
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sucht im immer schriller geführten Schuldenstreit mit der EU die Entscheidung. Der Sozialist bat EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag um ein Spitzentreffen am Rande des EU-Gipfels Ende der Woche. Daran teilnehmen sollen auch Kanzlerin Angela Merkel und EZB-Präsident Mario Draghi. Für Anfang April plant Tsipras eine Reise nach Russland, über das als alternativer Geldgeber spekuliert wird.
Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen am Donnerstag und Freitag in Brüssel zusammen. An dem von Tsipras erbetenen Gespräch sollen auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Frankreichs Präsident Francois Hollande teilnehmen. Damit säßen alle politischen Schlüsselfiguren zur Lösung des Streits über den künftigen Reformkurs in Griechenland und die akuten Finanznöte des von der Pleite bedrohten Landes an einem Tisch.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Tsipras hatte angekündigt, eine "politische Lösung" des Konflikts anzustreben, der auf der Ebene der Finanzminister bisher nicht beigelegt werden konnte. Dass das Thema endgültig auf der Chefebene angekommen ist, zeigte am Montag Merkels Einladung an Tsipras, sie nächsten Montag in Berlin zu besuchen.
Ein Sprecher der griechischen Regierung sagte, Tsipras wolle bei dem Spitzentreffen am Rande des EU-Gipfels das Bekenntnis seiner Regierung zu Reformen unterstreichen. Die Finanzminister hatten der Regierung in Athen eine Frist bis Ende April gesetzt, um ihre bisher nur allgemein formulierten Reformpläne in Euro und Cent zu konkretisieren. Außerdem prüfen Vertreter der EU-Kommission, des IWF und der EZB derzeit, wie viel Geld Tsipras überhaupt noch in den Kassen hat. Am Freitag muss die Regierung in Athen weitere 350 Millionen Euro an den IWF zurückzahlen. Im Sommer werden auch Milliardenüberweisungen an die EZB fällig.
Der griechische Regierungssprecher bestätigte außerdem, dass Tsipras für den 8. April eine Einladung von Russlands Präsident Wladimir Putin nach Moskau angenommen habe. Nach der Wahl Ende Januar hatte Tsipras' von Links- und Rechtspopulisten getragene Regierung dementiert, Russland um Hilfe bitten zu wollen. In der EU waren zuvor Sorgen aufgekommen, im Gegenzug könnte die neue Regierung den EU-Sanktionskurs in der Ukraine-Krise verlassen.
Ökonomen wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, zeigten sich skeptisch, dass am Rande des EU-Gipfels eine Lösung gefunden werden kann. Am Ende seien es die Finanzmärkte, die über Griechenlands Schicksal entschieden. Er sehe nicht, dass die Regierung in Athen in der Lage oder willens sei, ein schlüssiges Programm vorzulegen, wie die akuten Probleme mit Unterstützung der Partner gelöst werden könnten, sagte Fratzscher. Er befürchte, dass die griechische Regierung hoffe, mit einem Zahlungsausfall und einem Euroaustritt weiterzukommen.
Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte am Vortag beklagt, ihm sei unklar, welchen Kurs Tsipras fahre: "Bisher hat niemand verstanden, was die griechische Regierung eigentlich will." Die neue Regierung habe alles an Vertrauen zerstört, das das Land gerade erst wieder aufgebaut hatte, beklagte Schäuble.
Schäubles griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis gab der Debatte über eine obszöne Geste gegenüber Deutschland indes eine überraschende Wendung. Über Twitter verbreitete er selbst einen Verweis auf ein Video aus dem Jahr 2013, in dem er bei einem Vortag in Zagreb einen gestreckten Mittelfinger zeigt, während er erklärt, Griechenland hätte schon 2010 die Pleite erklären, Deutschland den Finger zeigen und sagen sollen: "Ihr könnt das Problem jetzt alleine lösen." Damals war Varoufakis noch nicht im Amt. In der ARD-Sendung "Günther Jauch" hatte er noch gesagt, das Video sei manipuliert: "Ich habe nie den Finger gezeigt."
Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, riet der griechischen Regierung: "Es gibt eine alte Weisheit: Eine Hand, die einen füttert, die beißt man nicht." Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer sagte, die Union werde über weitere Finanzhilfen an Griechenland nur entscheiden können, wenn die Regierung in Athen ihre Hausaufgaben mache.