
So wie die Solstice N, der Name heißt ins Deutsche übersetzt Sonnenwende, in diesen Tagen vor der Westküste Afrikas in Richtung der senegalesischen Hauptstadt Dakar kreuzt, ist sie ein relativ unspektakuläres Schiff: Sie ist 222 Meter lang, transportiert Container, verrichtet ihren gewohnten Dienst. So wie Tausende Frachter tuckert sie tagein, tagaus über die Meere. So weit nichts Besonderes. Außergewöhnlich wird die Geschichte der Solstice N erst, wenn man weiß, unter welchem Namen sie noch vor drei Monaten durch die Weltmeere schipperte und was dann mit ihr passierte: Da hieß das Schiff William Shakespeare und gehörte deutschen Privatanlegern. Rund 13 Millionen Euro hatten sie 2007 zum Bau des Schiffes beigesteuert. Doch statt Gewinne mit dem Containerschiff zu erwirtschaften, ist ihr Kapital nun dahin: Die eigens zur Finanzierung des Frachters gegründete Firma hat Anfang Juni beim Amtsgericht Hamburg Insolvenz angemeldet.
Während die Träume deutscher Privatanleger mit dieser Insolvenz platzen, geht ein anderer Traum weiter: der vom ungestörten Geschäftemachen in einem krisengeplagten Land.
Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands
"Letztendlich entscheidet das Referendum am Sonntag darüber, ob Griechenland in der Währungsunion bleibt. Wenn sich die Griechen dafür aussprechen, kann die Staatengemeinschaft ein solch demokratisches Votum nicht übergehen. Dann werden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Bei einem negativen Votum kommt es dagegen zum Grexit. (...) Bis dahin tobt ein Nervenkrieg. Die Kapitalverkehrskontrollen reichen zunächst erst einmal aus, um das Schlimmste zu verhindern. Aber die Kontrollen behindern die Wirtschaft, ebenso wie die von der Syriza geschaffene Unsicherheit. Das ist wirtschaftlich ein verlorenes Jahr für Griechenland. Für Deutschland spielt das keine Rolle. Nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte gehen dorthin."
„Natürlich wird der Dax zunächst leiden, aber fundamental ist die Wirtschaft in Takt (...) Der Rückschlag wird nicht von Dauer sein."
"Für Griechenland wird es jetzt ganz schwierig. Europa versucht, den Schaden für andere Euro-Länder zu begrenzen. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit gelingen. Die EZB hat bereits erklärt, dass sie die Lage an den Finanzmärkten genau verfolgt und notfalls eingreifen wird. Bei größeren Turbulenzen, die der Konjunktur gefährlich werden könnten, könnte die EZB ihre Anleihekäufe zeitlich nach vorne ziehen oder aufstocken. Sie könnte auch Anleihen bestimmter Länder wie Spanien und Italien früher kaufen. Sie könnte noch deutlicher darauf verweisen, dass es das ultimative Sicherheitsprogramm - das sogenannte OMT-Programm - auch noch gibt."
"Mit einer solchen Wendung haben nur wenige gerechnet. Kapitalverkehrskontrollen, vor allem aber die hohe Unsicherheit der kommenden Wochen und Monate dürften die letzte Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung in Griechenland zunichte machen. Ein Staatsbankrott Griechenlands bedeutet nicht automatisch Grexit. Im besten Fall könnten die Entwicklungen dieser Tage nun dazu führen, dass Europa einen Insolvenzmechanismus für Staaten entwickelt - ganz so, wie die erste Griechenlandkrise vor fünf Jahren zu einem Rettungsmechanismus für Staaten führte. Spannend bleibt, ob und wie andere populistische Kräfte in Europa von den Entwicklungen profitieren. Die Polarisierung zwischen etabliertem Lager und Populisten dürfte in den kommenden Monaten weiter steigen."
"Weder der Grexit noch die Staatspleite sind zwingend. Es hängt sehr davon ab, wie das Referendum ausgeht. Wenn es zu einer Ablehnung kommt, wäre Griechenland auf schiefer Ebene unterwegs in Richtung Euro-Abschied. Die EZB hat die Kapitalverkehrskontrollen praktisch erzwungen, indem sie die Notfallkredite an griechische Banken nicht weiter erhöht hat. Wenn die EZB sie wieder aufstockt nach einem positiven Votum der Griechen, dann wären sie in diesem Umfang nicht mehr notwendig. Die Folgen für die Wirtschaft sind sehr negativ. Durch die Kapitalverkehrskontrollen werden die Geschäfte von Unternehmen und deren Abwicklung über die Banken behindert. Das dürfte die Konjunktur weiter beschädigen.
Die direkten Folgen für die Wirtschaft in der Euro-Zone und Deutschland dürften begrenzt sein - Griechenland ist zu klein, die Handelsverflechtungen zu gering. Man muss aber abwarten, wie stark die Marktturbulenzen sein werden. Denn die könnten auf die Realwirtschaft durchschlagen."
Denn als sich die Insolvenz der Besitzgesellschaft der William Shakespeare abzeichnet, ist schnell ein Interessent für das Schiff gefunden: der griechische Schifffahrtskonzern Navios, ein an der Wall Street börsennotiertes Unternehmen unter dem Kommando der Selfmade-Reederin Angeliki Frangou. Die Griechin kauft im Frühjahr 14 Schiffe aus dem Kreditportfolio der HSH Nordbank zum Notverkaufspreis. Während nahezu zeitgleich ihr Heimatland mit den internationalen Geldgebern um sein wirtschaftliches Überleben ringt, kann Frangou in großem Stil in neue Schiffe investieren: Neben 14 Millionen Dollar Eigenkapital bekommt sie problemlos eine Finanzierung weiterer 135 Millionen Dollar gestemmt.
Was zunächst zusammenhanglos scheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als durchaus zusammenhängend: Denn Angeliki Frangou genießt, wie sämtliche griechischen Reeder, seit Jahrzehnten nahezu Steuerfreiheit. Teile ihres Vermögens sind das Geld, das dem griechischen Staat fehlt. Ein politisches Geschenk, das half, die griechischen Reedereien liquide zu halten und ihre Eigner zugleich sagenhaft reich machte. Angeliki Frangou findet das nicht weiter sonderbar. Für die von der Verfassung garantierte Quasisteuerfreiheit ihrer Branche hat sie eine eigenwillige Rechtfertigung: Die Schifffahrtsunternehmen würden ihr Geld ja auch auf den Weltmeeren fern staatlicher Grenzen verdienen, warum sollten sie dann einem einzigen Staat Steuern zahlen?
Frangou ist ein Teil jener Elite Griechenlands, die die Krise in ihrem Heimatland als persönliches Konjunkturprogramm betrachten, meist ganz legal. 2014 zählte Griechenland 565 Millionäre, das sind fast zwölf Prozent mehr als im Jahr davor. Ihr Reichtum ist 2014 laut der Schweizer Bank UBS im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent auf rund 70 Milliarden Dollar gestiegen. Seit Jahresbeginn ging es ähnlich weiter. Noch nicht enthalten in der Summe sind jene Beträge, die die griechische Elite im Ausland bunkert. Der deutsch-österreichische Schattenwirtschaftsexperte Friedrich Schneider schätzt sie auf 10 bis 15 Milliarden Euro.
Zu verdanken haben Griechenlands Reiche das nicht nur ihrem unternehmerischen Geschick und ihrem internationalen Kontaktnetz. Sie profitieren von Privilegien, wie Frangou und ihr Konkurrent Spiros Latsis, einer der reichsten Griechen, ebenso die Multi-Unternehmer Stavros Psycharis, Vardis Vardilogiannis. Wenn das nicht hilft, bedienen sich manche von ihnen auch der Vetternwirtschaft wie zum Beispiel Andreas Vgenopoulos. Andere greifen zu Korruption und Steuerhinterziehung. Entsprechende Vorwürfe gibt es gegen Mitglieder des Bau- und Medien-Clans Bobolas, den Banker Laurentis Laurentiadis.