




Die Wahlforscher haben sich wieder einmal geirrt: Alexis Tsipras hat die Wahl in Griechenland am gestrigen Sonntag mit einem deutlich größeren Vorsprung gewonnen als prognostiziert. Tsipras hat damit erneut bewiesen, dass er ein Stratege ist. Seine Taktik, Neuwahlen auszurufen, um seine Machtbasis zu stärken, ist aufgegangen. Noch kurz vor der Wahl war unsicher, ob sein Pokerspiel aufgehen würde.
Tsipras ist gestern etwas gelungen, woran seine Vorgänger scheiterten: Er ist der erste griechische Ministerpräsident seit Ausbruch der Krise, der ein Rettungsprogramm unterschrieben hat und wieder gewählt wurde. Sowohl sein Vorgänger Giorgos Papandreou (Pasok) als auch Antonis Samaras (Nea Demokratia) bekamen vom Wähler keine zweite Chance.
Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die neue Sitzverteilung im Athener Parlament der alten so stark ähneln würde.
Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands
"Letztendlich entscheidet das Referendum am Sonntag darüber, ob Griechenland in der Währungsunion bleibt. Wenn sich die Griechen dafür aussprechen, kann die Staatengemeinschaft ein solch demokratisches Votum nicht übergehen. Dann werden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Bei einem negativen Votum kommt es dagegen zum Grexit. (...) Bis dahin tobt ein Nervenkrieg. Die Kapitalverkehrskontrollen reichen zunächst erst einmal aus, um das Schlimmste zu verhindern. Aber die Kontrollen behindern die Wirtschaft, ebenso wie die von der Syriza geschaffene Unsicherheit. Das ist wirtschaftlich ein verlorenes Jahr für Griechenland. Für Deutschland spielt das keine Rolle. Nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte gehen dorthin."
„Natürlich wird der Dax zunächst leiden, aber fundamental ist die Wirtschaft in Takt (...) Der Rückschlag wird nicht von Dauer sein."
"Für Griechenland wird es jetzt ganz schwierig. Europa versucht, den Schaden für andere Euro-Länder zu begrenzen. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit gelingen. Die EZB hat bereits erklärt, dass sie die Lage an den Finanzmärkten genau verfolgt und notfalls eingreifen wird. Bei größeren Turbulenzen, die der Konjunktur gefährlich werden könnten, könnte die EZB ihre Anleihekäufe zeitlich nach vorne ziehen oder aufstocken. Sie könnte auch Anleihen bestimmter Länder wie Spanien und Italien früher kaufen. Sie könnte noch deutlicher darauf verweisen, dass es das ultimative Sicherheitsprogramm - das sogenannte OMT-Programm - auch noch gibt."
"Mit einer solchen Wendung haben nur wenige gerechnet. Kapitalverkehrskontrollen, vor allem aber die hohe Unsicherheit der kommenden Wochen und Monate dürften die letzte Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung in Griechenland zunichte machen. Ein Staatsbankrott Griechenlands bedeutet nicht automatisch Grexit. Im besten Fall könnten die Entwicklungen dieser Tage nun dazu führen, dass Europa einen Insolvenzmechanismus für Staaten entwickelt - ganz so, wie die erste Griechenlandkrise vor fünf Jahren zu einem Rettungsmechanismus für Staaten führte. Spannend bleibt, ob und wie andere populistische Kräfte in Europa von den Entwicklungen profitieren. Die Polarisierung zwischen etabliertem Lager und Populisten dürfte in den kommenden Monaten weiter steigen."
"Weder der Grexit noch die Staatspleite sind zwingend. Es hängt sehr davon ab, wie das Referendum ausgeht. Wenn es zu einer Ablehnung kommt, wäre Griechenland auf schiefer Ebene unterwegs in Richtung Euro-Abschied. Die EZB hat die Kapitalverkehrskontrollen praktisch erzwungen, indem sie die Notfallkredite an griechische Banken nicht weiter erhöht hat. Wenn die EZB sie wieder aufstockt nach einem positiven Votum der Griechen, dann wären sie in diesem Umfang nicht mehr notwendig. Die Folgen für die Wirtschaft sind sehr negativ. Durch die Kapitalverkehrskontrollen werden die Geschäfte von Unternehmen und deren Abwicklung über die Banken behindert. Das dürfte die Konjunktur weiter beschädigen.
Die direkten Folgen für die Wirtschaft in der Euro-Zone und Deutschland dürften begrenzt sein - Griechenland ist zu klein, die Handelsverflechtungen zu gering. Man muss aber abwarten, wie stark die Marktturbulenzen sein werden. Denn die könnten auf die Realwirtschaft durchschlagen."
Tsipras Koalitionspartner, die Unabhängigen Griechen (Anel), schaffen es wider Erwarten erneut ins Parlament und verhelfen Tsipras zu einer absoluten Mehrheit. Koalitionsverhandlungen mit einer anderen Partei, die Tsipras ohne Zweifel vor große Herausforderungen gestellt hätten, bleiben ihm nun erspart.
Am meisten Genugtuung dürfte Tsipras das schlechte Abschneiden der Syriza-Abtrünnigen verschaffen, die sich unter dem Namen Volkseinheit abgespalten haben. Sie haben den Einzug ins Parlament verfehlt. Immerhin 25 Abgeordnete wollten sich unter Führung von Panagiotis Lafazanis als diejenige Kraft profilieren, die den internationalen Geldgebern die Stirn bieten. Die Wahl hat nun aber gezeigt, dass eine Partei, die sich gegen den Euro und für die Drachme ausspricht, in Griechenland nicht auf Zustimmung trifft.
Auch wenn der Sieg von Tsipras unerwartet deutlich ausfiel - die eigentlichen Probleme hat er noch vor sich. Die Partei ist nicht so geeint, wie es scheint. Die Untergruppe 53plus ist mit dem Hilfsprogramm nicht einverstanden und würde Tsipras gerne daran hindern, es umzusetzen.
Die internationalen Geldgeber erwarten von Tsipras aber, dass er sich so schnell wie möglich daran macht, die Vereinbarungen vom August einzuhalten. Der Zeitplan hat sich wegen der Wahlen ohnehin schon ein wenig nach hinten verschoben. Zahlreiche Vorgaben, etwa zur Rentenreform und zur Einführung von Sozialhilfe, sollten im September erfüllt werden. Während des Wahlkampfs herrscht aber Stillstand.
Tsipras muss nun zeigen, ob er die Absprachen ernst nimmt, oder ob er nur geblufft hat, um sein Land im Euro zu halten. Tsipras muss nun vor allem den Nachweis bringen, dass er tatsächlich regieren kann. In den vergangenen sieben Monaten war davon wenig zu sehen. Die erste Amtszeit von Tsipras war vom Konflikt mit den Geldgebern geprägt.
Wenn Tsipras die Vorgaben aus dem Hilfsprogramm umsetzen will, dann muss er sich mit einem dichten Geflecht von Interessengruppen anlegen, die in Griechenland seit Jahrzehnten Veränderungen verhindern. Das erfordert nicht nur Strategie, sondern auch Ausdauer. Gelingen kann der Umbau des Landes nur mir einer starken Verwaltung - und genau daran haperte es bisher. Die erste Regierung Tsipras litt stark darunter, dass auf der Fachebene in den Ministerien Experten fehlen. Ob er die nun holen wird, und ob geeignetes Personal willig ist, aus der Privatwirtschaft zu wechseln, muss sich erst herausstellen.
Die internationalen Partner haben sich damit abgefunden, dass sie mit Tsipras zusammenarbeiten müssen. Anders als beim Referendum im Juli haben Politiker von außen auf Wahlempfehlungen und somit auf eine Einmischung von außen verzichtet. Sollte Tsipras die Spielregeln der Geldgeber nicht einhalten, könnte schon schnell der Grexit wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Glaubwürdigkeit der zweiten Regierung Tsipras wird womöglich früher getestet, als ihm lieb ist.