Griechenland dürfte eigentlich gar keine Schulden haben. Denn Deutschland schulde Griechenland rund eine Viertelbillion Euro an Reparationen, womit die griechische Staatsschuld beglichen wäre. Diese Ansicht vertritt offiziell die Regierung in Athen.
Die Forderung nach Reparationen kommt immer wieder auf. Seit April 2015 beziffert sie die griechische Regierung ganz konkret auf 278,7 Milliarden Euro für die Kosten und Verbrechen der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944.
Die Forderung wurde wohl nicht zufällig ausgerechnet dann laut, als Athen erneut kurz vor dem Staatsbankrott stand und nur durch erneute Hilfen der EU, also nicht zuletzt Deutschlands, davor bewahrt werden konnte. Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat vor einigen Tagen diese Forderung erneuert.
Die Verquickung historischer Schuldfragen Deutschlands mit der aktuellen Schuldenkrise Griechenlands ist extrem brisant. Sich zur historischen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und die damals im deutschen Namen verübten Verbrechen zu bekennen, ist Staatsräson der Bundesrepublik. Die Opfer der deutschen Aggression und Besatzung in Zweifel ziehen oder relativieren, will niemand. Neben den beiden anderen Besatzungsmächten Italien und Bulgarien übte die deutsche Militärverwaltung in Griechenland eine verbrecherische Gewaltherrschaft aus, deren Brutalität sich nach dem Kriegsausscheiden Italiens ab September 1943 noch steigerte, bis sich die Wehrmacht dann ein Jahr darauf aus dem Land zurückziehen musste.
Wirtschaftliche Ausplünderung Griechenlands
Die deutsche Besatzungsmacht brachte für die Griechen nicht nur mörderische Gewalttaten und Massaker, sondern auch die wirtschaftliche Ausplünderung, die schließlich eine Inflation verursachte. Griechenland, ohnehin eines der am wenigsten entwickelten Länder Europas, war 1945 wie der Großteil des Kontinents verheert und ausgeblutet. Dazu kam, dass in Griechenland der Zweite Weltkrieg fast ohne Unterbrechung in einen Bürgerkrieg zwischen der von Großbritannien und den USA gestützten Regierung und EAM-Partisanen überging, der erst 1949 mit der Niederlage der Partisanen endete.
Wie steht es tatsächlich um die historischen Ansprüche der Griechen? Sind sie völkerrechtlich berechtigt?
Ein Argument der griechischen Regierung betrifft eine „Zwangsanleihe“ der deutschen Besatzungsmacht über 476 Millionen Reichsmark (Gegenwartswert nach griechischen Angaben rund 10,3 Milliarden Euro), die Griechenland abgepresst worden sei. Zum Beleg verweisen die Griechen auf einen amtlichen deutschen Bericht im Archiv des Auswärtigen Amtes unter der Nummer „R 27320“.
Die angebliche Zwangsanleihe
Das Dokument ist allein schon angesichts des Datums skurril: 12. April 1945. Während vermutlich schon der Geschützdonner der Ostfront (am 16. April begann die Schlacht um Berlin) zu hören war, verfasste Paul Hahn, Direktor bei der Reichsbank und bis September 1944 Leiter der Wirtschaftsabteilung der „Dienststelle Athen des Sonderbevollmächtigten des Auswärtigen Amts für den Südosten“ einen höchst detailreichen Bericht über „die griechische Währung und währungspolitische Maßnahmen während der Besatzungszeit 1941-1944“. Seine erklärte Absicht: „die sich in Griechenland besonders scharf abzeichnenden Währungsprobleme in einer für spätere Auswertungen zweckdienlichen Form“ darzustellen.
Auch in deutschen Medien wird oft von einer „Zwangsanleihe“ oder einem „Zwangskredit“ gesprochen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, bekannt als "Euro-Rebell", weil er zu den wenigen Abgeordneten gehört, die die Eurorettungspolitik offen ablehnen, hat sich das Dokument vom April 1945 genauer angesehen. Er weist darauf hin, dass es darin keinen Hinweis auf eine "Zwangsanleihe" gibt. Der Betrag, den die griechische Seite als solchen bezeichnet, ist vielmehr das Ergebnis einer Rechnung, die jener Beamte Hahn anstellte. Nirgends ist von einer Anleihe oder einem Kredit zu lesen, den die deutschen Besatzer dem griechischen Staat abpressten. Nach damals geltendem Völkerrecht hatte jedes militärisch von einer anderen Macht besetzte Land die Kosten für den Unterhalt der fremden Truppen in eigener Währung zu leisten, beziehungsweise vorzustrecken. Hahn schreibt in seinem Bericht den von der heutigen griechischen Regierung in ihrer Argumentation zitierten Satz: „Demzufolge würde sich die Restschuld, die das Reich gegenüber Griechenland hat, noch auf 476 Mio. RM belaufen.“
Athens Reparationsforderungen an Deutschland
Während des Zweiten Weltkriegs musste Griechenland den deutschen Besatzern netto umgerechnet 476 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellen. Die heutige griechische Regierung interpretiert das als "Zwangsanleihe", die heute noch rückzahlbar sei.
1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensvertrages“. Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ gegenstandslos. Die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - darunter Griechenland - stimmten 1990 der „Charta von Paris“ für eine neue friedliche Ordnung in Europa zu.
Nach Auffassung Berlins ergibt sich aus der Zustimmung zur „abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland“ in der Charta, dass die Reparationsfrage nicht mehr geregelt werden sollte. In Athen wird dagegen argumentiert, die Entschädigungsfrage sei ungeklärt, denn die Unterzeichner hätten den Vertrag nur zur Kenntnis genommen.
2003 wies der Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen eines SS-Massakers in Distomo von 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung und nahm eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.
Ein griechisches Gericht sprach 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstößt das Urteil aber gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Diesen Grundsatz hatten 2002 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit habe das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand der BGH.
In den vergangenen zwei Jahren haben Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank in Athen die Höhe der Reparationen aus griechischer Sicht berechnet. In einer Studie, die die griechische Sonntagszeitung „To Vima“ im März 2015 veröffentlicht hatte, wurden die Gesamtforderungen auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas nannte am 6. April dann in einer Rede vor dem Parlament nach einer ersten Auswertung des zuständigen Parlamentsausschusses eine Summe von 278,7 Milliarden Euro.
Deutschland vereinbarte zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädigungsabkommen mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag ist laut Bundesregierung festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen. 2014 wurde die Forderung nach Entschädigungen auch beim Athen-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck laut. Die Bundesregierung wies die Ansprüche zurück. Athens Forderungen seien geregelt, heißt es bis heute.
Diese Besatzungskosten als einen „Zwangskredit“ oder eine „Zwangsanleihe“ zu interpretieren, wie es die griechische Regierung und ihre Argumentation stützende Historiker tun, ist also mehr als zweifelhaft. Nicht nur der Politiker Willsch, sondern auch der Mannheimer Historiker Heinz A. Richter hat darauf mehrfach hingewiesen.
Die Frage ist durchaus nicht rein akademisch, sondern hochpolitisch: Ein Zwangskredit, wenn es ihn denn gäbe, fiele unters Privatrecht und könnte durchaus Rückzahlungsansprüche begründen. Aber gerade der Bericht von Hahn widerlegt dies: Es geht um eine „Restschuld“ für Besatzungskosten.
Diese können Reparationen durchaus begründen. Allein: Das hat sich längst erledigt, wie der Blick auf die deutsch-griechische Nachkriegsgeschichte zeigt, die Richter in verschiedenen Publikationen nachgezeichnet hat. Völkerrechtlich begründbare Reparationen Deutschlands für Griechenland sind mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 gestundet und mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 ad acta gelegt worden.
Das heißt aber nicht, dass keine Zahlungen stattfanden. Deren lange Geschichte wiederum spielt in der aktuellen griechischen Argumentation keine Rolle – vermutlich mit guten Gründen, denn es ist eine einzige Aneinanderreihung von Schlendrian, Korruption und Veruntreuung.
Im Pariser Reparationsabkommen von 1946 einigten sich die Siegermächte darauf, welcher Staat welche Reparationsgüter aus dem besetzten Deutschland über eine eigens gegründete „Interalliierte Reparationsagentur“ erhalte. Griechenland wurden Reparationsleistungen in einem Wert von damaligen 30 Millionen Dollar zugeschlagen. Das waren funktionsfähige Produktionsanlagen aus dem Ruhrgebiet. Diese wurden 1948 nach Hamburg zur Verschiffung gebracht, wo sie monatelang vor sich hin rosteten. Als 1950 ein Teil davon auf einem englischen Schiff nach Piräus gehen sollte, kam die Ladung dort nie an. Verbleib ungeklärt. Die zweite Ladung wurde von einem englischen Unternehmen verschrottet. Die Erlöse landeten in verschiedenen Taschen, aber offenbar nicht beim griechischen Staat.
Als ein griechischer Journalist nachbohrte, setzte es Drohungen und Prügel vom zuständigen und wohl auch profitierenden Diplomaten, wie der Spiegel 1952 berichtete: "…schüttelte der Leiter der griechischen Reparationskommission in der Bundesrepublik, Georg Lavdas, den Bonner Korrespondenten der griechischen Zeitung "Allagi", Vassos Mathiopoulos, 24, wie einen heimischen Olivenbaum und schrie ihm mit wütender Stimme ins Gesicht: ‚Ich werde dich schon dazu bringen, dein Maul zu halten!‘"
Adenauer gewährte Griechenland ein Zins-Privileg
In der Londoner Schuldenkonferenz von 1952 einigten sich 20 Gläubigerstaaten – inklusive Griechenland – mit der jungen Bundesrepublik darauf, die Prüfung ihrer Reparationsforderungen „bis zur endgültigen Regelung“ zurückzustellen. Damit war ein Friedensvertrag gemeint. Den ersetzte dann der Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990, in dem die Siegermächte ausdrücklich keine Reparationsforderungen mehr erhoben. Dem Vertrag stimmten alle KSZE-Staaten, auch Griechenland, zu.
Griechenland war zuvor durchaus nicht leer ausgegangen. Die Bundesrepublik hatte in den 1950er und 1960er Jahren mehrere bilaterale Entschädigungsabkommen mit Staaten geschlossen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten hatten. 1958 wurde ein deutsch-griechisches Abkommen unterzeichnet, dass einen Kredit von 200 Millionen DM und einer Laufzeit von 20 Jahren vorsah.
Die wichtigsten Antworten im Poker um neue Griechenlandhilfen
Die Ressortchefs wollen griechische Spar- und Reformschritte bewerten. Wenn die - seit Monaten verzögerte - Überprüfung des im vergangenen Jahr gestarteten Hilfsprogrammes abgeschlossen wird, ist der Weg für weitere Milliardenhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM geebnet.
Eher gut. Ein ganz wichtiger Punkt sind die griechischen Reformbemühungen, vor allem im Renten- und Sozialsystem. Am Sonntag verabschiedete das Parlament in Athen ein weiteres Sparpaket. Darin sind Steuererhöhungen vorgesehen, Tanken, Rauchen und Telefonieren etwa dürften in Zukunft deutlich teurer werden. Die Maßnahmen sollen rund 1,8 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen.
Das Parlament beschloss außerdem eine insbesondere vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderte Schuldenbremse. Diese soll greifen, falls Griechenland Sparziele nicht erfüllt. Sie ist notwendig, weil der Weltwährungsfonds die Budgetaussichten des Landes deutlich pessimistischer einschätzt als die europäischen Partner.
Er rechnet mit einer Einigung der Geldgeber über die Freigabe weiterer Griechenland-Hilfen. „Wir kriegen das hin, wir sind auf gutem Weg“, hatte der CDU-Politiker am Samstag in Japan gesagt. „Ob wir am Dienstag fertig werden, weiß ich nicht“, schränkte er jedoch ein.
Allein im Juli muss Griechenland zusammen 3,67 Milliarden Euro an den IWF, die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Gläubiger zurückzahlen. Das Geld fehlt aber zur Zeit in den Staatskassen. In der Debatte ist ein hoher Auszahlungsbetrag in der Spanne von neun bis elf Milliarden Euro. Das dritte Rettungsprogramm hat insgesamt einen Umfang von bis zu 86 Milliarden Euro.
Ja. Selbst nach einer Einigung zwischen den Eurostaaten und Griechenland dürften noch einige Wochen vergehen, bevor Geld nach Athen fließen kann. In einigen Ländern des gemeinsamen Währungsraums, unter anderem in Deutschland, müssen nationale Parlamente vor einer endgültigen Entscheidung noch zustimmen.
Die Euro-Minister legten zum ersten Mal einen Zeitplan vor. Das reicht dem IWF aber offenkundig nicht aus. Es sickerte ein weitgehender Plan durch, wonach die Europäer Zinsen und Rückzahlungen bis 2040 aufschieben sollten. Das Thema ist politisch extrem kompliziert, zumal Schäuble mehrfach sagte, Schuldenmaßnahmen seien für die nächsten Jahre gar nicht nötig.
Bisher nicht. Vor allem Deutschland pocht auf eine Beteiligung des Fonds. Ob es rasche Bewegung geben wird, ist offen. Die eloquente IWF-Chefin Christine Lagarde ist verhindert und wird bei der Eurogruppe gar nicht am Tisch sitzen.
Pikant dabei: Bundeskanzler Konrad Adenauer gewährte den Griechen mit einem Trick an der Öffentlichkeit und dem Bundestag vorbei einen tatsächlichen Zinssatz von nur vier Prozent, während offiziell von sechs Prozent die Rede war. Dazu kamen noch 3 Millionen DM jährlich als Geschenk an den griechischen Staat, sowie weitere Entwicklungshilfeprojekte und ein zinsgünstiger Kredit der bundeseigenen KfW-Bank von 150 Millionen DM. Insgesamt erhielt Griechenland von 1956 bis 1963 deutsche Zahlungen im Wert von etwa einer Milliarde Mark, wie die Historikerinnen Katerina Kralova und Nikola Karasova errechnet haben.
Großteil des Geldes erreichte die Opfer nie
Wie andere Länder, die unter den Nazis gelitten hatten, bekam Griechenland auch so genannte „Wiedergutmachung“, die an die Opfer individuell ausgezahlt werden sollte. Und zwar 115 Millionen Mark entsprechend einem Abkommen von 1960. Die Verteilung dieses Geldes übernahm der griechische Staat. Historiker Richter schätzt, dass etwa drei Viertel dieses Geldes nie die Opfer erreichte, sondern „in den Taschen von Politikern“ landete.
Die deutsche Seite ging davon aus, dass durch diesen Vertrag alle Endschädigungsfragen abschließend geregelt waren. Dennoch kommen seit den 1990er Jahren immer wieder neue Forderungen aus Griechenland auf. 1997 verurteilte ein griechisches Gericht die Bundesrepublik zu 55 Millionen Euro Schadenersatz für die Opfer des SS-Massakers von Nostromo, beziehungsweise deren Nachkommen.
Es folgte ein jahrelanger diplomatischer Streit, da die Bundesregierung dieses Urteil aus völkerrechtlichen Gründen nicht anerkannte. Die Antwort der damaligen rot-grünen Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS, die – wie heute ihre Nachfolgepartei „Die Linke“ – auf die Reparationsforderungen eingehen wollte, hat nicht an Aktualität eingebüßt:
„Nach Ablauf von 55 Jahren seit Kriegsende und Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Deutschland hat seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges in hohem Maße Reparationsleistungen erbracht, die die betroffenen Staaten nach allgemeinem Völkerrecht zur Entschädigung ihrer Staatsangehörigen verwenden sollten. Allein durch Wiedergutmachung und sonstige Leistungen wurde ein Vielfaches der ursprünglich auf der Konferenz von Jalta ins Auge gefassten Reparationen in Höhe von 20 Mrd. US-Dollar erbracht. Im Übrigen wären Reparationen über 50 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzung in der völkerrechtlichen Praxis ein Sonderfall ohne jede Präzedenz.“ (Das vollständige Dokument finden Sie hier).