




Mitten in einer aufgeheizten Stimmung wegen der griechischen Schuldenkrise kommt der Athener Regierungschef Alexis Tsipras zu einem ersten offiziellen Besuch nach Berlin. Tsipras habe die Einladung von Kanzlerin Angela Merkel zu einem Besuch am 23. März angenommen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Merkel hatte am Nachmittag mit Tsipras telefoniert. Zugleich redete Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach den jüngsten Verwerfungen schonungslos Klartext.
Schäuble warf der griechischen Regierung vor, das Vertrauen der europäischen Partner komplett zerstört zu haben. Bis November sei Athen auf einem Weg gewesen, der aus der Krise hätte führen können. Das sei vorbei. „Sie haben alles Vertrauen zerstört. Das ist ein schwerer Rückschlag“, sagte Schäuble in Berlin. Er kenne niemanden in den internationalen Institutionen, der ihm sagen könne, was Athen eigentlich vorhabe. Schäuble warf der Syriza-Regierung auch vor, die Bürger in Griechenland zu belügen.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Grexit gefährdet Deutschlands Bonität
Eine Warnung von einem Euro-Austritt Griechenlands kommt jetzt von der Ratingagentur Moody's. Der könne die Kreditwürdigkeit Deutschlands drücken. "Das wäre negativ für das Kreditprofil", erklärte die Agentur in einer neuen Studie. "Deutschlands direkte Belastung bei einem griechischen Austritt ist zwar überschaubar, aber die Kreditwürdigkeit der Regierung würde negativ betroffen sein, wenn sich größere Euro-Länder wie Italien oder Spanien dann wieder größeren Schwierigkeiten gegenübersehen."
Moody's räumte aber auch ein: "Allerdings sind die Ansteckungsrisiken geringer als 2012". Dafür würden die institutionellen Reformen in der Euro-Zone ebenso sorgen wie die aktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).
Moody's bewertet Deutschland mit der höchsten Bonitätsnote AAA. Damit wird Investoren signalisiert, dass ein Ausfallrisiko von Staatsanleihen auch auf längere Sicht vernachlässigbar ist. "Deutschland hat eine sehr große, diversifizierte und sehr wettbewerbsfähige Wirtschaft, die das AAA-Rating untermauert", sagte Moody's-Experte Thorsten Nestmann. "Hauptherausforderungen sind die alternde Bevölkerung und eine schrumpfende Erwerbstätigkeit." Diese könnten das Wirtschaftswachstum dämpfen und die sozialen Sicherungssysteme unter Druck setzen.
Zusätzlich gibt es noch schlechte Nachrichten aus Athen: Demnach macht Griechenland bei der Haushaltsstabilisierung keine Fortschritte mehr. Im Jahr 2014 erzielte die Regierung einen sogenannten Primärüberschuss - also ein Haushaltsplus ohne Zinszahlungen - in Höhe von 0,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Das ursprüngliche Ziel des griechischen Konsolidierungsprogramms sah jedoch einen Überschuss von 1,5 Prozent des BIP vor, hieß es aus Kreisen des Finanzministeriums. Die endgültigen Zahlen sollten im April vorliegen, hieß es. Es gebe einen Fehlbetrag in Höhe von gut zwei Milliarden Euro.
Das wird von der Finanzpresse auf die Nichteintreibung von Steuern besonders während der letzten beiden Monate des vergangenen Jahres zurückgeführt. Viele Bürger hätten angesichts der Wahl im Januar und in Erwartung möglicher Steuererleichterungen ihre Schulden an den Staat nicht gezahlt.
2013 und 2014 hatte Athen erstmals seit zehn Jahren wieder einen Primärüberschuss erreicht. Einschließlich der Zinsen, die auf die aufgenommenen Schulden zu zahlen sind, klafft aber weiter ein enormes Loch im Etat. Der Primärüberschuss ist dennoch wichtig, weil er auch anzeigt, wie Griechenland zum Beispiel bei der Kontrolle der Kosten für den Staatsapparat vorankommt.
Tsipras versucht zu entschärfen
In Diplomatenkreisen in Athen hieß es, der Besuch Tsipras' ziele auf eine Beruhigung der Lage ab. Es sei eine unangenehme, „wenn nicht ganz schlimme“ Atmosphäre in den Beziehungen zwischen beiden Staaten entstanden. Mitarbeiter von Tsipras hatten vor der Ankündigung seiner Berlin-Reise mitgeteilt, der Regierungschef werde in den nächsten Tagen die Lösung der Finanzkrise selbst in die Hand nehmen. Die Kassen in Athen sind fast leer. Auch der kleinste Fehler könnte nach Einschätzung von Experten zu einer Pleite Griechenlands führen.
Um eine drohende Staatspleite abzuwenden, will Tsipras bereits beim EU-Gipfel Ende der Woche in Brüssel ausführlich über die Lage seines Landes sprechen und auch mit Kanzlerin Merkel zusammenkommen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte Athen davor, den Schuldenstreit auf ein Problem mit Deutschland zu reduzieren. Bei einem Gespräch mit dem stellvertretenden griechischen Außenminister Níkos Chountís habe er klar gemacht, dass der Versuch der „Bilateralisierung“ nicht aus den Schwierigkeiten herausführe, sagte der SPD-Politiker in Brüssel. „Ich habe ihn dringend gebeten, so zu arbeiten, dass wir die Möglichkeit haben, über Vorschläge der griechischen Regierung zu reden.“ Bislang gebe es keine „tauglichen Lösungen“, so Steinmeier.
Trotz fast leerer Kassen wies die Regierung in Athen Spekulationen über eine baldige Zahlungsunfähigkeit vehement zurück. Zu Mutmaßungen über eine Milliardenlücke im griechischen Haushalt bis Ende März sagte Finanzminister Gianis Varoufakis, es gebe aktuell nur „unbedeutende, kleine Liquiditätsprobleme“. Kurz zuvor hatte auch Regierungschef Tsipras betont: „Es gibt absolut kein Liquiditätsproblem.“
Europa
Wie Kreise des Finanzministeriums in Athen bestätigten, überwies Griechenland am Montag fristgemäß 588 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF), der an den Kredithilfsprogrammen beteiligt ist.
EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte in der „Süddeutschen Zeitung“ und fünf anderen europäischen Blättern (Montag), ein unbeabsichtigtes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone wäre eine „Katastrophe“. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sieht sich in der Krise als Vermittler. „Ich möchte die Standpunkte überbrücken, damit die Integrität der Eurozone gewahrt bleibt“, sagte er.