So einen Andrang wie dieses Mal gab es selten bei einer Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank. Auf dem Willy-Brandt-Platz in Frankfurt positionierten sich die Fernsehkameras. Der Konferenzraum im Euro-Tower war selten so vollbesetzt.
Wie seit Wochen erwartet, senkte die Europäische Zentralbank den Leitzins von 0,25 Prozent auf ein neues Rekordtief von 0,15 Prozent. Außerdem reduzierte sie den Einlagenzinssatz von Null auf minus 0,10 Prozent.
Dazu kommt ein milliardenschweres Maßnahmenpaket, mit dem die EZB die Gefahr einer Deflation bekämpfen will - obwohl eine Deflationsgefahr gar nicht bestehe, wie EZB-Präsident Draghi sagte.
Aber je länger die Phase der niedrigen Teuerung anhalte, "umso größer werden die Risiken". Und das sei es, worauf die Notenbank nun reagiere, nachdem sie ihre Prognosen zur Inflation habe nach unten korrigieren müssen. Dieser Logik muss man auch erst einmal folgen können.
Uneingeschränkte Versorgung
Gezielte Liquiditätsspritzen sollen die Kreditvergabe von Banken an Unternehmen ankurbeln, um so die schwächelnde Konjunktur im Euroraum in Schwung zu bringen. Die EZB kündigte an, die Banken der Eurozone noch bis Ende 2016 uneingeschränkt mit Liquidität zu versorgen. Sie sagte außerdem, sie treffe Vorbereitungen, ein groß angelegtes Programm zum Aufkauf von Kreditpapieren (ABS) zu "intensivieren".
Draghi kündigte zudem zwei Notenbankkredite mit vierjähriger Laufzeit für die Geschäftsbanken. Jede Bank, die sich dabei Geld leihe, müsse dieses dann an die Realwirtschaft weiterverleihen - also an Unternehmen. "Da wird es Überprüfungen geben", sagte Draghi.
Dieses Programm soll erst im September starten. Offenbar, um nicht in Konflikt mit der gerade stattfindenden Überprüfung der Bankbilanzen im Rahmen des Stresstests zu geraten.
Hilft die neue Geldschwemme? Einen Effekt hat Draghi erzielt: die Schwächung des Euro. Der Kurs der Gemeinschaftswährung fiel nach der Bekanntgabe des Zinsentscheids im Vergleich zum Dollar bis zu 0,3 Prozent auf 1,3558 Dollar. Fragt sich nur, wie nachhaltig das ist.
Aber kann ein noch niedrigerer Zinssatz die Banken tatsächlich dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben? Kann die EZB mit ihren Liquiditätsspritzen in Milliardenhöhe die notwendigen Strukturreformen in den Ländern steuern? Wohl kaum.
Sicherlich ist es ein kluger Schachzug, die zusätzliche Kreditvergabe gezielt steuern zu wollen. Aber die EZB kann die Banken nicht zwingen, Kredite zu vergeben.
Das Problem ist auch gar nicht die Kreditklemme, sondern die schwächelnde Nachfrage nach Krediten. Die südlichen Euroländer stehen vor dem Problem der Überschuldung.
Enteignung der Sparer? "Nicht unser Problem"
Tatsächlich birgt vor allem das Experiment mit negativen Zinsen mehr Gefahren als positive Effekte. Die Banken können dem "Strafzins" ausweichen, indem sie ihr Geld im Ausland anlegen. Sie können die Kosten dafür an ihre Kunden weiterleiten.
Genau das taten die Banken in Dänemark und Schweden, als die Zentralbanken dort einen Negativzins einführten. Was das bedeutet? Die Enteignung der Sparer geht weiter.
"Nicht unser Problem", sagte Draghi. Die Weitergabe der Kosten an die Sparer entscheide ja nicht die EZB, sondern die Banken. So kann man es auch sehen - und den schwarzen Peter an die Banken weiterreichen.
Was passiert eigentlich, wenn nun die deutschen Sparer ihre Sparkonten plündern, damit ihr Erspartes auf dem Sparbuch nicht auch noch weniger wert ist - und es dafür lieber unter die Matratze stopfen? Denn fest steht: Zu mehr Konsum wird ein negativer Zins sicherlich nicht führen. Die Menschen könnten eher noch mehr sparen, um fürs Alter vorzusorgen. Auf jeden Fall geht damit die Verunsicherung der Sparer weiter.
Nun könnte man die Meinung vertreten, lasst die EZB doch spielen mit ihren Instrumenten der Geldpolitik – solange sie damit keinen Schaden anrichtet. Das tut sie aber zwangsläufig - indem sie noch mehr Liquidität in die Finanzmärkte pumpt. Denn dann drohen neue Blasen.
Wenig überraschend: An der Börse kam die Öffnung der Geldschleusen bestens an. Der deutsche Leitindex Dax sprang erstmals in seiner Geschichte über die Marke von 10.000 Punkten.