Die Zeit drängt. Um kurz nach Mitternacht verließen die wichtigsten Akteure im Griechenland-Poker das Kanzleramt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach zunächst mit dem französischen Staatschef François Hollande und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker; später kamen auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde und EZB-Präsident Mario Draghi hinzu, um über Griechenlands Zukunft in der Euro-Zone zu beraten.
Noch in derselben Nacht hat die griechische Regierung laut der Nachrichtenagentur AFP den Gläubigern einen umfassenden Reformplan vorgelegt. Regierungschef Alexis Tsipras bezeichnet die Vorschläge „realistisch“, um das Land aus der Krise zu führen. Jetzt liegt es bei den Gläubigern, zu prüfen, ob sie das genauso sehen und die Reformen für ausreichend halten oder es auf einen Grexit ankommen lassen.
Welche Konsequenzen ein solcher Austritt aus der Währungsunion für Griechenland hätte, wurde reichlich diskutiert. Die Frage ist, welche Auswirkungen ein Grexit auf die Euro-Zone hätte: Würde Griechenland Spanien, Italien und andere Krisenländer mit in den Abgrund reißen? Geraten die Finanzmärkte in Panik? Und welche politischen Folgen hätte ein Grexit für die Euro-Retter, die dann kläglich gescheitert wären und den Wählern hohe Verluste erklären müssten? WirtschaftsWoche Online hat mit führenden Ökonomen über diese Fragen gesprochen.
Gibt es Aufschläge auf Anleiherendite oder kauft die EZB die Sorgen weg?
Als 2010 erstmals über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone diskutiert wurde, gerieten die Finanzmärkte in Panik. Spanien, Italien und Co. konnten sich nur noch mit sehr hohen Zinsaufschlägen an den Anleihenmärkten finanzieren.
Von Grexit bis Graccident - die wichtigsten Begriffe zur Schuldenkrise
Der Kunstbegriff wurde aus den englischen Worten für „Griechenland“ (Greece) und „Ausstieg“ (Exit) gebildet - gemeint ist ein Ausstieg oder Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone. So etwas ist in den EU-Verträgen allerdings gar nicht vorgesehen. Die Idee: Würde Griechenland statt des „harten“ Euro wieder eine „weiche“ Drachme einführen, könnte die griechische Wirtschaft mit einer billigen eigenen Währung ihre Produkte viel günstiger anbieten.
Neuerdings wird auch vor einem unbeabsichtigten Euro-Aus der Griechen gewarnt. Das Kunstwort dafür besteht aus Greece und dem englischen Wort für „Unfall“ (Accident) - wobei das Wort im Englischen auch für „Zufall“ stehen kann. Gemeint ist ein eher versehentliches Schlittern in den Euro-Ausstieg, den eigentlich niemand will - der aber unvermeidbar ist, weil Athen das Geld ausgeht. Mittlerweile taucht die Wortschöpfung auch als „Grexident“ auf.
Staaten brauchen Geld. Weil Steuereinnahmen meist nicht ausreichen, leihen sie sich zusätzlich etwas. Das geschieht am Kapitalmarkt, wo Staaten sogenannte Anleihen an Investoren verkaufen. Eine Anleihe ist also eine Art Schuldschein. Darauf steht, wann der Staat das Geld zurückzahlt und wie viel Zinsen er zahlen muss.
Im Grunde handelt es sich ebenfalls um Anleihen - allerdings mit deutlich kürzerer Laufzeit. Während Anleihen für Zeiträume von fünf oder zehn oder noch mehr Jahren ausgegeben werden, geht es bei T-Bills um kurzfristige Finanzierungen. Die Laufzeit solcher Papiere beträgt in der Regel nur einige Monate.
Manchmal hat ein Staat so viel Schulden, dass er sie nicht zurückzahlen kann und auch das Geld für Zinszahlungen fehlt. Dann versucht er zu erreichen, dass seine Gläubiger auf einen Teil ihres Geldes verzichten. Das nennt man Schuldenschnitt. Dieser schafft finanzielle Spielräume. Allerdings wächst auch das Misstrauen, dem Staat künftig noch einmal Geld zu leihen.
Seit 2010 hatten immer mehr Staaten wegen hoher Schulden das Vertrauen bei Geldgebern verloren. Für sie spannten die Europartner einen Rettungsschirm auf. Er hieß zuerst EFSF, wurde später vom ESM abgelöst. Faktisch handelt es sich um einen Fonds, aus dem klamme Staaten Kredithilfen zu geringen Zinsen bekommen können.
In der Euro-Schuldenkrise wurde der Begriff für das Trio aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission gebraucht. Sie kontrollieren die verlangten Reformfortschritte. Im Euro-Krisenland Griechenland ist die Troika deswegen zum Feindbild geworden. In seinem Schreiben an die Eurogruppe spricht Athen nun von „Institutionen“. Auch die Europartner wollen das Wort „Troika“ nicht mehr verwenden. In offiziellen Dokumenten war ohnehin nie die Rede von der „Troika“.
Dass das abermals geschieht, bezweifelt Friedrich Heinemann, der Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am Zentrum für Europäische Finanzwirtschaft (ZEW). Anders als damals sei Europa heute auf so ein Szenario vorbereitet.
„Maßgebliche Akteure, allen voran die EZB, haben die nötigen Instrumente und werden einer solchen Entwicklung mit aller verfügbaren Feuerkraft entgegensteuern“, so Heinemann. Um eine Ansteckung zu verhindern, würden Gelder aus dem Rettungsschirm ESM in Aussicht gestellt. Der ESM unterstützt überschuldete Staaten durch Notkredite und Bürgschaften und senkt so ihre Abhängigkeit von den Finanzmärkten. „Aus den kritischen Jahren wissen wir allerdings, dass das alleine nicht ausreichend ist.“
Deswegen dürfte die EZB erneut in Aussicht stellen, unbegrenzt Staatsanleihen der betroffenen Staaten zu erwerben. Mit dem Outright Monetary Transaction-Programm ist das notwendige Instrument dafür vorhanden. Dass tatsächlich Geld fließt, glaubt Heinemann nicht. „Allein die Ankündigung würde die Zinsaufschläge an den Märkten verhindern.“ Eine nennenswerte Ansteckungsgefahr zweifelt er an.
„Wir können nicht seriös prognostizieren, wie sich ein Grexit auswirkt“
Weniger optimistisch als seine Kollegen zeigt sich Marcel Fratzscher, der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Wir können nicht seriös prognostizieren, wie sich ein Grexit auf die Finanzmärkte der anderen europäischen Länder auswirkt“, sagt er. Argumente von Kollegen, die die Ansteckungsgefahr leugnen, hält er für „unseriös“.
Er befürchtet Spekulationen über Italien, Portugal und Spanien, die trotz der zuletzt erfolgreichen Rettungspolitik immer noch in einer schwierigen Lage seien. Niemand könne die Dynamik von Finanzmärkten verlässlich vorhersagen. Und manche Investoren könnten fürchten dass Italien oder Spanien den Euro langfristig verlassen könnten.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Stürzen Banken durch ihr Griechenland-Engagement in den Ruin?
Als Griechenland in die Krise schlitterte, mussten die europäischen Banken gerettet werden. Damals hielten die Kreditinstitute griechische Papiere im Wert von 272 Milliarden Euro.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht diese Gefahr nicht mehr als gegeben an, anders als noch zu Beginn der Euro-Krise 2010. „Die ausländischen Banken haben sich weitestgehend aus Griechenland zurückgezogen, sodass ein Austritt Griechenlands die Bankensysteme anderer Länder nicht destabilisieren dürfte“, so Krämer.
Griechenlands Zahlungsverpflichtungen 2015
Die griechische Regierung muss in diesem Jahr noch rund 17 Milliarden Euro an Krediten und Zinsen zurückzahlen. Der größte Batzen entfällt dabei mit rund 8,1 Milliarden Euro auf den Internationalen Währungsfonds (IWF). Daneben stehen Zahlungen an die Europäische Zentralbank (EZB), private Gläubiger sowie die Partner aus der Eurozone aus. Ungeachtet der Verlängerung des Hilfsprogramms mit den Euro-Partnern ist bisher unklar, wie Finanzminister Yanis Varoufakis die Mittel aufbringen will. Vor allem im Juli und August stehen Rückzahlungen über mehrere Milliarden Euro an. Es folgt eine Auflistung darüber, was Griechenland in welchem Monat dieses Jahres zahlen muss.
Rundungsdifferenzen möglich, Quelle: Eurobank Athen, eigene Berechnungen (Reuters)
Rund 1,5 Milliarden an den IWF, 75 Millionen Zahlungen an andere - insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro.
450 Millionen an IWF, 275 Millionen an Zinsen - insgesamt rund 0,7 Milliarden Euro.
750 Millionen plus 196 Millionen an IWF, sowie 77 Millionen für bilaterale Kredite - insgesamt rund 1 Milliarden Euro.
1,5 Milliarden an IWF plus 280 Milliarden an EZB und andere - insgesamt 1,7 Milliarden Euro.
450 Millionen an IWF, 3,5 Milliarden an EZB, 700 Millionen an Zinsen für EZB - insgesamt rund 4,8 Milliarden Euro.
Rund 170 Millionen an IWF, 3,2 Milliarden an EZB und andere Notenbanken, 190 Millionen an Zinsen - insgesamt rund 3,7 Milliarden Euro.
1,5 Milliarden Euro an IWF.
450 Millionen an IWF, 200 Millionen an andere - insgesamt 0,65 Milliarden Euro.
150 Millionen an IWF, 77 Millionen bilaterale Kredite - rund 0,23 Milliarden Euro
1,1 Milliarden Euro an IWF.
So haben deutsche Banken beispielsweise nur noch Forderungen von 2,4 Milliarden Euro gegenüber den griechischen Banken, den Staat und Unternehmen in ihren Büchern. Insgesamt kommen die europäischen Institute laut einem Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich noch auf Griechen-Papiere im Wert von 34 Milliarden Euro.
Auch einen Ansturm der Bürger auf die heimischen Banken der Krisenländer wie ihn aktuell Griechenland zu spüren bekommt, wo in den ersten vier Monaten knapp 30 Milliarden Euro abgezogen worden, sieht Krämer als unwahrscheinlich an. „Die Menschen in den Krisenländern wissen mittlerweile, dass Griechenland politisch wie ökonomisch ein Sonderfall ist.“
Verkraftet die europäische Wirtschaft einen Grexit?
Während sich die meisten Ökonomen sicher sind, dass ein Grexit einen Kollaps für die griechische Wirtschaft zufolge hätte, herrscht über die möglichen Folgen für den Rest der Euro-Zone Uneinigkeit.
„Sollten die Südstaaten abermals Opfer von Spekulationen auf den Finanzmärkten werden, wird das zu einem schwächeren Wachstum in Deutschland führen“, sagt Fratzscher. Solche Spekulationen führten zu einem Vertrauensverlust bei Unternehmen und Konsumenten, und damit zu einer schwächeren Nachfrage. „Das ist der Mechanismus, der mir die größten Sorgen bereitet.“
Zwischen Streit und Einigung: Die Griechenland-Krise
Euroländer und der IWF sagen, dass sie nicht weiter Milliarden an Rettungsgelder in einen Staat pumpen können, der sich nicht modernisieren will.
Griechenlands Problem wurde ursprünglich dadurch ausgelöst, dass sich das Land vor einem Jahrzehnt - in den guten Zeiten - sozusagen mit billigen Krediten vollfraß. Folglich sollte es sich jetzt darauf konzentrieren, Kosten zu senken. Die bisherigen Hilfen für Griechenland liegen bei 240 Milliarden Euro. Seit die Zahlung der Rettungsgelder 2010 begann, hat Athen Einschnitte bei Pensionen, staatlichen Jobs und Sozialausgaben vorgenommen, staatliche Vermögenswerte veräußert und Steuern erhöht.
Weitere Hilfen machen die Gläubiger von Reformen für effizientere Staatsverwaltung und Unternehmensregeln abhängig. So soll Athen unter anderem zahlreiche Steuerfreibeträge abschaffen, Massenentlassungen bei in Schwierigkeiten steckenden Unternehmen leichter machen und ein umfassendes Privatisierungsprogramm neu auflegen.
Um sicher zu sein, dass Athen die Kredite auch zurückzahlen kann, wollen die Gläubiger Zusagen, dass diese Extra-Reformen auch durchgeführt werden.
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras kam hauptsächlich mit einem Versprechen an die Macht: Die Sparmaßnahmen zu beenden, auf die sich vorherige Regierungen eingelassen hatten. Tsipras argumentiert, dass die Maßnahmen umgestaltet werden müssten, um das Wachstum zu stimulieren. Es dürfe nicht nur um Schuldenabbau gehen. Er macht die Einschnitte für eine humanitäre Krise im Land verantwortlich: Die Wirtschaft ist um ein Viertel geschrumpft, mehr als 25 Prozent der Menschen sind arbeitslos und sogar noch mehr ohne Krankenversicherung.
Bei den neuen Reformvorschlägen konzentriert sich Tsipras hauptsächlich auf die Bekämpfung von Steuerflucht der Reichen. Dem Staat wird das aber nur begrenzt mehr Geld einbringen, denn der größte Teil der massiven Steuerschulden entfällt auf normale Haushalte und bankrotte Unternehmen. Andere Maßnahmen wie weitere Privatisierungen oder eine Lockerung von Arbeitsschutzregeln lehnt die Tsipras-Regierung ab.
Um eine drohende Pleite abzuwenden, muss ein Kompromiss her. Volkswirtschaftlern zufolge ist die Eurozone besser vor finanzieller Instabilität geschützt, wenn Griechenland den Euroverbund verlässt. Herabstufungen der Bonitätsnote und ein Anstieg der Kreditzinsen in den vergangenen Wochen haben an den Märkten außerhalb Griechenlands wenig Panik ausgelöst. Für Griechenland würde ein Ausstieg aus der Eurozone zumindest kurzfristig großes wirtschaftliches Chaos bedeuten.
Um einen Deal zu erreichen, hat die Regierung in Athen einigen vordem von ihr abgelehnten Maßnahmen zugestimmt, beispielsweise einer andauernden Aufsicht von außen über die Staatsfinanzen.
Der Schlüssel könnte am Ende in Tsipras' Popularität liegen, meint Gianis Palaiologos, ein angesehener griechischer Finanzkommentator. Demnach könnte der Regierungschef einen Kompromiss eingehen, einige kostensparende Reformen im Gegenzug zu bescheideneren Haushaltszielen akzeptieren.
Solche Auswirkungen sieht Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer dagegen nicht. „Es würden kurzfristig Turbulenzen auf den Finanzmärkten auftreten“, sagt er. „Auf die deutsche Konjunktur dürfte das allerdings nicht durchschlagen, weil die Währungsunion stabil bleiben wird. Und Griechenland selbst ist wirtschaftlich zu klein, als es durch eine einbrechende Nachfrage die deutsche Wirtschaft nach unten ziehen könnte.“
Als Exportland ist Griechenland für deutsche Unternehmen in der Tat kaum noch relevant. Laut Auswärtigem Amt ist Griechenland aktuell nur auf Rang 40 der Importeure deutscher Waren. Im Jahr 2014 exportierten deutsche Unternehmen gerade einmal Waren im Wert von 4,96 Milliarden Euro dorthin.
Welche politische Konsequenzen hat ein Grexit?
Griechenland werde nach einem Austritt aus der Währungsunion eine „Phase des ökonomischen Chaos“ durchmachen, sagt Krämer. Viele ausländische Lieferanten dürften auf Vorkasse bestehen. Und viele griechische Unternehmen und Haushalte würden nach Einführung einer weichen Drachme nicht genügend harte Euro haben, um die teuer gewordenen Importe zu zahlen.
Ökonomen erwarten einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit, Kapitalflucht, einen Bankenkollaps. Um die beim IWF und den Euro-Partnern angesammelten Schulden zu tilgen, hat das Land in diesem Zustand nicht die notwendigen Ressourcen. Das wird die Regierungen in den Geberstaaten unter Druck setzen – allen voran die deutsche.
Diese Regierungen scheiterten wegen der Euro-Krise
Mit Steuererhöhungen wollte die Regierung des Sozialisten Elio Di Rupo den Haushalt stabilisieren. Nach der Wahlniederlage im Mai 2014 führte Charles Michel eine konservativ-liberale Regierung.
Im Februar 2013 löste der Konservative Nikos Anastasiades den linken Präsidenten Dimitris Christofias ab, der bei der Lösung der Finanzprobleme des pleitebedrohten Eurolandes erfolglos blieb.
Im November 2011 trat Silvio Berlusconi nach massivem Druck der Finanzmärkte zurück. Ex-EU-Kommissar Mario Monti führte die Übergangsregierung, bis auch er im Dezember 2012 zurücktrat.
Im Juni 2012 übernahmen die Sozialisten die Regierung, nachdem die UMP des im Mai abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy abgestürzt war. François Hollande löste den durch die Krise schwer belasteten Sarkozy ab.
In der Finanzkrise gab Premier Giorgios Papandreou von der linken Pasok-Partei Ende 2011 auf. Seine Nachfolge trat der parteilose Lucas Papademos an. Bei der Wahl im Mai 2012 verloren die Unterstützer des Sparprogramms die Mehrheit und Samaras übernahm das Steuer.
Im April 2012 kam die Regierung unter Mark Rutte im Streit um den Sparkurs zu Fall. Im September gewann er erneut die Wahl und schmiedete ein Bündnis mit neuen Koalitionspartnern.
Seit Februar 2012 ist eine Mitte-Rechts-Regierung unter Janez Jansa im Amt. Die vorige Regierung stürzte, weil sie die rasant steigende Verschuldung nicht eindämmen konnte.
Die Krise bestimmte maßgeblich den Ausgang der vorgezogenen Wahl im November 2011. Die Sozialisten erlebten ein Debakel, der konservative Mariano Rajoy folgte auf José Luis Rodríguez Zapatero.
Die christlich-liberale Premierministerin Iveta Radicova verknüpfte die Abstimmung im Oktober 2011 über eine Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF mit der Vertrauensfrage und verlor. Im März 2012 gewannen die Sozialdemokraten mit Robert Fico.
Die sozialistische Regierung von José Sócrates wurde angesichts der schweren Wirtschaftskrise im Juni 2011 abgewählt. Pedro Passos Coelho führte dann eine liberal-konservative Regierung.
Bei der Parlamentswahl im Februar 2011 wurde die wirtschaftsliberale Fianna Fail unter Premier Brian Cowen abgestraft. Premier wurde Enda Kenny von der konservativen Fine Gael.
Denn in diesem Fall müssten Angela Merkel und Sigmar Gabriel eingestehen, dass ein großer Teil der öffentlichen Forderungen gegenüber Griechenland nicht mehr beglichen wird – auch den anderen Geberländern ginge es so. Insgesamt 380 Milliarden Euro hat Griechenland an Subventionen, Hilfen und Krediten erhalten. „Die Rettungspolitik wäre damit gescheitert“, so Krämer.
Die Summe, um die es für die Bundesregierung geht, beziffert Fratzscher auf rund 70 Milliarden Euro. Sie umfasst Garantien die Deutschland im Rahmen der Rettungsschirme ESFS und ESM gegeben hat sowie bilaterale Kredite der KfW. Heinemann schätzt, dass die amtierende deutsche Regierung wegen des Kreditausfalls ein Haushaltsdefizit von zwei oder drei Prozent ausweisen müsste.
Das Ganze ist allerdings nur ein buchhalterischer Effekt. Die meisten Experten glaubten ohnehin nicht mehr daran, dass Griechenland noch zu einer Tilgung seiner Schulden fähig ist, die Gelder sind wohl auch ohne Grexit verloren.
Was passiert ohne Grexit?
Weitaus schwerwiegender könnten allerdings die politischen Konsequenzen sein, wenn Griechenland trotz Verweigerung der Reformen im Euro bleibt. Denn so könnten auch die italienische und spanische Regierung beginnen, ihre Schulden nicht mehr zu begleichen und den Reformkurs zu verweigern.
Dass ein solcher Präzedenzfall entsteht, ist aus Heinemanns Sicht die größte Angst der europäischen Regierungsmitglieder. „Der Konsens ist groß, dass Griechenland für seinen Verweigerungskurs bezahlen muss“, so Heinemann.
Das geschieht bereits: Griechenland befindet sich, nachdem 2015 erstmals seit 40 Jahren die realistische Chance bestand, kein Defizit mehr auszuweisen, wieder in einer Rezession; Investoren ziehen ihr Geld ab; das Bankensystem steht unter Druck. Das Land wurde um Jahre zurückgeworfen. „So traurig das klingt, aber das ist wichtig“, so Heinemann. „Griechenland darf nicht das strahlende Beispiel werden, dass die Spanier dazu bringt, eine ähnliche Politik zu unterstützen.“
Eurokritische Parteien wie etwa die spanische Linkspartei Podemos könnten einen möglichen Erfolg der griechischen Syriza nutzen, um bei den Parlamentswahlen 2015 ebenfalls zu versprechen, den harten Reformkurs und den Schuldendienst einzustellen und die bisherigen Schritte der amtierenden Regierung als nicht notwendig darzustellen.
Fazit
Ökonomisch sind die Folgen eines Grexits für die Europäische Union unklar. Der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone könnte einen Schlussstrich unter die Euro-Krise setzen – allerdings sind trotz EZB-Programmen und Rettungsschirm die Risiken einer Ansteckung nach wie vor vorhanden. Die Dynamiken einer Finanzmarktpanik haben Ökonomen auch in der Vergangenheit nicht vorhersehen können, was die Lehmann-Pleite 2008 eindrucksvoll belegte.
Politisch würde ein weiteres Tolerieren des griechischen Reformverweigerungskurses unter der Führung der Syriza der Podemos-Bewegung in Spanien Rückenwind geben und der Europäischen Union Glaubwürdigkeit gegenüber den Investoren kosten.
Allerdings ist ein Grexit aus politischer Sicht ebenfalls nicht kostenlos zu haben: Ein Austritt aus der Währungsunion dürfte das Land weiter destabilisieren und es schließlich endgültig in den wirtschaftlichen Ruin treiben. Die Folge könnten weitere gesellschaftliche Verwerfungen sein. Das Land könnte im Chaos versinken. In jedem Fall wird der griechische Staat weiter Unterstützung brauchen.
Zuletzt steht fest: Auch ohne Euro wäre Griechenland vorerst ein EU-Mitglied. Die Diskussionen um die Zukunft des Landes dürfte Merkel, Hollande und Juncker also auch künftig beschäftigen.