„Es ist ein Querschnitt durch die griechische Gesellschaft“, sagt Dr. George Tzogopoulos, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Griechischen Stiftung für Europa- und Außenpolitik. Die Demonstranten stehen für die griechische Mittelklasse - diejenigen, die am meisten leiden. Sie protestieren, weil ihre Familien und Freunde betroffen sind und sie sich nicht mit dem abfinden wollen, was in ihrem Land passiert. Und sie stehen dort, weil sie nicht mehr an die Maßnahmen glauben: „Ihre Botschaft ist ganz klar: Wir können nicht mehr!“, sagt Tzogopoulos.
Zukunftsszenarien für Griechenland
Die Eurogruppe billigt einen Schuldenschnitt, die Banken erlassen dem Land daraufhin 100 Milliarden Euro. Somit gibt es auch grünes Licht für weitere Hilfen der Eurozone in Höhe von insgesamt 130 Milliarden Euro. Die Europäische Zentralbank (EZB) füllt eine Finanzlücke, damit Griechenlands Schuldenstand bis 2020 wie angepeilt sinken kann. Im Gegenzug unterwirft sich Griechenland einer strikten Überwachung der EU und gibt Kompetenzen in der Haushaltspolitik ab. Das Land leidet noch jahrelang unter Einsparungen, innenpolitischer Unruhe und Rückschlägen. Der Weg zu einer Erholung ist lang und mühsam.
Die Eurozone will zunächst keine weitere Hilfe zusagen. Problem ist der für 2020 trotz Hilfspaket und Gläubigerverzicht erwartete Schuldenstand von 129 Prozent der Wirtschaftskraft, anstatt der angestrebten 120 Prozent. Der Rettungsplan muss also überdacht werden. Zudem wählen die Griechen im April. Die Euro-Länder wollen das Votum abwarten und mit den dann regierenden Parteien Vereinbarungen über Einsparungen und Reformen treffen, bevor sie weiteres Geld überweisen. Mit restlichen Mitteln aus dem ersten Hilfsprogramm wird ein im März drohender Bankrott vorerst verhindert.
Nach zwei Jahren Schuldenkrise nimmt die Eurozone einen Kurswechsel vor: Griechenland soll kontrolliert in die Pleite geführt werden, jedoch in der Eurozone bleiben. Nun kommen Milliardenkosten nicht nur auf die privaten Gläubiger, sondern auch auf die EZB zu: Athen ändert per Gesetzesänderung die Haftungsklauseln für seine Staatsanleihen - und erzwingt einen Verzicht. Die EU arbeitet an einem finanziellen und wirtschaftlichen Neustart des Landes, der ebenfalls viel Geld kostet.
Der Rettungsplan scheitert, die Griechen haben zudem Vorschriften und Kontrolle der Euro-Länder satt. Das Land erklärt seinen Bankrott und die Rückkehr zur Drachme. Wirtschaft und Finanzbranche werden über das Land hinaus erschüttert, Firmen und Banken gehen pleite. Die Kaufkraft der Griechen nimmt massiv ab, soziale Unruhen sind die Folge. Mit der Drachme sind griechische Produkte auf dem Weltmarkt zwar billiger, ein positiver Effekt auf die marode Wirtschaft zeigt sich jedoch nur sehr langsam. Die Europäische Union bemüht sich mit Konjunkturprogrammen, den weiteren Absturz des Landes zu mildern.
Der jüngste Vorschlag der Regierung sieht Ausgabenkürzungen, Einsparungen bei den Renten und Steuererhöhungen im Umfang von 13,5 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren vor. Ministerpräsident Antonis Samaras erklärte, ohne die Zustimmung zu weiteren Steuererhöhungen und der Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre werde Athen am 16. November das Geld ausgehen.
Katia Santonadi kann sich derweil das Leben in Athen nur noch leisten, weil sie bei ihrem Freund lebt. Der hat das Haus seiner Großeltern geerbt – deshalb kann er die Miete sparen. Katia Santonadi lebte bisher in einer eigenen Wohnung, aber die war ohne Gehalt nicht zu halten. Wieder zu den Eltern ziehen, wäre die Alternative gewesen, die vielen jungen Griechen als einzige Möglichkeit bleibt.
Jetzt lebt sie von Tag zu Tag. Anfang 2013 läuft ihr Vertrag aus. Wird ihre Zeitung bis dahin nicht wieder gedruckt, ist auch sie offiziell arbeitslos, wie derzeit jeder Vierte in Griechenland. Bei den jungen Menschen unter 24 ist es sogar jeder Zweite. An ihrem Alltag würde das nicht viel ändern. Arbeiten kann sie im Moment sowieso nicht – zumindest nicht für Geld.
Es sind kalte Fakten die zwischen einer Flut aus Negativschlagzeilen aus Spanien und anderen EU-Ländern in Deutschland ankommen. Doch während man hierzulande den Krisen-Themen kaum noch folgen kann, desto härter werden die Griechen getroffen: persönlich, zuhause, auf der Arbeit – sofern sie noch einen Job haben – und im Freundeskreis. Immer mehr Menschen sind arbeitslos, und immer mehr Menschen leben unter der Armutsgrenze. Und wenn sie auch immer noch gering ist: Die Zahl der Selbstmorde ist gestiegen und steigt weiter.