Generalsekretärin des Schiedsgerichts ICSID „Wir haben Riesenschritte zu mehr Transparenz gemacht“

Quelle: imago, Montage

Meg Kinnear, Generalsekretärin des weltweit wichtigsten Schiedsgerichts für Investitionsschutzverfahren, über Kritik an ihrer Institution – und geplante Reformen.

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WirtschaftsWoche: Frau Kinnear, Schiedsverfahren für Investitionsschutz sind in den vergangenen Jahren stark in die Kritik geraten. Ist das ein europäisches Phänomen?
Frau Meg Kinnear: Einige unserer stärksten Unterstützer kommen aus Europa, und viele europäische Unternehmen klagen bei uns gegen Staaten. In Europa hat die Kritik zugenommen, als Klagen gegen europäische Staaten eingereicht wurden. Da wurden die Menschen stärker aufmerksam auf uns. Neben Vattenfall geht es um mehrere Energiefälle und auch Bankenkonkurse. Selbst die fortschrittlichsten Regierungen fällen Entscheidungen, die nicht mit den Investitionsschutzabkommen vereinbar sind.

Wie intransparent sind Sie? EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bezeichnet ICSID und andere Streitschlichtungsinstitutionen als „Geheimgerichte“.
Es stimmt nicht mehr, dass wir intransparent sind. In der Anfangszeit in den 60er Jahren hatte schlicht niemand an Transparenz gedacht. Im Gegenteil, in einem geschäftlichen Umfeld wurde Vertraulichkeit damals eher als Vorteil angesehen. Aber seit 2006 haben wir Riesenschritte zu mehr Transparenz gemacht. Drittparteien können an den Verfahren teilnehmen, öffentliche Anhörungen sind möglich, immer mehr Dokumente sind zugänglich.

Sie planen weitere Reformen. Was genau streben Sie an?
Wir wollen noch mehr Dokumente veröffentlichen, nicht nur die Schlussentscheidungen, sondern auch die Zwischenentscheidungen, damit das, was passiert ist, nachvollziehbar wird. Unsere Mitglieder werden darüber entscheiden.

Ist das alles?
Das Hauptproblem sind die Verfahrensdauer und -kosten. 80 Prozent der Kosten sind Anwaltskosten der beiden streitenden Parteien. Es ist schwierig, diese Kosten zu senken. Meist gibt es einen Zusammenhang zwischen Verfahrensdauer und -kosten. Wenn die Verfahren schneller werden, sollten auch die Kosten sinken. Man muss dabei allerdings einen Ausgleich finden zwischen Geschwindigkeit und Fairness. Viele der Fälle sind komplex, man gewinnt nicht, wenn man das Tempo zu sehr forciert.

Wie lange dauern die Fälle im Schnitt?
Dreieinhalb Jahre.

Und dann gibt es aber Fälle wie Vattenfall gegen Deutschland, wo sich das Verfahren schon seit sechs Jahren hinzieht.

Die Bundesregierung hat jetzt die Unbefangenheit der Richter in Zweifel gezogen. Was sagt das aus über die Richter, die für ICSID tätig werden?
Es gibt ja noch keinen Beschluss dazu, eine Befangenheit wurde also nicht festgestellt. Interessant ist ja auch, dass Deutschland einen Richter ausgesucht hat, Vattenfall auch, und der Vorsitzende Richter von beiden benannt wurde. Die Bundesregierung stellt jetzt die Richter in Frage, die sie selbst bestellt hat. Es kommt übrigens sehr selten vor, dass eine Partei die Unbefangenheit aller drei Richter anzweifelt.

Wir haben sehr strenge Standards für die Unabhängigkeit unserer Richter, die bei ihrer Ernennung eine sehr umfangreiche Erklärung abgeben müssen. Und wir haben einen Sicherungsmechanismus eingebaut. Die Unbefangenheit kann angezweifelt werden – wie es jetzt passiert ist. Ich kann die Idee, dass ICSID-Schiedsrichter voreingenommen sein sollen, schwer nachvollziehen.

Geht es der Bundesregierung drum, Zeit zu kaufen?
Da müssen sich deren Rechtsberater fragen. Wir wollen künftig die Zeit einer solchen Anfechtung übrigens stark begrenzen – auf 19 Tage. Damit soll vermieden werden, dass sich ein Verfahren verzögert.

Werden Sie bei ICSID arbeitslos, wenn ein multilateraler Investitionsgerichtshof entstehen würde, wie ihn die EU vorschlägt?
Wir sind ja schon eine internationale Organisation. Wir haben schon alle Mechanismen, die bei einem multilateralen Gerichtshof notwendig würden. Wir haben Mitarbeiter, Prozesse, Technologie – alles was man braucht. Es wäre eine kosteneffiziente Art, ICSID als Startpunkt zu wählen.

Hilft es Ihnen bei Ihrer Arbeit, dass ICSID Teil der Weltbank ist?
Sie haben die Glaubwürdigkeit einer internationalen Organisation, die weltweiten Wohlstand fördert. Es geht darum, Jobs zu schaffen, Steuereinnahmen zu generieren, Technologie. Das ist nützlich.

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