Wegen der Kriegsgräuel in Syrien erhöhen Kanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen Druck auf Russland - und schließen neue Sanktionen nicht aus. Was mit russischer Unterstützung in der zerbombten syrischen Stadt Aleppo passiere, sei völlig unmenschlich, sagte Merkel am Donnerstag vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. „Die Priorität ist heute, den Waffenstillstand zu verlängern“, betonte der französische Präsident François Hollande und sprach von Aleppo als „Märtyrer-Stadt“.
Merkel hatte erst am Mittwochabend in Berlin mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Syrien- und die Ukrainekrise gesprochen und kündigte an, ihren EU-Kollegen darüber zu berichten. Schon zu Beginn plädierte sie aber für eine harte und klare Haltung. Es müsse daran gearbeitet werden, in Aleppo nicht nur stundenweise, sondern einen dauerhaften Waffenstillstand hinzubekommen. Tatsächlich hatte Russland angekündigt, eine zunächst nur auf wenige Stunden angelegte Feuerpause für die nordsyrische Stadt zu verlängern. Allerdings gab es dort am Donnerstag trotzdem weiter Gefechte.
Im Kreis der EU-Staaten deutete sich Unterstützung für eine harte Linie an. Die Drohung mit Sanktionen wurde in den Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels aufgenommen. Hinter der Formulierung stehen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur Staaten wie Frankreich und Großbritannien. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte: „Wir sollten alle Optionen offenhalten, einschließlich Sanktionen, wenn die Verbrechen anhalten.“
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Allerdings soll bei dem zweitägigen Treffen jetzt noch nicht über weitere Strafmaßnahmen entschieden werden. Auch gab es zurückhaltendere Stimmen, darunter von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern sagte, man müsse zwar ganz klar sagen, dass es zu einem nicht tolerablen Verstoß gegen Menschenrechte gekommen sei. „Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, über Sanktionen zu diskutieren, sondern darüber, wie wir den Friedensprozess wieder in Gang bekommen.“
Die 28 Staats- und Regierungschefs hatten sich eine dichte Agenda mit weiteren brisanten Themen vorgenommen. Zunächst wollten sie darüber beraten, wie die irreguläre Migration nach Europa weiter einzudämmen ist. Die EU setzt dabei unter anderem auf sogenannte Migrationspartnerschaften mit afrikanischen Ländern, damit weniger Menschen kommen und mehr in ihre Heimat zurückkehren, wenn sie kein Bleiberecht bekommen. Von Griechenland aus sollen mehr Menschen in Richtung Türkei zurück geschickt werden.
Die Freihandelsabkommen
Ceta ist die Abkürzung für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Die technischen Verhandlungen begannen 2009, beendet wurden sie 2014. Am 27. Oktober soll Ceta unterzeichnet werden. Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Ceta gilt auch als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), das den weltgrößten Wirtschaftsraum mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen würde. Kritiker sehen durch beide Abkommen unter anderem demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt.
TTIP ist ein sich in der Verhandlung befindendes Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA. Seit Juli 2013 verhandeln Vertreter beider Regierungen geheim – auch die nationalen Parlamente der EU erhalten keine detaillierten Informationen.
In dem Abkommen geht es um Marktzugänge durch den Abbau von Zöllen. Zudem sollen globale Regeln entwickelt werden – etwa zur Vereinheitlichung von Berufszugängen innerhalb der Handelszone. Auch Gesundheitsstandards und Umweltstandards sollen angeglichen werden.
Als Blaupause für das Abkommen gilt CETA.
Auch der ungelöste Streit über das Ceta-Abkommen mit Kanada wird die Staats- und Regierungschefs beschäftigen. Der belgische Ministerpräsident Charles Michel äußerte die Hoffnung, dass es doch noch rasch eine Lösung geben könne. Tusk äußerte sich allerdings auf Twitter besorgt über den Stand der Ceta-Beratungen. Derzeit blockiert die Regierung der belgischen Region Wallonie das Abkommen, das eigentlich bereits nächste Woche Donnerstag unterzeichnet werden soll.
Erstmals nahm in Brüssel die neue britische Regierungschefin Theresa May an einem EU-Gipfel teil. Sie sollte ihren Kollegen über den Stand der Vorbereitungen des Austritts ihres Landes aus der Gemeinschaft berichten. Großbritannien werde ein „starker und verlässlicher Partner“ bleiben, versicherte sie vorab. Bundeskanzlerin Merkel rechnete nicht mit einer ausführlichen Debatte über die Brexit-Entscheidung.