Gemeinschaftshaftung Darum würden Coronabonds nichts nützen

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Die drei ungeklärten Fragen beim Anleihen-Kaufprogramm

Mit ihrer mitternächtlichen Entscheidung, ein Pandemie-Notanleihenkaufprogramm aufzulegen, hat die EZB nur sehr kurzfristig eine Beruhigung der Anleihenmärkte sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen erreicht. Dies mag daran liegen, dass bei näherem Hinschauen die Bedingungen dieses Anleihenkaufprogramm präzisionsbedürftig bleiben. Dazu gehören:

  • Die weitere Verwässerung der Kollateralbedingungen: Diese sogenannte qualitative Lockerung müsste von der EZB präzisiert werden. Insbesondere müsste gesagt werden, ob Banken auch ermächtigt sind, Zentralbankgeld gegen Sicherheiten zu erhalten, die unterhalb der bisher geforderten Minimalbonität liegen. Hiervon hängt es ab, wie stark die Banken ggf. auch Wertpapiere mit schlechter Bonität am Tresen der Zentralbank in Liquidität umwandeln können. So lange aber nicht deutlich ist, wie weit die EZB hier gehen wird, bleibt auch der Ankündigungseffekt von kurzfristiger Natur. Geht die EZB wie bereits in der ersten Eurokrise so weit, diese Kollateralanforderungen stark zu senken, so werden Risiken, die bisher in den Banken in unterschiedlicher Weise verteilt sind, in das Eurosystem verlagert und letztlich dem Steuerzahler aufgebürdet.
  • Dass sich aufgrund einer Pandemie das griechische Risiko so verbessert haben soll, um es nunmehr als beleihungswürdig im Rahmen der Repogeschäfte anzusehen, bedarf einer Begründung, die die EZB bislang scheut.
  • Dass von nun an auch kurzfristige Finanzierungsinstrumente, wie „Commercial Paper“, notenbankfähig sein sollen, deutet an, wohin die Reise gehen könne: Auch Geldmarktpapiere werden von der EZB als notenbankfähig und damit zur Refinanzierung zugelassen angesehen. Die EZB ist mit ihrem Notfallprogramm einen Schritt in Richtung „wir kaufen alles, was man uns anbietet“ gegangen. Erst wenn sie diese Logik – die vollständig konträr zu den Forderungen in ihrer Satzung nach angemessen abgesicherten Pfändern steht – gegangen ist, würden sich wahrscheinlich die Märkte beruhigen. Abgesehen davon hat sie damit, wenn auch verschleiert einen gewaltigen Schritt zur Gemeinschaftshaftung getan. Diese kommt indessen lediglich durch die Hintertür und zwar durch solche Anleihen, die „Corona“ als Camouflage-Namen tragen

Diese Gemeinschaftshaftung könnte nun offen durch den Vorschlag der Herren Bofinger, Dullien, Hüther und Felbermayer Realität werden. Gott sei Dank hat ihr Vorschlag nicht übersehen, dass der ESM für derartige Anleihen weder ein Mandat hat, noch die Zustimmung der Parlamente in den Niederlanden und in der Bundesrepublik Deutschland bekommen würde. Wenn der ESM gleichwohl einen Arbeitsauftrag erhalten sollte, derartige Anleihen für die Europäische Union vorzubereiten, so dürften sich die Steuerzahler in der europäischen Union keine Illusionen über die Wirkungen machen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der durch staatliches Unterlassen ausgelösten Coronakrise wären auch Gemeinschaftsanleihen kaum geeignet, die virusbedingte Lahmlegung der Volkswirtschaften zu beenden. Länder, die vom Virus besonders gebeutelt werden wie gegenwärtig Italien und Spanien könnten sich jederzeit auf Art. 122 AEUV berufen und aus dem Budget der EU jene Finanzmittel verlangen, die sie zur Überwindung der Krise benötigen.

Indessen scheitert die Lieferung von medizinischer Ausrüstung wie Atemschutzmasken und Beatmungsgeräten gegenwärtig nicht etwa an finanziellen Mitteln, sondern an der industriellen Verfügbarkeit. Es sagt viel über den Zustand Europas, dass die wesentlichen Hilfslieferungen in das vom Virus gepeinigte Italien aus der Volksrepublik China, Russland und sogar Kuba kommen.

Der Vorschlag der neuen Wissenschaftler-Allianz ist also ungeeignet, um die Weiterungen der Coronakrise in den Griff zu bekommen. Deshalb sollte man die Dinge auch beim Namen nennen: Mit der Begebung von Gemeinschaftsanleihen würde in den Mitgliedsländern der europäischen Union die Fiskaldemokratie endgültig abgeschafft. Die europäische Union hat definitiv keine Anleihenkompetenz. Sie erhält lediglich Budgetzuweisungen von den Mitgliedsländern.

Das europäische Budget mit ca. 140 Milliarden Euro ist ausreichend dotiert, um Hilfszuweisungen für Länder wie Italien und Spanien, aber ggf. auch andere Länder in die Wege zu leiten. Die Begebung einer Anleihe hätte nicht nur den Nachteil, sondern die fatale Wirkung, dass nunmehr nicht mehr die Mitgliedsländer, über ihr Haushaltsgebaren - also Einnahmen und Ausgaben - abzustimmen hätten, sondern eine kleine, demokratisch nie gewählte Bürokratie in Brüssel. Die Deutschen und die Niederländer könnten sich dann mitnichten dagegen wehren, für Schulden zu haften, über die sie nie zuvor entschieden haben. Kein geringerer als Otmar Issing hat immer wieder vor dem Antagonismus von Eurobonds und Demokratie gewarnt.

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