Görlachs Gedanken

Noch ist Polen nicht verloren

Alle schauen auf den fürchterlichen Freund Erdogan, dabei liegt eine akute Bedrohung viel näher: Der autoritäre Kurs der neuen polnischen Regierung wird zum Wirtschaftsnachteil für Europa und Deutschland – wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten.

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Noch ist Polen nicht verloren. Quelle: dpa

Anders als seine Nachbarn und jene Länder, die seit dem Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, war Polen ein besonderes Land der Hoffnung. Denn mit der Solidarnosc-Bewegung traten die Nachbarn der Deutschen einst eine Bewegung los, die am Ende auch eine Opposition gegen die kommunistische Zwangsherrschaft in der DDR begünstigte und ihr Auftrieb verlieh.

Heute reibt man sich verwundert die Augen und sieht in diesem Nachbarn immer mehr eine scheiternde Demokratie. Die neue nationalkonservative, klero-katholische Partei demontiert die Gewaltenteilung und mit ihr die Grundlage der liberalen Demokratie. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird angegriffen, kritische Journalisten werden zu Feinden der Nation erklärt.

Die Entwicklung wirkt so wie in der Türkei und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in Polen die Wirtschaft, ebenso wie am Bosporus, in Mitleidenschaft gezogen werden wird.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Und das ausgerechnet in Polen, einem Land, das relativ unbeschadet aus der letzten großen Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist und sich seit dem Ende des Kommunismus ökonomisch gut entwickelt hatte. In den Städten des Landes gab es eine Modernisierung, eine Liberalisierung, die den konservativen Kräften im Land zwar ein Dorn im Auge war, aber die Macht der Kirche einhegte und etwa liberalere Abtreibungsgesetze durchsetzte.

Der Streit um das polnische Verfassungsgericht

Nun aber ist Polen mit einem Schlag sogar noch schlimmer dran als das autokratisch regierte Land Ungarn. Dessen Präsident Viktor Orban erntete schon zügig nach seinem Amtsantritt massive Kritik aus anderen EU-Ländern. Polens klero-katholische Gestalt wurde hingegen lange Zeit eher als Freilichtmuseum einer untergehenden Gesellschaftsordnung angesehen und von Europa ignoriert - was sich als desaströse Fehleinschätzung entpuppte.

Denn die neue polnische Regierung artikuliert sich in der Flüchtlingskrise als Feind der Menschlichkeit und Empathie. In ihrer Einschätzung der Lage und in ihrer Bereitschaft, gegen Flüchtlinge muslimischen Glaubens Stellung zu beziehen, stellt sie bisweilen die deutsche AfD in den Schatten.

Deutschland muss sich seiner Verantwortung bewusst bleiben

Man muss in der Frage der Flüchtlingsaufnahme, anders als der Autor dieser Kolumne, nicht mit der Bundeskanzlerin in allen Fragen einverstanden sein. Der Minimalkonsens unter liberalen Demokraten, Christenmenschen und Rechtsgelehrten sollte hingegen sein, dass man gemäß der Genfer Konvention und des humanistischen Werte-Kanon der Europäischen Union Empathie für Flüchtlinge aufzubringen in der Lage sein muss.

Dass ausgerechnet eine Nation wie Polen, deren Regierung sich zur Speerspitze des Katholizismus und zu Rettern des Abendlands erklärt, vollkommen von diesen Prinzipien abzurücken scheint und in der Behauptung einer Notlage, die durch diese Flüchtlinge für die polnische Heimat entsteht, rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft setzt, das hätte man in Deutschland und in manch anderen europäischen Kapitalen nicht zu träumen gewagt.

Die Wahrnehmung einer äußeren Bedrohung, die für Polen im Laufe seiner Geschichte immer real war - Deutschland muss sich hier seiner Verantwortung, die aus dieser und seiner Geschichte erwächst, bewusst bleiben -, soll offenbar auch in freien Zeiten nach dem Willen der neuen polnischen Regierung das Narrativ des Landes bestimmen.

Wer diese Eigenart der politischen Vergangenheit aber vorsätzlich im Bewusstsein hält, will vor allem Ressentiments schüren – und die Polen in ihrer Angst vor dem äußeren Feind hinter seiner Rhetorik sammeln und einschließen. Diese neue Form der Isolation gehen die Polen, anders als in ihrer bisherigen Geschichte, bewusst und freiwillig ein - zumindest jene, die sich für die Regierungspartei PiS begeistern und sie wählen.

So gerät die liberale Demokratie in Polen immer mehr unter Beschuss. Und während Europa, während Deutschland, mit Bangen in Richtung Türkei schaut, wird der Hoffnungsträger der neunziger Jahre von einer rechtsnationalen Regierung in einen klero-faschistischen, antiliberalen Staat umgebaut.

Noch ist nicht alles verloren, denn in Polen gibt es eine Zivilgesellschaft und - noch - eine parlamentarische und außerparlamentarische Opposition. Sie zu stärken, muss nun oberstes Ziel für uns Europäer sein.

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