Görlachs Gedanken
Wenn Populismus zu Regionalismus wird Quelle: dpa

Ein echter Populist ist heute Regionalist

Horst Seehofer, Charles Puigdemont und Matteo Salvini haben gezeigt, welche Rolle Regionalismus spielt. Italiens Innenminister Salvini treibt es auf die Spitze. Er würde sich freuen, wenn Italien untergeht.

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Italien entfernt sich zunehmend von der Europäischen Union. In dem Land, immerhin Gründungsmitglied der EU, macht sich die neue links-rechts-populistische Regierung daran, Brüssel das bevorstehende ökonomische Chaos in die Schuhe zu schieben. Matteo Salvini, der Chef der rassistischen Lega-Nord, der mit der Forderung nach der Abspaltung des wohlhabenden Norditaliens vom armen Süden in die Politik eingetreten war, behauptet, dass „ausländische Kräfte“ es auf das Land abgesehen hätten und bereit seien, an den Finanzmärkten gegen es zu wetten.

Von „ausländischen Kräften“ fabulieren andere Populisten auch sehr gern: So sieht der türkische Machthaber Feinde der Türkei aufmarschieren und die Lira entwerten. Die Masche der Populisten ist hier immer die gleiche: Das eigene Versagen auf die anderen lenken, um für den Fall des totalen Untergangs die Schuld von sich weisen zu können. Die Anleger sind in der Tat in Aufruhr, denn Italiens neue Führung hat der Bevölkerung großzügige Mehrausgaben versprochen, ohne dabei zu klären, wie sie das bezahlen möchte.

Gerade die Rhetorik des Lega-Chefs zeigt, wie die EU mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden soll. Das Europa der Regionen war lange Zeit das Schlagwort gegen nationalistische Alleingänge und geschichtsvergessene Überlegenheitsfabeln der einen über eine andere Bevölkerung. In dem neuen Europa sollte die Nation zurücktreten, um über das Partikulare, das allen eigen ist, ein neues Gemeinsames zu schaffen, das Europa der Regionen. In der Welt eines Salvini ist die Region die neue Nation. Die Abgrenzung wird nun über noch kleinere Parzellen vorgenommen: Der Norden Italiens ist dem Süden überlegen, die wirtschaftlich starken Mailänder den zurückgebliebenen, überforderten Neapolitanern überlegen. Dem korrespondiert eine ökonomische Vorstellungswelt, die über die Parzelle, die Scholle des heimischen Bauern nicht hinweg reichen möchte. Dieses Denken ist die Fortsetzung dessen, was die USA und China auf der großen Bühne derzeit als Handelskrieg inszenieren. Vorteile für die größtmögliche Zahl an Menschen gilt nicht mehr. Ich, ich und wieder ich ist die Grundformel jeder „First“-Politik.

Dass man mit diesem neuen, abgrenzenden Regionalismus Erfolg haben kann, haben die Populisten in Katalonien gezeigt: Mit der Annahme, Katalonien sei eine erwählte Region, die den „Nachbarn“ Spanien nicht brauche, zogen die Separatisten im vergangenen Jahr in ein Unabhängigkeitsreferendum. Die autonome Region Katalonien hat sich damit ins Aus katapultiert, denn sie wird keineswegs von einem übermächtigen Spanien unterdrückt, wie der Chef der Bewegung, Charles Puigdemont, stets behauptete, sondern ist per Verfassung, die alle Regionen unterzeichnet haben, mit Spanien als Teil Spaniens verbunden. Genauso verhält es sich in Italien, wo der Norden und der Süden gleiche Teile des einen Staates Italien sind. Ähnliches haben wir in Deutschland gesehen, als eine regionale Splitterpartei, die CSU in Bayern, das eigene Profilierungsinteresse über das der Bundesrepublik Deutschland gestellt und damit den Regierungsbruch riskiert hat. Ein echter Populist ist heute Regionalist, wie es Horst Seehofer, Charles Puigdemont und Matteo Salvini sind.

Der regionalistische Populist Salvini würde sich daran freuen, wenn Italien scheitert und untergeht. Aus den Trümmern sieht er sein glorreiches Padanien, so nennt die Liga ihr Wunschland im Norden Italiens, auferstehen. Was in diesem Szenario aus dem Süden wird, kümmert Salvini herzlich wenig. Das klingt alles fantastisch? Das ist die Welt, in der sich Populisten bewegen. Und ein rationaleres Argument für sein Orakeln gibt es nicht: normalerweise versuchen Regierungen, Anleger eher zu beruhigen als aufzuscheuchen. Manche Beobachter sehen in der rhetorischen Volte den Versuch Salvinis, Italiens Finanzminister dazu zu bewegen, Ausgaben, die das Land über die Defizitgrenze von drei Prozent bugsieren würden, zuzustimmen. Auch hier würden solidarische Prinzipien missachtet und das eigene Profilieren über das Wohlergehen der meisten gestellt.

Die Fliehkräfte nehmen zu in Europa. Die Saat der Populisten geht in Italien in einem Land auf, dass sich, bis zur Rettungspolitik vor wenigen Jahren, höchster Zustimmungswerte für die Europäische Union erfreute. Man traute Brüssel mehr zu als den eigenen Regierungen, von denen es ja zahlreiche gab.
Klar ist: Ein Ausscheiden Italiens aus dem Euro würde die Union nicht verkraften. Die Populisten, die Solidarität für ihre regionale Sache fordern, brächten eine solche Solidarität nicht auf für die vielen Millionen Menschen, die sie in den Strudel, der ihre Forderungen erzeugt, hinabreißen. Das ist die neue, hässliche Fratze eines zur Unkenntlichkeit entstellten Regionalismus, der, als Bollwerk gegen Nationalisten einst installiert, heute von den Populisten gegen seine Schöpfer in Stellung gebracht wird.

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