




Deutschland und Frankreich treten nach der brutalen Eskalation der Gewalt in der Ukraine gemeinsam für Sanktionen ein. Vor einem Krisentreffen der Europäischen Union (EU) an diesem Donnerstag forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande, die Verursacher der Gewalt zu bestrafen. Merkel sagte, die Ausschreitungen dürfe man „nicht einfach hinnehmen“. Beide warnten zugleich davor, den Kontakt zu Präsident Viktor Janukowitsch abreißen zu lassen. Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lehnte eine Rolle als Vermittler ab.
Hollande sagte am Mittwoch nach einer Sitzung des deutsch-französischen Ministerrats in Paris: „Diejenigen, die sich für diese Taten zu verantworten haben, müssen wissen, dass sie auf jeden Fall sanktioniert werden.“ Merkel mahnte bei der gemeinsamen Pressekonferenz, bei Sanktionen müssten auf jeden Fall die Verantwortlichen bestraft werden. „Es hat im Augenblick keinen Sinn Sanktionen zu machen, die die Zivilbevölkerung treffen.“
Zuvor hatte Bundespräsident Joachim Gauck in ungewöhnlichen deutlichen Worten die Gewalt verurteilt. „Es ist nicht hinnehmbar, was wir dort erleben: dass gegen friedliche Demonstranten mit dieser Härte vorgegangen wird, dass Todesopfer zu beklagen sind“, sagte Gauck in Berlin. Er versicherte: „Wir stehen an der Seite derer, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dort kämpfen. Wir Europäer lassen die Demokraten dort nicht allein.“
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
Die EU-Außenminister treffen sich an diesem Donnerstag in Brüssel, um über Strafmaßnahmen zu beraten. Parallel dazu soll allerdings die Suche nach einer politischen Lösung weitergehen. Merkel sagte: „Sanktionen allein reichen aber nicht. Wir müssen den politischen Prozess wieder in Gang bringen.“ Dazu sollten auch die Kontakte „in Richtung Russland“ genutzt werden.
Der Konflikt in der Ukraine war vergangenes Jahr durch Janukowitschs Entscheidung ausgelöst worden, ein bereits ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis zu legen. Stattdessen nahm die Ukraine einen russischen Milliardenkredit in Anspruch. Bei schweren Straßenschlachten wurden seit Dienstag mindestens 26 Menschen getötet und vermutlich mehr als tausend verletzt.
Merkel bezeichnete die Bilder vom Unabhängigkeitsplatz (Maidan) als „schockierend“. „Wir werden alles in unserer Kraft Stehende dafür tun, damit ein politischer Dialog wieder in Gang kommt.“ Dabei gehe es um die Bildung einer Übergangsregierung und freie Wahlen. Dabei sei man auch zu Gesprächen mit Janukowitsch bereit. Voraussetzung sei allerdings, dass der Präsident „auch zu diesen Gesprächen zu Verfügung steht“.
Ex-Kanzler Schröder lehnte es ab, in dem Konflikt eine Vermittlerrolle zu übernehmen. „Die Vermittlung im Ukraine-Konflikt kann keine Einzelperson übernehmen“, sagte der 69-Jährige dem Nachrichtenportal „Spiegel Online“. Stattdessen schlug er vor, die Vereinten Nationen einzuschalten. „Man wird in der jetzigen Situation eine Institution brauchen, die mit beiden Seiten reden kann - und das können nur die Vereinten Nationen sein.“
Zugleich kritisierte der SPD-Politiker die bisherige Rolle der EU. Die „einseitige Unterstützung der Europäer für die Opposition“ mache eine Vermittlung der EU unmöglich. „Europa hat den Fehler gemacht, sich auf eine Seite zu schlagen. Es ist nun selbst Partei.“ Im Gespräch ist auch, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vermitteln zu lassen. Dort führt derzeit die neutrale Schweiz den Vorsitz.