
In seiner Zeit als Studentenführer hat Alexis Tsipras gelernt, wie Fundamentalopposition funktioniert: Gebäude stürmen, Sitzstreik organisieren, Vertreter von Institutionen missachten.
Am vergangenen Dienstag trat Tsipras als griechischer Ministerpräsident im Parlament ans Mikrofon. Seine Taktik erinnerte an seine Tage im Polytechnikum: massiver Widerstand, um maximale Zugeständnisse zu erpressen. Die Geldgeber nahmen zur Kenntnis, wie Tsipras sie beschimpfte. Der Europäischen Zentralbank (EZB) warf er eine Politik der „wirtschaftlichen Erstickung vor“, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sprach er eine „strafrechtliche Verantwortung“ für die Fehler im Hilfsprogramm zu.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
„Wie sollen wir eine Lösung finden, wenn wir einen nicht kooperierenden Partner haben?“, fragt in Brüssel ein Verhandlungsführer. Schon wieder ist eine Frist ergebnislos verstrichen im Griechenland-Drama, in dem die Verantwortlichen seit Februar darauf hinweisen, dass die Zeit drängt. Bis Mitte Juni sollte geklärt sein, wie es mit dem Hilfsprogramm weitergeht, das Ende des Monats ausläuft. Nun stehen weitere Krisentreffen auf dem Programm, und die Zukunft des Landes ist ungewiss – was der Wirtschaft großen Schaden zufügt. Die Analysten der Privatbank Berenberg haben das Risiko eines Grexits Mitte der Woche von 30 Prozent auf 40 Prozent angehoben.
Mit seiner harten Haltung will Tsipras einen Schuldenschnitt erzwingen. Erst wenn die Geldgeber an diesem Punkt nachgeben, ist der Politiker bereit zu Zugeständnissen. Die Europäer tun sich mit dieser Forderung schwer. Ein Schuldenschnitt würde erstmals sichtbar machen, dass die Griechenland-Rettung – entgegen der politischen Ankündigungen – nicht kostenlos zu haben war.
Eine Lösung kann an diesem Punkt vermutlich nur noch ein Deal zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Tsipras bringen. Merkel will nicht als die deutsche Kanzlerin in die Geschichte gehen, die den Grexit betrieben oder auch nur geduldet hat. Aber wie weit kann sie bei den Zugeständnissen gehen?





Die Kanzlerin bekommt in Berlin den wachsenden Unmut ihrer Fraktion zu spüren, und auch beim Koalitionspartner SPD geht die Geduld mit den Griechen zu Ende.
Um weniger erpressbar zu wirken, haben die Bundesregierung und der Rest der Euro-Zone immer wieder durchblicken lassen, man sei vorbereitet auf einen Grexit. Doch die Krisenpläne sind alles andere als minutiös. „Es gibt keinen Plan B“, sagt ein hoher Beamter in Brüssel. Zwar haben die Regierungen der Euro-Länder Grexit-Szenarien durchgespielt und analysiert. Aber diese sind nie zu einem Gesamtbild zusammengefügt worden. „Jede Regierung hat Überlegungen, was passieren könnte. Aber wir sind nie zu einem Treffen zusammengekommen, bei dem die Szenarien konsolidiert worden wären“, sagt ein Brüsseler Entscheider.