So wie die Solstice N, der Name heißt ins Deutsche übersetzt Sonnenwende, in diesen Tagen vor der Westküste Afrikas in Richtung der senegalesischen Hauptstadt Dakar kreuzt, ist sie ein relativ unspektakuläres Schiff: Sie ist 222 Meter lang, transportiert Container, verrichtet ihren gewohnten Dienst. So wie Tausende Frachter tuckert sie tagein, tagaus über die Meere. So weit nichts Besonderes. Außergewöhnlich wird die Geschichte der Solstice N erst, wenn man weiß, unter welchem Namen sie noch vor drei Monaten durch die Weltmeere schipperte und was dann mit ihr passierte: Da hieß das Schiff William Shakespeare und gehörte deutschen Privatanlegern. Rund 13 Millionen Euro hatten sie 2007 zum Bau des Schiffes beigesteuert. Doch statt Gewinne mit dem Containerschiff zu erwirtschaften, ist ihr Kapital nun dahin: Die eigens zur Finanzierung des Frachters gegründete Firma hat Anfang Juni beim Amtsgericht Hamburg Insolvenz angemeldet.
Während die Träume deutscher Privatanleger mit dieser Insolvenz platzen, geht ein anderer Traum weiter: der vom ungestörten Geschäftemachen in einem krisengeplagten Land.
Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands
"Letztendlich entscheidet das Referendum am Sonntag darüber, ob Griechenland in der Währungsunion bleibt. Wenn sich die Griechen dafür aussprechen, kann die Staatengemeinschaft ein solch demokratisches Votum nicht übergehen. Dann werden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Bei einem negativen Votum kommt es dagegen zum Grexit. (...) Bis dahin tobt ein Nervenkrieg. Die Kapitalverkehrskontrollen reichen zunächst erst einmal aus, um das Schlimmste zu verhindern. Aber die Kontrollen behindern die Wirtschaft, ebenso wie die von der Syriza geschaffene Unsicherheit. Das ist wirtschaftlich ein verlorenes Jahr für Griechenland. Für Deutschland spielt das keine Rolle. Nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte gehen dorthin."
„Natürlich wird der Dax zunächst leiden, aber fundamental ist die Wirtschaft in Takt (...) Der Rückschlag wird nicht von Dauer sein."
"Für Griechenland wird es jetzt ganz schwierig. Europa versucht, den Schaden für andere Euro-Länder zu begrenzen. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit gelingen. Die EZB hat bereits erklärt, dass sie die Lage an den Finanzmärkten genau verfolgt und notfalls eingreifen wird. Bei größeren Turbulenzen, die der Konjunktur gefährlich werden könnten, könnte die EZB ihre Anleihekäufe zeitlich nach vorne ziehen oder aufstocken. Sie könnte auch Anleihen bestimmter Länder wie Spanien und Italien früher kaufen. Sie könnte noch deutlicher darauf verweisen, dass es das ultimative Sicherheitsprogramm - das sogenannte OMT-Programm - auch noch gibt."
"Mit einer solchen Wendung haben nur wenige gerechnet. Kapitalverkehrskontrollen, vor allem aber die hohe Unsicherheit der kommenden Wochen und Monate dürften die letzte Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung in Griechenland zunichte machen. Ein Staatsbankrott Griechenlands bedeutet nicht automatisch Grexit. Im besten Fall könnten die Entwicklungen dieser Tage nun dazu führen, dass Europa einen Insolvenzmechanismus für Staaten entwickelt - ganz so, wie die erste Griechenlandkrise vor fünf Jahren zu einem Rettungsmechanismus für Staaten führte. Spannend bleibt, ob und wie andere populistische Kräfte in Europa von den Entwicklungen profitieren. Die Polarisierung zwischen etabliertem Lager und Populisten dürfte in den kommenden Monaten weiter steigen."
"Weder der Grexit noch die Staatspleite sind zwingend. Es hängt sehr davon ab, wie das Referendum ausgeht. Wenn es zu einer Ablehnung kommt, wäre Griechenland auf schiefer Ebene unterwegs in Richtung Euro-Abschied. Die EZB hat die Kapitalverkehrskontrollen praktisch erzwungen, indem sie die Notfallkredite an griechische Banken nicht weiter erhöht hat. Wenn die EZB sie wieder aufstockt nach einem positiven Votum der Griechen, dann wären sie in diesem Umfang nicht mehr notwendig. Die Folgen für die Wirtschaft sind sehr negativ. Durch die Kapitalverkehrskontrollen werden die Geschäfte von Unternehmen und deren Abwicklung über die Banken behindert. Das dürfte die Konjunktur weiter beschädigen.
Die direkten Folgen für die Wirtschaft in der Euro-Zone und Deutschland dürften begrenzt sein - Griechenland ist zu klein, die Handelsverflechtungen zu gering. Man muss aber abwarten, wie stark die Marktturbulenzen sein werden. Denn die könnten auf die Realwirtschaft durchschlagen."
Denn als sich die Insolvenz der Besitzgesellschaft der William Shakespeare abzeichnet, ist schnell ein Interessent für das Schiff gefunden: der griechische Schifffahrtskonzern Navios, ein an der Wall Street börsennotiertes Unternehmen unter dem Kommando der Selfmade-Reederin Angeliki Frangou. Die Griechin kauft im Frühjahr 14 Schiffe aus dem Kreditportfolio der HSH Nordbank zum Notverkaufspreis. Während nahezu zeitgleich ihr Heimatland mit den internationalen Geldgebern um sein wirtschaftliches Überleben ringt, kann Frangou in großem Stil in neue Schiffe investieren: Neben 14 Millionen Dollar Eigenkapital bekommt sie problemlos eine Finanzierung weiterer 135 Millionen Dollar gestemmt.
Was zunächst zusammenhanglos scheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als durchaus zusammenhängend: Denn Angeliki Frangou genießt, wie sämtliche griechischen Reeder, seit Jahrzehnten nahezu Steuerfreiheit. Teile ihres Vermögens sind das Geld, das dem griechischen Staat fehlt. Ein politisches Geschenk, das half, die griechischen Reedereien liquide zu halten und ihre Eigner zugleich sagenhaft reich machte. Angeliki Frangou findet das nicht weiter sonderbar. Für die von der Verfassung garantierte Quasisteuerfreiheit ihrer Branche hat sie eine eigenwillige Rechtfertigung: Die Schifffahrtsunternehmen würden ihr Geld ja auch auf den Weltmeeren fern staatlicher Grenzen verdienen, warum sollten sie dann einem einzigen Staat Steuern zahlen?
Frangou ist ein Teil jener Elite Griechenlands, die die Krise in ihrem Heimatland als persönliches Konjunkturprogramm betrachten, meist ganz legal. 2014 zählte Griechenland 565 Millionäre, das sind fast zwölf Prozent mehr als im Jahr davor. Ihr Reichtum ist 2014 laut der Schweizer Bank UBS im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent auf rund 70 Milliarden Dollar gestiegen. Seit Jahresbeginn ging es ähnlich weiter. Noch nicht enthalten in der Summe sind jene Beträge, die die griechische Elite im Ausland bunkert. Der deutsch-österreichische Schattenwirtschaftsexperte Friedrich Schneider schätzt sie auf 10 bis 15 Milliarden Euro.
Zu verdanken haben Griechenlands Reiche das nicht nur ihrem unternehmerischen Geschick und ihrem internationalen Kontaktnetz. Sie profitieren von Privilegien, wie Frangou und ihr Konkurrent Spiros Latsis, einer der reichsten Griechen, ebenso die Multi-Unternehmer Stavros Psycharis, Vardis Vardilogiannis. Wenn das nicht hilft, bedienen sich manche von ihnen auch der Vetternwirtschaft wie zum Beispiel Andreas Vgenopoulos. Andere greifen zu Korruption und Steuerhinterziehung. Entsprechende Vorwürfe gibt es gegen Mitglieder des Bau- und Medien-Clans Bobolas, den Banker Laurentis Laurentiadis.
Griechenland und seine Reichen
Griechenland und seine Reichen – dieses Drama spielt weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dem Filz in der griechischen Elite ist scheinbar nicht beizukommen. Das Wirtschaftsfiasko der vergangenen fünf Jahre stoppte die Steuertricks der Superreichen ebenso wenig wie die linke Syriza-Regierung. Zwar behauptete der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in einem seiner zahlreichen Interviews der vergangenen Tage: „Das Geld der Reichen ist im Ausland.“ Daher habe seine Syriza-Regierung den Machenschaften der Milliardäre nicht beikommen können. Nur, zur Wahrheit gehört auch: Staatliche Instrumente im Kampf gegen Korruption richten sich vornehmlich gegen deren Aufdecker.
Die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission kritisiert in ihrem jüngsten Lagebericht zu Griechenland, dass Steuerhinterziehung von sehr Reichen nach wie vor grassiert. Seit Jahren mahnt sie eine bessere Steuereintreibung an. Bei den Verhandlungen für das dritte Hilfspaket hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Regierungschef Alexis Tsipras dreimal beiseite genommen, ehe dieser einwilligte, die Steuerprivilegien für die Reeder wenigstens künftig infrage zu stellen.
Die unmittelbaren Maßnahmen der Troika, etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent, treffen dagegen jene, die seit jeher das Gros der Steuern zahlen: die Unter- und Mittelschicht. So hat die Finanzkrise die Zweiklassengesellschaft im südlichsten Mitgliedsland der Europäischen Union zementiert. Fast jeder fünfte Grieche kämpfte im vergangenen Jahr laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat mit schweren materiellen Entbehrungen. Das entspricht fast einer Verdoppelung der Armut gegenüber 2008.
Die Tricks der Reeder
Angeliki Frangou, die Reederin, ist bestens vernetzt mit der internationalen Finanzwelt, arbeitete früher an der Wall Street in New York und saß im Aufsichtsrat der griechischen Geldhäuser Emporiki Bank sowie Proton Bank. Nicht umsonst ist sie die Börsenpionierin unter den Reedern, der IPO von Navios 2005 war einer der ersten der Branche. Zum Kauf der deutschen Schiffe brachte sie zusätzlich zum eigenen Kapital ein 135 Millionen Dollar großes Kreditpaket internationaler Banken mit und bejubelte die „historisch niedrigen Preise“ der Transaktion.
Frangou ist zudem Generaldirektorin der IRF European Finance Investments. Das an der Londoner Börse gelistete Unternehmen investiert hauptsächlich in Beteiligungen in der europäischen Finanzbranche. Zum Portfolio gehörte auch die Laiki Bank auf Zypern, die nach der dortigen Bankenkrise 2013 verstaatlicht werden musste. Dass die umtriebige Reederin sich ihre Mitstreiter womöglich weniger sorgfältig aussucht als ihre Steuersparoptionen, zeigt der Fall Laiki: Dort mit investiert war auch der prominente griechische Unternehmer Andreas Vgenopoulos. Die Finanzaufseher in Zypern werfen ihm und anderen Managern vor, die Bank in die Pleite getrieben zu haben. Der Grund: Gefälligkeitskredite für Geschäftspartner und Firmen aus dem eigenen Portfolio.
Auch auf anderen Wegen finden Griechenlands Reeder genügend Möglichkeiten, um von der politischen Instabilität ihres Landes zu profitieren: Solange die Regierung schwach ist, wird sie sich nicht mit den mächtigen Reedern anlegen, das ist bei Syriza schön zu beobachten. Während Kapazitäten deutscher Reedereien schrumpfen, floriert das Geschäft ihrer griechischen Konkurrenten. Sie kommandieren die größte Handelsflotte der Welt, größer als die der Exportnationen Deutschland, Dänemark und Norwegen zusammen. Mit 16 Prozent sind griechische Unternehmer Weltmarktführer bei der internationalen Handelsschifffahrt.
Entsprechend groß ist die Bedeutung der Schifffahrt für die griechische Volkswirtschaft, mit einem Anteil von sechs Prozent am Bruttoinlandsprodukt und 3,5 Prozent an den Beschäftigten. Die Reeder erfreuen sich daher üppiger Privilegien: Ihre Gewinne hält der Staat steuerfrei, sie führen lediglich eine pauschale Steuer, abhängig von Zahl und Größe ihrer Schiffe, ab, die sogenannte Tonnagesteuer von nur 38 bis 49 Cent je Tonne. Damit will der Staat die Reeder an die Heimat binden. Als die Pauschalsteuer zuletzt erhöht wurde, verhandelte die Regierung vorher mit den Reedern. Das Ergebnis war eine Verdopplung der Steuer, aber nur für den Zeitraum von drei Jahren ab 2013. Nicht umsonst ist der zweitreichste Grieche ein Reeder.
Die drei Säulen der Korruption
Dass die griechische Elitenfrage kein Problem allein der Reeder ist, zeigt ein Einblick in die Schattenwelt der griechischen Vermögensverhältnisse, den vor einigen Jahren das Enthüllungsmagazin „Hot Doc“ von Kostas Vaxevanis gewährte. Ein Whistleblower hatte dem Journalisten eine Liste von mehr als 2000 Griechen zugespielt, die ihr Geld – legal oder illegal – in der Schweiz gebunkert haben sollen. Reeder, Politiker und Unternehmer waren samt ihrem Auslandsvermögen auf der Liste verzeichnet. Weil die Namen bereits 2010 der damaligen Finanzministerin Frankreichs, Christine Lagarde, zugespielt wurden, trägt sie bis heute ihren Namen. 2012 veröffentlichte Vaxevanis die griechischen Namen der sogenannten Lagarde-Liste.
Während Länder wie Frankreich und Deutschland die Liste ihrer Steuersünder längst entgegengenommen haben und eine mögliche Steuerschuld der Gelisteten überprüften, will der damalige griechische Finanzminister Georgos Papakonstantinou den Datenträger mit der Liste schlicht „verloren“ haben. Als er nach zwei Jahren doch wieder auftauchte, fehlten auf der Liste drei Namen. Es waren Verwandte von Papakonstantinou.
Vor Gericht kam Papakonstantinou mit einer Bewährungsstrafe davon. Auch die möglichen Steuersünder auf der Liste wurden bis heute nicht verfolgt. Syriza hat zwar eine Aufarbeitung der Liste angekündigt. Die Ergebnisse blieben aber bescheiden: Nur einer der mutmaßlichen Steuersünder hat seitdem eine Strafe erhalten: Gegen Leonidas Bobolas, Geschäftsführer des Baukonzerns Ellaktor und Mitglied des einflussreichen Bobolas-Clans, wurde im April Haftbefehl erlassen, ehe er einen Steuerrückstand von 1,8 Millionen Euro beglich. Bobolas selbst behauptet, sich den Behörden freiwillig gestellt zu haben. Auch sein Bruder Fotios Bobolas und Vater Giorgos, der Gründer des börsennotierten Unternehmens Ellaktor, stehen auf der Liste. Über Steuernachzahlungen ist nichts bekannt.
Dafür wogen die Konsequenzen für Aufdecker Vaxevanis umso schwerer: 48 Stunden nach der Veröffentlichung der Lagarde-Liste nahmen Polizisten ihn fest. Es folgte ein Prozess. Zwar wurde Vaxevanis freigesprochen, ein normales Leben ist dem Investigativjournalisten aber nicht vergönnt. Seinen Kampf gegen Griechenlands Oligarchen führt er hinter gesicherten Zäunen; draußen wacht ein bissbereiter Schäferhund, drinnen ein bewaffneter Polizist.
Die Mega-Investoren Griechenlands
Der Milliardär macht in Öl und Schiffen. Sein Sohn Giannis mischt bei den Geschäften mit. Die Familie ist mit dem Kennedy-Clan befreundet.
Der Multi-Unternehmer ist beteiligt an der Investmentgesellschaft MARFIN. Und er hielt Anteile an der zyprischen Laiki-Bank.
Psycharis kontrolliert Zeitungen und einen Fernsehsender. Unternehmen aus seinem Portfolio profitieren auch von Staatsaufträgen.
„Die Korruption in Griechenland basiert auf drei Säulen“, sagt der Journalist, „einer vollkommen unkontrollierten Finanzelite, den politischen Handlangern und den Medien.“ Rund 20 Leute zählt Vaxevanis zur Elite der Unternehmer, die sich durch Schmiergeld ihren Einfluss auf die Politik sichern würden. Zudem sei diese Finanzelite im Besitz der großen TV-Anstalten und Zeitungen.
Wie reibungslos dieses Dreieck aus Wirtschaft, Medien und Politik zusammenspielt, erklärt Vaxevanis am Beispiel der Ausschreibung von staatlichen Aufträgen. „Zuerst lancieren etwa Bauunternehmen in den Medien Reportagen über den schlechten Zustand der Straßen und berichten über die Gefahr für die Bürger. So erzeugen sie Druck auf den Staat, entsprechende Bauprojekte in Auftrag zu geben. Weil die meisten Baufirmen durch Subfirmen ohnehin zueinander gehören, kommen auch immer dieselben Unternehmer an diese öffentlichen Aufträge. Und meist werden die Projekte zusätzlich noch überbudgetiert, um den Gewinn für die Firmen zu steigern.“
Geschichten aus einem märchenhaften Paralleluniversum? Mitnichten.
Herrschaft der Diebe
Die Open Society Foundation des US-Investors George Soros spricht in einer aktuellen Studie über den griechischen Mediensektor von einem „durchdringenden Klientelismus“: „Er verbindet die Besitzer, die in Schlüsselbranchen der Wirtschaft tätig sind und an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen, mit der politischen Elite.“ Die Krise und die Sparpolitik seit 2010 haben die Verbindungen sogar noch gestärkt, so die Studie. Acht Privatsender vereinen mehr als 90 Prozent des Marktanteils. Kontrolliert werden sie allesamt von bekannten Unternehmern.
Eine dieser einflussreichen Unternehmerfamilien ist besagter Bobolas-Clan, der mit den Steuerproblemen. Das Familienoberhaupt, Giorgos Bobolas, hält Beteiligungen am größten Sender des Landes, dem Kanal Mega. Sein Sohn Fotios ist Direktor von Teletypos, der Holding von Mega Channel. Der andere Sohn, Leonidas Bobolas, sitzt im Vorstand des Baukonzerns Ellaktor. Tatsächlich wurde das Unternehmen schon mit Korruptionsvorwürfen in Verbindung gebracht.
2011 untersuchte die griechische Generalinspektion für die öffentliche Verwaltung (GEDD) ein Schienenbauprojekt zwischen Athen und Thessaloniki, für das eine Tochterfirma von Ellaktor einen staatlichen Auftrag ergattert hatte. Die Behörde stellte massive Unregelmäßigkeiten bei dem Tunnelprojekt fest und übergab ihren Prüfbericht der Staatsanwaltschaft. Seitdem wurde es leise um die Ermittlungen. „Wir haben große Schwierigkeiten mit unserer Justiz“, heißt es von der GEDD, „Prozesse werden oft über mehrere Jahre verschleppt.“
Georgos Bobolas bestreitet, jemals mithilfe seiner Medien seine Baugeschäfte angekurbelt zu haben. Beobachtern fiel aber auf, dass auf Mega nie ein kritisches Wort zur überdimensionierten Infrastruktur für die Olympischen Spiele 2004 fiel. Immerhin hatte Bobolas’ Ellaktor daran kräftig mitgebaut und -verdient.
Doch es ist nicht nur der Bobolas-Clan, der am Kuchen des größten TV-Senders nascht. Die Beteiligungen am Sender Mega offenbaren die Strippenzieher der griechischen Gesellschaft. Anteilseigner ist etwa auch der Unternehmer Stavros Psycharis. Neben Anteilen an dem TV-Kanal kontrolliert er auch die Tageszeitung „Ta Nea“. In der Vergangenheit hat Psycharis Staatsaufträge im Bereich Bildung und Kultur erhalten. Vardis Vardinoyannis, ein weiterer Mega-Investor, kontrolliert zwei Ölgesellschaften und hält wiederum einen bedeutenden Anteil an der Piräus-Bank, einer der führenden des Landes.
Auf eine rasche Entflechtung dieser Machtsphären ist kaum zu hoffen. „Die Besitzer der Medien stellen ein Machtzentrum dar, das kein Politiker wagt in Zweifel zu stellen, außer er will politischen Selbstmord begehen“, sagt der Ökonom George Pagoulatos.
Was passiert, wenn Politiker den Medienfürsten zu nahe treten, hat Mega immer wieder demonstriert, indem es seine Berichterstattung gegenüber Premierministern radikal änderte. Zu spüren bekam das etwa der frühere Ministerpräsident Giorgos Papandreou, gegen den Mega nach anfänglicher Zustimmung persönliche Attacken lancierte. Papandreou hatte aufgehört, auf jene Banken einzuwirken, die Mega mit Krediten versorgten. Ähnlich erging es dem früheren Premier Antonis Samaras. Als er Neuwahlen in Aussicht stellte, machte ihn der populäre TV-Sender vom Sympathieträger zur Persona non grata. Offenbar fürchteten die Anteilseigner um öffentliche Aufträge.
Der Heidelberger Historiker Heinz A. Richter benutzt ein Wort aus dem Griechischen, um die Lage in Hellas zu veranschaulichen: „klientelistische Kleptokratie“. Der Begriff bezeichnet eine Herrschaft der Diebe.
Syrizas Scheitern
Besonders ausgeprägt ist die Selbstbedienungsmentalität im Bankensektor. So ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Manager der ehemals staatlichen Postbank, weil sie ohne Sicherheiten Kredite an Unternehmer gegeben haben sollen – eine dreistellige Millionensumme soll etwa an den Unternehmer Lavrentis Lavrentiadis geflossen sein. Lavrentiadis besaß mit Proton einst eine eigene Bank, die er gemeinsam mit Geschäftspartnern um 700 Millionen Euro erleichtert haben soll. Er selbst hat die Vorwürfe stets bestritten. Ausnahmen aus ferner Vergangenheit? Nun ja. Die Oligarchen erhielten „von den Banken immer noch große Kredite, im Gegensatz zu normalen Unternehmern“, sagte Regierungschef Tsipras noch im März.
Selbst die politischen Parteien bedienten sich bei den Banken. Die Parteien Pasok und Nea Dimokratia hatten bis Ende 2012 rund 240 Millionen Euro Schulden angehäuft. Allein bei der ATE Bank sollen Pasok und Nea Dimokratia mit jeweils rund 100 Millionen Euro in der Kreide gestanden haben. Sicherheiten konnten sie nicht bieten. Lediglich ihre künftigen Einnahmen aus der Parteienfinanzierung standen als Pfand zur Verfügung – das kaum noch etwas wert war, als Pasok etwa bei der Parlamentswahl im Juni 2012 von 44 auf 12 Prozent fiel und die Einnahmen aus der staatlichen Parteienfinanzierung, deren Höhe sich nach der Zahl der Wählerstimmen richtet, deutlich sanken.
Und Syriza? Wie ernst nimmt die linke Regierungspartei den Kampf gegen Korruption? Gerade hat sich der Regierung eine neue Chance eröffnet, Steuersünder dingfest zu machen: Im April ist den griechischen Ermittlern eine sensationelle Festnahme geglückt. In Handschellen nahmen sie den französischen Banker Jean-Claude Oswald in Griechenland in Empfang, nachdem Abu Dhabi ihn ausgeliefert hatte. Der Verdacht: Oswald soll reichen Griechen geholfen haben, Geld in der Schweiz zu bunkern.
Oswalds Methode beim Geldverstecken soll einfach, aber wirkungsvoll gewesen sein, wie „Hot Doc“ recherchierte. Durch seine Kontakte zu griechischen Reichen soll er Kunden aus dem In- und Ausland zusammengebracht haben. Laut „Hot Doc“ hat ein griechischer Bürger Geld auf einem ausländischen Konto gutgeschrieben bekommen, ohne dies über die Grenze zu schicken. Dafür musste er seinem ausländischen Komplizen nur die entsprechende Summe auf dessen griechisches Konto überweisen. So hätten sich kaum Anhaltspunkte für die Steuerfahnder geboten.
Alexis Tsipras’ Kampf gegen die Korruption, so er ihn denn überhaupt aufnehmen möchte, wird wohl eher lang- denn mittelfristig Wirkung zeigen. Als Oppositionspolitiker bezeichnete er die Einheit aus Massenmedien, Banken und korrupten Politikern noch als „Dreieck der Sünde“. Auf Maßnahmen gegen diese Verbindungen hat er bisher verzichtet – vermutlich aus Angst vor negativer Berichterstattung.
Andersherum haben die Medienunternehmer ein Interesse, Tsipras bei Laune zu halten. Denn: Natürlich haben die internationalen Geldgeber die Syriza-Regierung parallel zum dritten Hilfspaket angehalten, endlich gegen die Privilegien der Milliardäre vorzugehen; einerseits. Andererseits haben sie Griechenland 35 Milliarden Euro an Strukturhilfen versprochen, die etwa in Infrastruktur fließen sollen. Und da, da sind Griechenlands Milliardäre zuversichtlich, wird sich sicher etwas dran verdienen lassen. Das war schließlich schon immer so.