Geldpolitik Madame Lagarde, so wird das nichts mit dem Kampf gegen die Inflation!

EZB-Chefin Christine Lagarde bei der Pressekonferenz am 10. März. Quelle: imago images

Die EZB deutet ein Ende ihrer Anleihenkäufe an und macht den Weg für eine Zinserhöhung im späteren Verlauf dieses Jahres frei. Doch damit kommt sie zu spät, um die Inflation einzudämmen. Ein Kommentar.

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In den vergangenen Jahren hat es viele Treffen der Europäischen Zentralbank (EZB) gegeben, auf denen wichtige Entscheidungen anstanden. Doch selten steckten die Notenbanker dabei so tief im Dilemma wie bei ihrer Zusammenkunft am Donnerstag. Der Krieg in der Ukraine macht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unkalkulierbar. Seine preistreibenden und zugleich konjunkturdämpfenden Folgen zwingen die EZB, Farbe zu bekennen. Wie hält sie es mit der Stabilität des Preisniveaus in außerordentlichen Zeiten wie diesen? Folgt sie ihrem Mandat, das Preisniveau stabil zu halten oder lässt sie aus Rücksicht auf die Konjunktur und die Interessen hochverschuldeter Regierungen die Inflation laufen?

Mit ihrer heutigen Entscheidung hat die EZB versucht, sich dieser klaren Richtungsentscheidung zu entziehen und durchzuwursteln. In der Hoffnung, die Inflation – aktuell liegt sie in der Eurozone bei 5,8 Prozent – werde schon irgendwie wieder verschwinden, am besten von allein. Die Entscheidung am Donnerstag spiegelt den Konflikt zwischen den Tauben und den Falken, den inflationsgeneigten Süd- und den stabilitätsorientierten Nordländern wider, der die Politik der EZB seit Jahren prägt. 

So erklärte EZB-Chefin Christine Lagarde in der Pressekonferenz, bei der Diskussion im EZB-Rat seien (wieder einmal) divergierende Ansichten über den richtigen Kurs in der Geldpolitik aufeinandergeprallt. Während einige Mitglieder des Rats aus Sorge um die Konjunktur und die Finanzierungskosten der Regierungen am liebsten gar nicht auf die rasant steigenden Teuerungsraten reagiert hätten, plädierten andere für eine zügige und bedingungslose Normalisierung der Geldpolitik. 

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Fauler Kompromiss 

Am Ende entschied man sich für einen faulen Kompromiss, der den Erfordernissen einer an der Preisstabilität ausgerichteten Politik nicht ausreichend Rechnung trägt. Das Pandemie-Notfallkaufprogramm (PEPP) legt die EZB wie bereits angekündigt Ende dieses Monats auf Eis, kann es bei einem Wiederaufflammen der Pandemie aber jederzeit reaktivieren. Zudem will die EZB die im Rahmen dieses Programms auslaufenden Anleihen noch bis mindestens Ende 2024 durch den Kauf neuer Anleihen ersetzen. 

Das Anleihekaufprogramm APP soll noch bis Ende Juni fortgeführt werden. Sein weiteres Schicksal hängt von den Inflationsdaten ab. Sollte der Preisauftrieb weiter hoch bleiben, werde das APP im Laufe des dritten Quartals eingestellt, erklärte Lagarde. Die Leitzinsen will die EZB erst „einige Zeit nach“ dem Ende des APP schrittweise anheben. Auf die Frage, was „einige Zeit“ bedeute, antwortete Lagarde, dies könne eine Woche aber auch einen Monat bedeuten. Den engen zeitlichen Konnex zwischen dem Ende des APP und der ersten Zinserhöhung, den die EZB bisher immer betont hatte, hob sie damit auf. 

Beobachter gehen nun davon aus, dass die Währungshüter das APP im Verlauf des dritten Quartals zu den Akten legen und im späteren Verlauf dieses Jahres die Zinsen ein bis zwei Mal anheben werden. Zum Ende des Jahres könnte der Einlagensatz, der aktuell minus 0,5 Prozent beträgt, den Negativbereich verlassen haben. 

Lagarde betonte auf der Pressekonferenz, wegen der Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg lege die EZB hohen Wert auf Flexibilität und Optionalität in der Geldpolitik. Längerfristige Festlegungen des Instrumenteneinsatzes seien derzeit nicht das Gebot der Stunde, künftige Entscheidungen in erster Linie an den Daten auszurichten. 

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Fragwürdige Inflationsprognosen

Man könnte darin einen gesunden Pragmatismus in unsicheren Zeiten sehen. Der Punkt ist nur: ließe sich die EZB tatsächlich von den Daten lenken, hätte sie schon längst gehandelt. Denn die Teuerungsraten überschreiten nicht erst seit gestern deutlich den Zielwert der Notenbank von zwei Prozent. Statt zu handeln, klammerten sich die Währungshüter lange an die Hoffnung, der Höhenflug der Preise sei nur ein vorübergehendes Phänomen. Auch dann noch, als die Mehrheit der Konjunkturexperten aus Banken und Instituten ihre Inflationsprognosen schon längst nach oben korrigiert hatten. 

So mutet denn auch die neue Inflationsprognose der EZB wie eine weitere Folge aus der Serie Wünsch-Dir-Was an. Schon im nächsten Jahr sieht die EZB die Inflation auf 2,1 Prozent fallen, im Folgejahr soll sie mit 1,9 Prozent den Zielwert von zwei Prozent sogar leicht unterschreiten. Und das trotz des noch immer enormen Geldüberhangs und der inflationstreibenden Faktoren wie den hohen Staatsausgaben, der Dekarbonisierung, der Demografie und der Deglobalisierung. 

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die EZB-Ökonomen ihre Modellprognosen immer wieder so kalibrieren, dass sie ihnen als selbstreferenzielle Argumentationsschleife für das Festhalten an ihrer viel zu lockeren Geldpolitik dienen. Die EZB mag mit ihrer heutigen Entscheidung die Tür für einen ersten Zinsschritt in diesem Jahr einen Spalt breit geöffnet haben. Doch das ist zu wenig und kommt viel zu spät, um der sich entfaltenden Inflationsdynamik das Fundament zu entziehen. 

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Insofern darf die heutige Entscheidung der EZB trotz anderslautender Lippenbekenntnisse von Madame Lagarde als Beleg dafür gewertet werden, dass es den Notenbankern nicht in erster Linie um Stabilität der Preise, sondern um die Finanzierung der hochverschuldeten Regierungen mit der Notenpresse geht. 

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