Was folgt daraus? Wie realistisch ist der Grexit? "Die Wahrscheinlichkeit eines Ausscheidens Griechenlands aus der Währungsunion ist in den vergangenen Tagen gestiegen", sagt Oliver Höing, Dozent am Jean Monnet Lehrstuhl an der Universität Köln. "Dennoch glaube ich noch, dass irgendwie ein Weg gefunden wird, den Grexit zu verhindern." Höing schätzt die Chancen auf eine Einigung auf 50,5 Prozent ein, wetten würde er auf einen glimpflichen Ausgang der Krise aber nicht.
Der europäische Rettungsfonds ESM
Der ESM soll über eine effektive Darlehenskapazität von 500 Milliarden Euro verfügen. Bei diesem maximalen Darlehensvolumen soll es unabhängig von den Verpflichtungen des auslaufenden Rettungsfonds EFSF bleiben. Um das Volumen tatsächlich zu erreichen, soll der ESM mit 700 Milliarden Euro ausgestattet sein. Davon entfallen 80 Milliarden Euro auf Bareinlagen und 620 Milliarden auf abrufbares Kapital in Form von Garantien. So soll die Bestnote bei der Kreditwürdigkeit („AAA-Rating“) garantiert sein.
Private Geldgeber und Inhaber von Staatsanleihen wie Banken und Versicherer sollen an Rettungsmaßnahmen nach den Regeln des Internationalen Währungsfonds (IWF) beteiligt werden. Es geht um Praktiken, die die Märkte und Mitgliedstaaten kennen. Auf schärfere Vorgaben wurde verzichtet. Die Umschuldungsklauseln in Staatsanleihen der Euro-Länder (Collective Action Clauses/Cacs), sollen weiter in den ESM eingebracht werden. Die Entschuldung Griechenlands mit einem freiwilligen Verzicht der Gläubiger auf ihre Forderungen soll aber ein Einzelfall bleiben.
Ist die Finanzstabilität der Eurozone bedroht, kann der ESM mit einer Mehrheit von 85 Prozent des Kapitalschlüssels entscheiden. (Quelle: dpa)
Eine Schlüsselrolle kommt den beiden Schwergewichten Frankreich und Deutschland zu. Sie müssen einen Kompromiss finden, den beide Seiten ihren Blöcken verkaufen können. Während Frankreich das Lager der Griechenland-Versteher repräsentiert, hoffen die Athen-Kritiker auf eine "eiserne Kanzlerin". Bei allen wichtigen europäischen Entscheidungen in der Vergangenheit sei es so gewesen, dass sich der Europäische Rat um die beiden Führungsnationen gescharrt habe, weiß Höing. Handeln Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande einen Kompromiss aus, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Einigung "fundamental". Einzig: Deutschland darf Frankreich (und damit den Griechenland-Befürwortern) nicht zu weit entgegenkommen. Sonst meutern möglicherweise die Griechenland-Gegner.
Die Kritik im Baltikum und bei Slowenen, Slowaken, Finnen und Niederländer ist - wie oben gezeigt - sehr groß. Die Slowakei scherte schon einmal aus; beim ersten Hilfspaket hielt sich die Slowakei raus. "Im Nachgang musste sich das Land häufiger den Vorwurf gefallen lassen, unsolidarisch zu sein", so Höing, der sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit der Konstruktion und Arbeitsweise des Rettungsschirms ESM befasst hat. "Die Slowakei musste sich viel Kritik bei den Treffen der Euro-Gruppe gefallen lassen; eine Zeit lang hatten sie es schwer, glaubhaft in der Euro-Rettungspolitik mitreden zu können." Die Folge: Nach einem Regierungswechsel änderte die neue slowakische Führung den Kurs und beteiligte sich an den EFSF-Krediten für Irland und Portugal sowie an den Griechenland-Hilfen aus dem zweiten Rettungspaket.
Europa
Dass ein Land die Griechenland-Rettung stört, ist also mathematisch (nur Deutschland, Frankreich und Italien haben durch die 85-Prozent-Regel de facto ein Vetorecht) unwahrscheinlich - und politisch sowieso. "Ein einziges kleines Land wird sich nicht isolieren wollen", sagt Höing. "Denkbar aber ist, dass eine Koalition der Kleinen geschmiedet werden könnte." Sollten sich die Balten, Finnland, die Niederlande, Slowenien und die Slowakei von Deutschland schlecht vertreten fühlen und zusammentun, würden sie zwar immer noch nicht eine 85-Prozent-Mehrheit verhindern können. "Politisch wird dann aber der Druck auf die anderen Staaten sehr hoch, diesem Willen zu widersprechen". Selbst in Deutschland könnte die Bundesregierung dem Volk ihr mögliches "Ja" zu Griechenland-Hilfen nicht mehr seriös verkaufen.
Griechenland sollte sich also nicht zu sicher sein, neue Hilfen zu bekommen. Die Regierung von Alexis Tsipras muss ein ambitioniertes Reformprogramm vorlegen. Tut sie das, stehen die Zeichen eher auf Einigung denn auf Grexit. Macht Athen einmal mehr seine Hausaufgabe nicht, könnte Europa den Daumen endgültig senken.
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