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Griechenland Mühsame Annäherung von Tsipras und Euro-Partnern

Tsipras will in den nächsten Tagen eine vollständige Liste mit Reformvorschlägen vorlegen. Griechenland hat daher doch noch eine Chance, die dringend benötigten Milliardenkredite aus dem Hilfsprogramm zu erhalten.

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Das sind Griechenlands führende Köpfe
Alexis TsiprasGeballte Faust, offener Hemdkragen, starke Worte: Der neue griechische Ministerpräsident präsentierte sich im Wahlkampf kämpferisch und als Mann des Volkes. Der 40-Jährige ist redegewandt; er gibt sich freundlich und umgänglich. Viele Griechen, die ihren Job verloren haben und sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen, versprechen sich von ihm echte Verbesserungen im Alltag. Unmittelbar nach dem Wahlsieg signalisierte „O Alexis“ (Der Alexis), wie er von seinen Anhängern genannt wird,  den internationalen Geldgebern Gesprächsbereitschaft. „Es wird keinen katastrophalen Streit geben“, sagte er vor jubelnden Anhängern. Doch schickte er auch eine Warnung hinterher: Griechenland werde sich den internationalen Kreditgebern nicht länger unterwerfen. Tsipras kündigte im Wahlkampf an, eine Allianz gegen Deutschland schmieden zu wollen. Spanier, Portugiesen, Italiener, Franzosen und Griechen sollen sich erheben und gegen das Spardiktat aus Berlin kämpfen, betonte er immer wieder. Quelle: AP
Giannis VaroufakisDer 53-Jährige neue Finanzminister soll den Kampf für die Rettung Griechenlands in der Eurogruppe führen. Sein Vorteil: Er ist vom Fach. Als Wirtschaftsprofessor hat er unter anderem in Sydney und Glasgow gelehrt. Zuletzt war er an der Universität von Texas in Austin angestellt. Seit Jahren betreut er ein populäres englischsprachiges Blog. Ganz damit aufhören will er auch als Finanzminister nicht. Der kahlrasierte Varoufakis treibt viel Sport und präsentierte sich schon in der Vergangenheit oft als streitsüchtig. Eine seiner bekanntesten Aussagen: „Wenn es in Griechenland kein Wirtschaftswachstum gibt, werden die Kreditgeber keinen Cent sehen.“ Quelle: AP
Giannis DragasakisDer 1947 auf Kreta geborene Ökonom ist das genaue Gegenstück zu dem draufgängerischen Varoufakis. In seinen eher seltenen Interviews und Fernsehauftritten gibt sich Dragasakis überlegt und höflich. Seine politische Laufbahn startete der grauhaarige Wirtschaftsexperte vor rund 50 Jahren in der Kommunistischen Partei. Jahrzehntelang wirkte er dabei vor allem als Stratege. Dragasakis bringt als einziger im neuen griechischen Kabinett  Erfahrung als Regierungsmitglied mit. 1989 war er stellvertretender Wirtschaftsminister in einer überparteilichen Übergangsregierung des konservativen Ministerpräsidenten Xenophon Zolotas. Dragasakis engagierte sich über Jahre in verschiedenen Vorgängerbewegungen der heutigen Linkspartei Syriza. Dragasakis wird als stellvertretender Regierungschef die Aufsicht über den gesamten Bereich Finanzen und Wirtschaft haben und auch an den Verhandlungen mit den Geldgebern teilnehmen. Quelle: REUTERS
Panos KammenosDer Chef der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen, Panos Kammenos, ist auf den ersten Blick ein völlig unpassender Partner für Griechenlands neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Im Gegensatz zum Chef der linkspopulistischen Syriza fischte Kammenos seine Wähler am rechten Rand und schreckte dabei auch vor antisemitischer Stimmungsmache nicht zurück. Nun verhilft der 49-Jährige mit seiner Partei Anel „Syriza“ zur Macht. Im neuen Kabinett übernimmt er als Verteidigungsminister einen der Schlüsselposten. Was Tsipras und dem kräftigen, aufbrausenden Rechtspopulisten eint, ist die Ablehnung der Sparpolitik. Einst lief er  mit einem T-Shirt durchs Parlament auf dem stand: „Griechenland ist nicht zu verkaufen.“ Eine frühe Kampfansage an Brüssel und Berlin, wo Kammenos und Tsipras unisono die Hauptschuldigen für das „desaströse Spardiktat“ ausmachen. Kammenos ist von Haus aus Ökonom und einstiger Staatssekretär für die Handelsmarine. Schon mit 27 Jahren schaffte er den Sprung ins Parlament in seiner Geburtsstadt Athen. Fünf Mal wird er wiedergewählt, für die konservative Nea Dimokratia des gerade ausgeschiedenen Ministerpräsidenten Antonis Samaras. Als Samaras Anfang 2012 seine Unterschrift unter das "Memorandum" mit der Gläubiger-Troika setzt, kehrt Kammenos dem Regierungschef den Rücken. Er gründet die rechtspopulistische Partei Unabhängige Griechen (Anel). Quelle: REUTERS
Nikos KotziasNeuer griechischer Außenminister wird ein Technokrat, der Politik-Professor der Universität Piräus, Nikos Kotzias. Damit wolle Tsipras signalisieren, dass er einen ruhigen Kurs in außenpolitischen Themen fahren wolle, erklärten Analysten in Athen. Quelle: AP

Die Annäherung zwischen den Euro-Partnern und Griechenland im Schuldenstreit kommt nur mühsam voran. Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bewerteten die Vereinbarungen nach dem nächtlichen Spitzengespräch in Brüssel am Freitag höchst unterschiedlich. Uneinigkeit herrschte insbesondere darin, unter welchen Bedingungen das von der Pleite bedrohte Griechenland an frisches Geld der Euro-Partner kommt. Merkel betonte nach dem EU-Gipfel, dass die griechische Regierung Reformen umsetzen und dies billigen lassen müsse, bevor Finanzmittel fließen könnten. Nach Angaben von Frankreichs Präsident Francois Hollande, der an den nächtlichen Verhandlungen ebenfalls teilnahm, sicherte ihm Tsipras die rasche Zustellung einer Reformliste zu, die von der Eurogruppe abgesegnet werden solle. Nach Ansicht von EU-Ratspräsident Donald Tusk war das Treffen wichtig, um Vertrauen wiederherzustellen.

Die wichtigsten Ergebnisse des EU-Gipfels

Für Verwirrung sorgte Tsipras mit der Aussage, dass die Hilfen graduell ausgezahlt werden sollten, sobald seine Regierung eine detaillierte Reformliste vorgelegt habe. Dass sein Land kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen könnte, wies der linksradikale Regierungschef zurück: "Es gibt absolut kein Problem bei der kurzfristigen Liquidität."

Griechenlands Zahlungsverpflichtungen 2015

Dessen ungeachtet betonten sowohl Merkel als auch Tsipras, dass die Vereinbarung der Euro-Finanzminister vom 20. Februar vollumfänglich gelten solle. Darin heißt es, dass die Institutionen - bestehend aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank - die Reformvorschläge aus Athen zunächst überprüfen sollten. Anschließend müssen die Euro-Finanzminister die Maßnahmen billigen. Danach können sowohl die verbleibenden Hilfen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF als auch EZB-Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro überwiesen werden.

Wann genau die griechische Regierung ihre neue, detaillierte Reformliste vorlegen soll, blieb unklar. Nach Darstellung von Tsipras hätten ihm sowohl Merkel als auch Hollande versichert, sie wollten nicht, dass er Reformmaßnahmen umsetze, die von der Vorgängerregierung nicht durchgedrückt werden konnten. Er habe ihnen wiederum zugesagt, dass seine Reformen einen positiven Effekt auf den Haushalt haben würden.

von Sven Prange, Tim Rahmann, Daniel Rettig, Silke Wettach

Merkel beendete ihre Pressekonferenz in Brüssel, bevor Tsipras sprach. Dieser kam seinen Worten zufolge mit der Kanzlerin überein, dass die "Rezessionsmaßnahmen" für sein Land vorbei seien. Merkel erklärte, dass einzelne Reformen durch die griechische Regierung ausgetauscht werden könnten. Eine frühere Auszahlung von Hilfsmitteln könne es nur dann geben, wenn das bis Ende Juni laufende Programm komplett umgesetzt sei.

Die schrägsten Varoufakis-Zitate

Unabhängig vom Streit über das Rettungsprogramm könnte Tsipras nach dem Spitzentreffen in Brüssel auf baldige Mittel aus Brüssel und Berlin hoffen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte Griechenland zwei Milliarden Euro im Kampf gegen die soziale Not in Aussicht. Wie beim Besuch von Tsipras bei Juncker vorige Woche vereinbart, soll ein Stab der EU-Kommission das klamme Ägäis-Land bei den Anträgen für die Gelder beraten. Merkel sagte zudem, dass sie mit Tsipras bei dessen Besuch in Berlin am Montag auch darüber sprechen werde, bilaterale Hilfe für Projekte etwa in der Kommunalverwaltung zur Verfügung zu stellen. Ob das Thema Entschädigungen für die Opfer der Verbrechen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg eine Rolle spielen werde, müsse man sehen. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin wies Medienberichte zurück, wonach die Bundesregierung Kompromissbereitschaft beim Thema Reparationszahlungen an Griechenland signalisiert habe.

An dem dreistündigen Gespräch am Rande des EU-Gipfels nahmen neben Tsipras, Merkel, Juncker und Tusk Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und EZB-Präsident Mario Draghi teil. Mit der Sache vertrauten Personen zufolge hat Tsipras in den Verhandlungen sehr bald erkannt, dass sich seine Gesprächspartner nicht auseinander dividieren ließen.

Es war zugleich das erste längere Aufeinandertreffen zwischen Merkel und Tsipras. Griechenland hatte das Spitzentreffen angeregt, nachdem der Ton in der Öffentlichkeit von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seinem griechischen Kollegen Yanis Varoufakis im Schuldenstreit immer rauer geworden war. Deutschland ist der größte bilaterale Gläubiger des südosteuropäischen Landes, das von den Euro-Partnern mit rund 240 Milliarden Euro von der Staatspleite gerettet worden war.

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