Görlachs Gedanken
Recep Tayyip Erdogan Quelle: AP

Erdogans Tage im Amt dürften gezählt sein

Die Türkei ist eine Demokratie auf Abruf. Das möchte Machthaber Erdogan der Welt vermitteln, wenn auf seinen Druck die Wahlen in Istanbul wiederholt werden müssen.

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Die Türkei ist eine Demokratie auf Abruf. Das möchte Machthaber Erdogan der Welt vermitteln, wenn auf seinen Druck die Wahlen in Istanbul wiederholt werden müssen. Denn mit den so genannten „strong men“, den „starken Männern“ wie ihm ist es aber so eine Sache: sie werden ganz schnell unleidlich, wenn es nicht nach ihrem Willen geht. Autokrat Erdogan war einmal Oberbürgermeister von Istanbul. Es hat den Unfehlbaren also sehr geschmerzt, dass die Einwohner der zugleich traditionellen wie weltoffenen Metropole seinem Parteikandidaten den Stuhl vor die Rathaustür stellen wollten. Das kann nicht sein!

Die Realität in der Türkei ist aber unverändert: die Hälfte der Bevölkerung hat weder für Erdogan noch seine Verfassungsänderung gestimmt, mit der die Demokratie Schritt für Schritt ausgehebelt wird. Auch in Deutschland ist der Mann nicht so stark wie er glauben machen will: von den drei Millionen türkisch-stämmigen Menschen, die in Deutschland leben, war rund die Hälfte bei der letzten Wahl 2018 wahlberechtigt, die Hälfte von ihnen ging zur Wahl und davon wählten rund 420.000 Menschen Herrn Erdogan, also einer von sieben. Allmacht sieht anders aus.

Als sich der chinesische Führer Xi zum Präsidenten auf Lebenszeit salben ließ, sahen das einige Kommentatoren als höchste Weihe und Manifestation unbeschränkter Macht an. Das Gegenteil ist wahr: Deng Xiao-ping, der China bis auf den heutigen Tag am maßgeblichsten und viele würden sagen positivsten geprägt hat, konnte dem Land seine Modernisierungsidee offerieren, ohne dafür zum Herrscher gekürt worden zu sein. Wahre Autorität zeigt sich im Dienen.

Und was unumschränkte Macht-Fantasien betrifft, sei an den Alexis de Tocqueville zugeschriebenen Ausspruch erinnert: „Nur Gott kann ohne Gefahr allmächtig sein“. Der Autor von „Demokratie in Amerika“ und französische Aristokrat, der den Übergang vom Gottesgnadentum in die Demokratie in Frankreich und die Entstehung der Demokratie in Amerika beobachtete und kommentierte, irrte und irrt hier nicht:

Präsident Xi hat viele Gegner, gleiches gilt für Erdogan in der Türkei. Die Allmachtsallüre, die sie geben, sind Simulation. Es ist daher entscheidend, dass die freie und demokratische Welt Zeichen sendet an die Opposition in diesen Ländern und kräftig unterstützt. Ein solches Engagement zeigt, dass man zwischen der Führung des Landes und den Menschen drinnen sehr wohl unterscheiden kann. Denn die Ablehnung Erdogans bedeutet nicht, dass die Türkei oder die Türken damit zugleich abgelehnt würden. Gleiches gilt für China. Denn die Bevölkerung ist der Souverän der Demokratie. In einer Demokratie gibt es deshalb nur Regierende, keine Herrschenden. Erdogans Tage im Amt dürften gezählt sein.

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