Der frühere EU-Kommissionschef und Meister des Bonmots, Jean-Claude Juncker, hat ein zentrales Dilemma der Politik prägnant beschrieben: Regierungschefs wüssten, was zu tun sei, aber sie wüssten nicht, wie sie wiedergewählt würden. Anders gesagt: Die langfristig richtige Politik tut kurzfristig oft so weh, dass Wähler sie mit einem Kreuz auf dem Stimmzettel beenden.
Klimapolitik ist ein perfektes Beispiel für dieses Problem. Die 27 EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, den Kohlenstoffausstoß bis 2050 auf Null zu senken, um das Klima zu retten. Die Energiewende wird aber nur gelingen, wenn der Ausstoß von CO2 mit einem Preisschild versehen wird. Der absehbare Unmut darüber wird Wahlsiege in der Übergangsphase erschweren.
Aktuell explodieren die Energiepreise, noch bevor die grüne Wende überhaupt richtig begonnen hat. Die Gasvorräte in der EU sind gering, und die Nachricht, dass Frankreich zwei Atomkraftwerke herunterfahren muss, ließ den Preis für Stromlieferungen nach Deutschland im kommenden Jahr in einem Satz um zehn Prozent springen. Die Staats- und Regierungschefs lagen beim jüngsten EU-Gipfel am Donnerstag beim Thema Energiepreise so weit auseinander, dass sie sich nicht einmal auf eine gemeinsame Formulierung einigen konnten.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Wirtschaftsminister Robert Habeck wissen, dass der Green Deal ohne die soziale Abfederung der Energiepreise nicht funktionieren wird. Darüber, was den Wählern bevorsteht, sollten sie jetzt schon offen kommunizieren. Mit Schweigen werden sich Wahlen auch nicht gewinnen lassen.
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