
Eines hat die griechische Linke geschafft: Sie hat schonungslos offengelegt, wo die Sollbruchstelle innerhalb der Europäischen Union (EU) verläuft. Während die deutsche Seite mit einem kleiner werdenden Häufchen gesinnungsverwandter Partnerländer – endlich und berechtigt - auf dem Höhepunkt ihres Misstrauens gegenüber Griechenland angelangt ist, sind vor allem Frankreich und Italien - gemeinsam mit den Eurokraten und den Institutionen der Troika – bereit, das erfolgreich vorgetragene taktische Spiel von Tsipras & Co. auszublenden, ja gar ins Gegenteil dessen zu verklären, was es offenkundig ist: die skrupellose Beschaffung von frischem Geld, sehr viel Geld - und egal wie.
Deutschland will Sicherheiten in Form werthaltiger Vermögensgegenstände. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist sich der Dimension neuer Hilfspakete inzwischen bewusst und scheint sich daran zu erinnern, dass Geld das Ergebnis einer Wertschöpfung ist und nicht einer funktionierenden Notenpresse im Keller.
Zum Autor
Frank Träger, 55, berät seit 2002 börsennotierte Small- und Mid-Caps in Kapitalmarkt- und Investor-Relations-Fragen. Zuvor war er Analyst und Fondsmanager beim Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. und beim Versicherungsriesen Axa.
Geld kommt nicht nur aus der Notenpresse
Dieser Gedanke ist im Europa dieser Tage verloren gegangen. Banken verschulden sich in beliebiger Größenordnung zum Nulltarif, wertlose Bonds dienen als Sicherheiten für eine ungebremste Geldschöpfung der Europäischen Zentralbank (EZB), Zinsen wurden abgeschafft und damit die Leistung von Sparern, die ein Leben lang in einem echten Wertschöpfungsprozess standen, entwertet. Wenn Geld und Kapital keine Zinsen kosten, ist es auch unerheblich ob mit neuen Schulden Investitionen getätigt werden oder die Rentenbezüge von Verstorbenen sowie die Bezüge von Staatsdienern ohne Aufgabengebiet finanziert werden.
In den Verhandlungen offenbart sich die pure Hilflosigkeit einer EU, die immer noch vorgibt, an die friedenstiftende Wirkung des Euro zu glauben. Und nun der zu erwartende Schulterschluss des französischen Staatspräsidenten François Hollande mit Italiens Ministerpräsidenten Matteo Renzi gegen die deutsche Position. Eine harte Haltung gegenüber einem undisziplinierten Schuldner wird in eine Demütigung Griechenlands uminterpretiert. Was steckt dahinter?
Frankreich und Italien sind kaum besser als Griechenland
Tatsächlich dürfte es um die durchaus berechtigte Befürchtung beider Länder gehen, vielleicht selbst bald das Griechenland Nummer zwei und Nummer drei zu werden. Gut, wenn man dann für die eigene Interessenlage bereits vorgebaut hat und in gönnerhafter Manier frühzeitig der EU ihre letzten unangenehmen scharfen Kanten genommen hat.
Denn auch Frankreich und Italien haben Probleme mit den hohen Kosten ihrer staatlichen und gesellschaftlichen Verfassung. In Frankreich müssen jedes Jahr die Absolventen der Hautes Écoles in privilegierten Positionen in Staat und Verwaltung untergebracht werden und mit Blick auf Italien mag man über die gesamtgesellschaftlichen finanziellen Auswirkungen der organisierten Kriminalität kaum spekulieren. Düpiert müssen sich jene Länder fühlen, die sich auf einem steinigen aber langfristig erfolgversprechenden Weg befinden. Wenn andere hart arbeitende Problemländer nun auch, durch die griechische Chuzpe ermuntert, die einfache Option ziehen, dürfte dies in der EU noch eine Menge Probleme machen.
Diese Reformvorschläge bietet Griechenland an
Die griechische Regierung verspricht, sich an Ziele für den Primärüberschuss zu halten: ein Prozent in diesem Jahr, zwei Prozent im Jahr 2016, drei und 3,5 Prozent für 2017 beziehungsweise 2018.
Die Vorschläge aus Athen beinhalten eine Reihe von Steuererhöhungen, darunter eine Mehrwertsteuer für Restaurant und weitere Gastronomiebetriebe von 23 Prozent, ermäßigte 13 Prozent für Grundnahrungsmittel, Energie, Hotels, Wasser und eine sogenannte superermäßigte Rate von sechs Prozent auf Dinge wie Arzneimittel, Bücher und Theatervorführungen - vielleicht ist das angemessen für ein Land, das in Sachen Drama Pionierarbeit geleistet hat. Die neuen Steuerstufen sind ab diesem Oktober gültig.
Darüber hinaus wird den Steuervergünstigungen für die bei Touristen beliebten Inseln des Landes weitgehend ein Ende bereitet: Nur die entferntesten Inseln sollen die begehrten finanziellen Erleichterungen behalten.
Für das Militär will Griechenland in diesem Jahr 100 Millionen Euro weniger ausgeben, diese Kürzung soll 2016 verdoppelt werden. Die Körperschaftssteuer wird von 26 auf 28 Prozent erhöht. Bauern werden ihre Steuervorzüge und Benzinsubventionen verlieren.
Die Regierung will deutlich härter gegen Steuerhinterzieher durchgreifen. Die wichtige Schiffsindustrie des Landes muss sich auf Steuererhöhungen für ihre Tonnage einstellen, die Steuervorteile für die Industrie an sich werden phasenweise zurückgefahren. Eine Luxussteuer wird auf Freizeitfahrzeuge mit einer Länge von mehr als fünf Metern ausgeweitet, die Rate steigt von zehn auf 13 Prozent.
Die Regierung erwägt Reformen, die dauerhafte Einsparungen von 0,25 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und ein Prozent ab 2016 bringen würden. Um dies zu erreichen, soll die Zahl der Frührentner sinken und das Renteneintrittsalter im Jahr 2022 auf 67 vereinheitlicht werden. Eine Ausnahme stellen besonders harte körperliche Arbeiten dar sowie Mütter, die Kinder mit Behinderungen großziehen.
Gesetzliche Renten werden zielgerichteter, während Zusatzversorgungskassen durch Arbeitnehmeranteile finanziert werden sollen. Sozialleistungen wie ein Solidaritätszuschlag laufen phasenweise aus. Krankenbeiträge für Rentner steigen im Durchschnitt von vier auf sechs Prozent. Weitere Reformen sollen anlaufen, um das Rentensystem nachhaltiger zu machen. Dazu soll eine Überholung der Rentenbeiträge für Selbstständige sein.
Die Behörden werden die Löhne von Staatsbediensteten umformen, um sicherzustellen, dass sie 2019 rückläufig sind und „den Fähigkeiten, Leistungen und Verantwortlichkeiten“ des Personals entsprechen. Leistungen wie bezahlten Urlaub und Reiseerlaubnisse werden an die EU-Normen angepasst.
Ein Plan ist auf dem Weg, demzufolge Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes leichter auf Posten eingesetzt werden können, auf denen sie gebraucht werden. Ende Juli soll zudem ein Strategiepapier zum Kampf gegen Korruption fertig sein. Gleichzeitig sollen neue Gesetze für mehr Transparenz bei der Finanzierung politischer Parteien sorgen. Ermittlungen wegen finanzieller Vergehen sollen vor politischer Einflussnahme geschützt werden.
Die Regierung will eine unabhängige Steueraufsicht einsetzen. Reformen zur Modernisierung der Steuererhebung, zur Verfolgung von Steuerbetrug sowie zum Kampf gegen Kraftstoffschmuggel sollen ebenfalls auf den Weg gebracht werden.
Korrekturen der Insolvenzgesetze sollen dafür sorgen, dass Schuldner ihre Verbindlichkeiten bezahlen. Berater werden in der Frage helfen, wie mit faulen Krediten umgegangen wird. Es werden außerdem Schritte ergriffen, um Investoren aus dem Ausland dazu zu bewegen, ihr Geld in griechische Banken fließen zu lassen.
Die Regierung will Beschränkungen für Berufsgruppen wie diejenigen von Ingenieuren, Notaren und Gerichtsvollziehern öffnen. Unnötige Bürokratie soll abgeschafft werden. Durch Gesetze soll es einfacher werden, Geschäftslizenzen zu bekommen. Auch der Gasmarkt soll reformiert werden.
Die linke Regierung will Staatseigentum verkaufen und eine Privatisierung des Stromversorgungskonzerns auf den Weg bringen. Auch regionale Flughäfen und Häfen wie jene in Piräus und Thessaloniki sollen möglicherweise privatisiert werden.
Das Geld verliert seinen Wert
Es wird deutlich, dass für Frankreich und Italien der Strom aus der Steckdose kommt und das Geld von der EZB. Ob das Geld einen Wert repräsentiert ist zweitrangig, es soll eine Funktion erfüllen, nämlich so weitermachen zu können wie schon immer.
Wenn dieses Geld dann international seinen Wert an den Devisenmärkten einbüßt – um so besser, dann brummt der Export und die importierte Inflation hilft beim, das Schuldenproblem in Schach zu halten.
Europa
Seltsam nur, dass diese Eurozone insgesamt wohl kein Problem damit hätte, wenn der Euro vom aktuellen Niveau noch einmal 30 Prozent abwertete, unter die Parität zum Dollar. Zugleich wird lauthals vor Verarmung sowie Einkommens- und Vermögensverlusten in Griechenland gewarnt, sollte dort wieder die Drachme eingeführt werden.
Es sei der Urlaubszeit geschuldet, dass man – vielleicht nicht ganz abwegig – der Vermutung erliegt, Renzi könnte leere Strände in Italien befürchten, wenn Griechenland das Exportgut Urlaubsdienstleistung nach einem Grexit für die Hälfte anbietet.