Griechenland Wie Alexis Tsipras planlos durch die Krise regiert

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras hat auch ein Jahr nach seinem Amtsantritt immer noch keinen Plan für sein Land. Trotz unzureichender Reformen will er aber weitere Finanzhilfen einfordern.

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Griechenlands Rebell und Premierminister Alexis Tsipras hat die Regeln der Politik begriffen. Quelle: Laif

Die Weste spannt. Als Griechenlands Premier Alexis Tsipras gerade den frisch gewählten Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis empfing, hatte er, ganz staatstragend, einen grauen Dreiteiler gewählt. Doch nicht die förmliche Kleidung des einstigen Rebellen Tsipras erregte Aufmerksamkeit, sondern die Pfunde, die er in den vergangenen Monaten zugenommen hat. Neben dem alerten neuen Chef der konservativen Nea Demokratia wirkte der sechs Jahre jüngere Syriza-Chef stämmig und vorzeitig gealtert.

Alexis Tsipras und die Schuldenkrise

Sein erstes Jahr im Amt hat sichtlich Spuren hinterlassen. Hat Tsipras aber auch Spuren im Land hinterlassen? Die Griechen wählten den Außenseiter im Januar 2015, weil sie sich von ihm nicht bloß ein Ende der Krise erhofften, sondern eine Art Revolution, einen kompletten Neuanfang. Tsipras gelobte, die verhasste Troika der ausländischen Geldgeber aus dem Land zu werfen, die Armut zu bekämpfen und die Macht der reichen Oligarchen zu brechen. Dass er dies erreicht, glauben ihm offenbar nicht länger viele Griechen. Es sind nicht nur die Bauern, die sich bei Demonstrationen gegen neue Steuern in der Landwirtschaft mit der Staatsmacht anlegen. Mehr als die Hälfte seiner Wähler ist laut Meinungsumfragen unzufrieden mit dem Kurs des Regierungschefs. Und doch sieht es so aus, als werde der 41-jährige Linke mit seiner jungen Truppe das Sagen in der griechischen Politik behalten.

Diese Reformvorschläge bietet Griechenland an

Das Spiel mit der Macht hat Tsipras im Amt perfekt erlernt – nur was er mit der Macht anfängt, bleibt die große Frage. Gut sind seine Leute, ganz ähnlich wie ihre Vorgänger, bislang vor allem in Sachen Ankündigungen. „Diese Regierung ist entschlossen, alles wie vereinbart pünktlich umzusetzen“, sagt Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis in seinem Büro nahe des Parlaments. Im Regal steht eine kleine Büste von Karl Marx, das Geschenk einer deutschen Gewerkschaftsdelegation. Stathakis sieht gar schon ein Ende der Rezession heraufziehen (WirtschaftsWoche 3/2016). Auch kann er auf Verhandlungen zur Privatisierung verweisen, gegen die sich die neue Regierung lange gesträubt hatte. Gespräche zum Verkauf des Hafens von Piräus an die chinesische Cosco Pacific stehen vor dem Abschluss, bald soll das Frachtgeschäft der Bahn an private Betreiber gehen. Zudem zieht sich der Staat aus großen Banken zurück.

Rentner stürmen die Banken
Tumultartige Szenen in Griechenland Quelle: dpa
Ohne Karte gab es kein Geld Quelle: dpa
Griechische Rentner strömen zu den Banken Quelle: dpa
Frust und Sorge Quelle: dpa
Griechische Rentner strömen zu Banken Quelle: dpa
Verschlossene Geldhäuser Quelle: dpa
Griechenland und seine Gläubiger - IWF, Europäische Kommission und Europäische Zentralbank - hatten sich nicht einigen können, welche Reformen Athen im Gegenzug für die letzten 7,2 Milliarden aus dem Rettungspaket für das Land umsetzen muss. Mit Ablauf der Frist am Dienstag ist das Geld aus dem Rettungspaket verfallen. So konnte Griechenland auch fällige Kredite über 1,6 Milliarden Euro nicht an den IWF zurückzahlen. Quelle: dpa

Bei der Piräus Bank sank die Staatsbeteiligung von 67 Prozent auf 26 Prozent, bei der Alpha Bank von 64 auf 11 Prozent. Die griechischen Hoffnungen auf ein Wachstum von bis zu 1,5 Prozent in diesem Jahr aber gelten in der Euro-Gruppe und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) als reines Wunschdenken. Die Geldgeber befürchten zudem, dass die Steuereinnahmen deutlich niedriger ausfallen werden als von Athen geplant. Zudem fallen die neuen Mächtigen mit vertrauter Zahlentrickserei auf.

An Griechenland hängt mehr als nur der Euro

So hat der Staat seit dem Amtsantritt von Tsipras Gehälter und Renten bezahlt, nicht aber offene Rechnungen – etwa von Handwerkern oder Dienstleistern. Auf die Weise wurden nach Angaben der Troika rund sechs Milliarden Euro neue Schulden angehäuft. „Der Staat sollte die offenen Rechnungen endlich begleichen, schließlich fehlt das Geld der griechischen Wirtschaft“, sagt ein Vertreter der Geberinstitutionen. Auch von dem von Tsipras angekündigten Kampf gegen Vetternwirtschaft und die Übermacht der Oligarchen ist bislang nichts zu sehen. „Er hat dazu kein einziges Gesetz verabschiedet“, sagt der Politologe Stathis Kalyvas von der US-Universität Yale. „Ich hätte erwartet, dass Oligarchen mehr Schwierigkeiten bekommen, aber davon ist nichts zu spüren“, sekundiert ein griechischer Topbanker.

Ähnlich unverändert wirkt die Lage der Medien

In Athen tuschelt man gerade über den Fernsehsender Alpha, der auffällig wohlwollend über die Syriza-Regierung berichtet, seit die beim Besitzer des Senders Steuerschulden ausfindig gemacht hat. So will er offenbar eine Zahlung verhindern. Deals zwischen den Besitzern privater Sendeanstalten und der Regierung haben in Griechenland Tradition. Genau wie jene Parteien, die jahrzehntelang die griechische Politik dominiert haben, hievt nun auch Syriza Gefolgsleute in hohe Positionen.

Was droht Griechenland und seinen Banken?

Das renommierte Athener Kunstfestival hat ebenso einen neuen Chef bekommen wie die Cinemathek. Auch der Direktor des auf Krebserkrankungen spezialisierten Athener Krankenhauses Elpis wurde geschasst, weil ihm das richtige Parteibuch fehlte. Verkehrsminister Christos Spirtzis sorgte dafür, dass Verkehrsbetriebe künftig von zwei Chefs geführt werden – damit mehr Posten zu vergeben sind. Akuter Mangel herrscht dagegen nach wie vor an frischen Ideen, wie sich die Wirtschaft ankurbeln lässt oder Kapital ins Land gelockt werden kann. Investitionen, die vor der Krise 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten, sind auf unter zwölf Prozent eingebrochen. Griechische Geschäftsleute beobachten zwar, dass das Interesse an ihrem Land als Standort wieder wächst. Doch schreckt die politische Lage weiter Interessenten ab. Das kanadische Minenunternehmen Eldorado etwa verkündete Mitte Januar entnervt, den Ausbau einer Goldmine in Nordgriechenland auszusetzen. Die Regierung hatte Genehmigungen immer wieder verzögert und zurückgezogen. Dieser Reformstillstand enttäuscht viele Griechen.

So steht die griechische Presse zu Tsipras
Eleftheros Typos Quelle: Screenshot
Ethnos Quelle: Screenshot
I Avgi Quelle: Screenshot
Ta Nea Quelle: Screenshot
Kathimerini Quelle: Screenshot
Naftemporiki Quelle: Screenshot
Makedonia Quelle: Screenshot

Demoskop Dimitris Mavros vom einflussreichen Meinungsforschungsinstitut MRB sieht einen neuen Trend in der Bevölkerung: Alle sehen sich als Opfer. „Die Wohlhabenden, weil ihre Steuerlast steigt, und die Armen, weil sich ihre Situation nicht verbessert.“ Nach der Wahl des ehemaligen McKinsey-Beraters Mitsotakis an die Spitze der größten Oppositionspartei ist die Tsipras-Partei Syriza in den Meinungsumfragen auf den zweiten Platz gerutscht. Doch der junge Premier, der immerhin schon zwei Wahlen und ein Referendum gewonnen hat, weiß: Meinungsumfragen sind für ihn nicht entscheidend. Viel wichtiger für sein politisches Überleben ist es, die schwierige Balance zu halten zwischen seiner Partei, die im Parlament den Reformkurs mittragen muss – und den Geldgebern in Brüssel und Washington, die dringend notwendige Kredite bewilligen müssen.

Zumindest auf die Europäer kann Tsipras bislang setzen

Sie haben sich an den einstigen Bürgerschreck, der sein Land im vergangenen Jahr gefährlich nah an einen Austritt aus der Euro-Zone getrieben hatte, gewöhnt. Selbst der stets betont korrekt auftretende Hanseat Klaus Regling, Chef des europäischen Rettungsschirms ESM, bezeichnet Tsipras und seine Kabinettskollegen mittlerweile als „reformfähig“. Die sanfteren Töne überdecken, dass die Zusammenarbeit mit den Geldgebern noch immer nicht klappt. Der Vorschlag zur Rentenreform trudelte ohne Zahlentableau in Brüssel ein, wo bislang auch Angaben zum Haushalt 2016 fehlen. Weil die Daten unvollständig waren, verschoben die Chefunterhändler der Institutionen ihre jüngste Reise nach Athen. Am Montag hätten sie dort eintreffen sollen, um Reformfortschritte zu prüfen. In Brüssel ärgert sich ein hoher EU-Beamter, dass bei der Rentenreform wieder einmal nicht alle Vorgaben eingehalten werden.

Pressestimmen zu Griechenland
„La Stampa“ (Italien)„Die deutsche Kanzlerin ist die Vorsicht in Person. Oder die Unentschlossenheit in Person? Tatsächlich hat sie in der jüngsten Vergangenheit stets an einem gewissen Punkt, oft völlig überraschend, wichtige Entscheidungen getroffen. Als ob sie die Situation immer bis zum Maximum eskalieren lassen würde, bevor sie eingreift. Bislang ist das gut gegangen. Aber es könnte ein gefährliches Spiel sein.“ Quelle: dpa
„Le Figaro“ (Frankreich)„In Wahrheit ist Tsipras' Aufruf ans Volk nichts anderes als ein politischer „Coup“, der unter der Maske der direkten Demokratie versteckt ist. Unfähig, seine Versprechen zu halten und das Land mit seiner radikalen Mehrheit unter den Bedingungen der katastrophalen Lage der Wirtschaft zu führen, ruft er die Bürger auf, zwischen ihm und Europa zu wählen.“ Quelle: dpa
„De Standaard“ (Belgien)„Die Griechen wissen, dass sie außerhalb des Euro kein Heil zu erwarten haben. Aber wenn sie mit Ja stimmen, wäre das keine Legitimierung der Fortsetzung der gescheiterten Schuldenpolitik. (...) In jedem Fall läuft es auf eine Erniedrigung eines besiegten Volkes hinaus.“ Quelle: AP
„Sme“ (Slowakei)„Wenn in Spanien im Herbst Podemos gewinnt und dem Fiskalpakt den Gehorsam verweigert wie jetzt Syriza der ehemaligen Troika, steht Madrid in ein paar Monaten ebenso am Abgrund wie jetzt Griechenland.“ Quelle: dpa
„Times“ (Großbritannien)„So verführerisch es auch ist, dies als Zerfall des europäischen Traums zu sehen, ist es wahrscheinlich doch eher nur ein Beweis für ein anderes Phänomen, das wir überall auf der Welt beobachten - einen Rückzug vom Internationalismus.“ Quelle: AP
„Irish Times“ (Irland)„Als Nato-Mitglied ist Griechenland ein wichtiger strategischer Verbündeter für die USA, und jede Hinwendung der Syriza-geführten Regierung zu Russland stieße in Washington auf erheblichen Widerstand. Syrizas Versöhnungsgesten in Richtung Wladimir Putin haben vor allem auch osteuropäische Mitgliedsstaaten geärgert. In den kommenden Tagen dürften eher Politik als wirtschaftliche Bedenken entscheiden, ob Deal in letzter Minute vereinbart werden kann, um Griechenland im Euro zu halten.“ Quelle: dpa
„Lidove noviny“ (Tschechien)„Wenn Griechenland das einzige verschuldete Euroland wäre, würde es vielleicht bekommen, was es will. Doch im Herbst werden in Spanien Wahlen erwartet, der viertgrößten Wirtschaft der Eurozone. Die dortige Podemos-Bewegung würde gerne wie Syriza in Griechenland die Regierung übernehmen und die Bedienung der Staatsschulden einschränken. Das ist eine vergleichbare Gefahr für ganz Europa wie ein „Grexit“.“ Quelle: dpa

Die Regierung möchte nur künftigen Rentnern Einschnitte zumuten. Für schädlich halten die Geldgeber zudem die geplante Erhöhung der Beiträge in die Rentenkasse um einen Prozentpunkt, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleich treffen würde. Neue Jobs dürften so kaum entstehen, dabei liegt die Arbeitslosenquote bei 24,5 Prozent. Wirtschaftsminister Stathakis wischt den Einwand weg, schließlich seien die Lohnnebenkosten doch zuvor gesenkt worden. Ganz beiseitewischen kann Athen die Brüsseler Bedenken aber nicht. Denn das Land braucht dringend Geld aus dem im August 2015 vereinbarten dritten Hilfsprogramm – und das wird erst fließen, wenn die Rentenreform steht und Athen die bisherigen Auflagen erfüllt hat. „Sollte die Konjunktur schlecht laufen, könnte die griechische Regierung schon zur Jahresmitte wieder ein Zahlungsproblem bekommen“, heißt es in der Euro-Gruppe.

Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands

Im Juli muss das Land schließlich mehr als drei Milliarden Euro Schulden zurückzahlen. Auch deswegen hat Tsipras gerade eine weitere Kehrtwende hingelegt. Der Premier akzeptierte, dass sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an einem dritten Rettungspaket für Griechenland beteiligen kann. In Washington hält sich die Begeisterung für weitere Kredite an Griechenland zwar in Grenzen. Aber in der Euro-Gruppe heißt es: „Im Zweifel wird die US-Regierung dafür sorgen, dass der IWF nicht abspringt.“ Die Amerikaner wollen schließlich keinen failed state an Europas Außengrenze. Der stärkste Trumpf von Tsipras ist aber die chaotische politische Lage in Europa. Die Flüchtlingskrise hat die Mächtigen auf dem Kontinent so im Griff, dass Griechenlands Probleme von der Tagesordnung gerutscht sind – zumal vor allem Deutschland auf Kooperation mit Athen angewiesen ist, wo viele Flüchtlinge ankommen. Deshalb will niemand in Berlin neuen Streit mit den Griechen, nicht einmal Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der voriges Jahr noch für einen Austritt des Landes aus dem Euro eintrat. Nun aber hält man zusammen. Als Schäuble gerade einen Vorstoß zu einer EU-weiten Benzinsteuer für die Flüchtlingsfinanzierung wagte, erntete er viel Kritik und nur wenig Lob: eins kam aus Athen.

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