretionär entscheiden kann, ob und wann „negative Schocks“ als Folge der Pandemie vorliegen und mit welchen Kaufvolumina sie diesen zu begegnen gedenkt. 

Darüber hinaus beschlossen die Notenbanker, die zufließenden Tilgungen für auslaufende Wertpapiere im Rahmen des PEPP bis mindestens Ende 2024 in den Kauf neuer Anleihen zu stecken. Das ist ein Jahr länger als bisher vorgesehen. Das soll die EZB befähigen, flexibel auf Unsicherheiten zu reagieren, erklärte Lagarde.

Griechenland-Rettung 2.0

Was die EZB unter flexibel versteht, macht der Beschluss deutlich, die Wiederanlage der Tilgungszahlungen nach eigenem Gusto auf Wertpapierklassen, Laufzeiten und Länder zu verteilen. Dies beinhaltet ausdrücklich auch die Möglichkeit, Tilgungsmittel über das Ausmaß der auslaufenden Anleihen hinaus in den Kauf von griechischen Staatsanleihen zu stecken, um das Land bei der Erholung von der Pandemie finanziell zu unterstützen. 

Konkret heißt das: Läuft etwa eine deutsche Staatsanleihe aus, kann die EZB mit den Tilgungsmitteln griechische statt erneut deutsche Staatsanleihen erwerben. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil Hellas-Anleihen von den Rating-Agenturen noch immer als Ramschanleihen bewertet werden. Dank des heutigen Beschlusses bleibt Griechenland bis mindestens Ende 2024 über die Wiederanlage der Tilgungsmitteln auf dem Kaufzettel der EZB. Deren Bilanzqualität dürfte sich dadurch massiv verschlechtern. 

Hauptziel: Erhalt der Währungsunion

Die Entscheidung zugunsten Griechenlands, einem notorischen Staatsbankrotteur, macht deutlich, worum es der EZB jenseits aller Stabilitätslyrik geht: Die Finanzierungskosten für die hochverschuldeten und bankrottgefährdeten Regierungen des Kontinents sollen auf Biegen und Brechen niedrig gehalten werden, um die dysfunktionale Währungsunion vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. 

Dazu passt, dass Lagarde höhere Leitzinsen für 2022 faktisch ausschloss. So sollen die Geldbeschaffungskosten nicht erhöht werden, solange die EZB noch Anleihen über das APP kauft. Dieses läuft nach Maßgabe der heutigen Beschlüsse noch mindestens bis Ende nächsten Jahres. 



Von einer geldpolitischen Wende, wie sie die Fed und die Zentralbanken von Norwegen und Großbritannien eingeleitet haben, kann in der Eurozone also keine Rede sein. Und das, obwohl die EZB höchstselbst ihre Inflationsprognose für das nächste Jahr gegenüber ihrer bisherigen Schätzung auf nunmehr 3,2 Prozent fast verdoppelt hat. Das Festhalten an der expansiven Geldpolitik begründete Lagarde mit dem Hinweis, die Inflation werde sich mittelfristig wieder unter dem Zielwert der Notenbank von 2,0 Prozent einfinden.

Verletzung des gesetzlichen Auftrags

Angesichts der weltweiten Preisentwicklung und der Reaktion anderer Zentralbanken darauf kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die EZB sich ihr stabilitätspolitisches Weltbild immer wieder so zurechtzimmert, dass es zu ihrem prioritären Wunsch passt, die hochverschuldeten Südländer auf Dauer mit Niedrigzinsen durchzufüttern. 

Mit einer stabilitätspolitisch verantwortungsbewussten Geldpolitik haben die heutigen Entscheidungen der EZB daher wenig, mit einer flagranten Verletzung ihres gesetzlichen Auftrags umso mehr zu tun. Die geldpolitische Geisterfahrt der Frankfurter Währungsbehörde geht weiter – die Unfallkosten, die sie verursacht, werden die Bürger und Geldnutzer zu tragen haben.

Mehr zum Thema: Die US-Notenbank Federal Reserve will den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik beschleunigen und kündigt höhere Leitzinsen an. Für die EZB wird die Lage jetzt ungemütlich. Die Fed setzt die EU-Zentralbank mächtig unter Druck.

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