
WirtschaftsWoche Online: Herr Bastian, am Freitag kommt in Athen eine Art Südallianz auf Einladung des griechischen Premierministers Alexis Tsipras zusammen. Was fordern Griechenland und die Südeuropäer vom Rest der EU?
Jens Bastian: Es geht um drei Themen. Erstens: Griechenland will seine Staatsschulden restrukturieren und hofft auf die Unterstützung der anderen Südeuropäer. Griechenland will, zweitens, die Sparpolitik in der Eurozone in Frage stellen und den geforderten Primärüberschuss von 3,5 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung reduzieren. Und drittens: Die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU ist gescheitert. Deswegen wollen Griechenland, Italien sowie Malta und Spanien eine gemeinsame Strategie erarbeiten.
Aber griechische Interessen müssen nicht zwangsläufig spanische oder italienische sein.
Ja, hier ist viel Symbolpolitik im Spiel. Tsipras träumte zu Anfang seiner Regierungszeit davon, eine linke Südallianz in Europa zu formen. Der spanische Premierminister Mariano Rajoy beispielsweise ist aber ein Konservativer und kommt nicht mal nach Athen, weil er nur noch geschäftsführend im Amt ist. Trotzdem wird der Gipfel probieren, ein Zeichen gegen die Sparpolitik zu setzen. Das ist das verbindende Element – trotz aller Unterschiede.
Zur Person
Der Griechenland-Experte und Ökonom Dr. Jens Bastian arbeitet als unabhängiger Wirtschafts- und Finanzanalyst in Athen. Von 2011 bis 2013 war er Mitglied in der Griechenland-Task-Force der EU-Kommission. Zuvor arbeitete er zehn Jahre für eine griechische Privatbank.
Im Mai hatten sich die EU-Finanzminister darauf verständigt, die Frage der Schuldenrestrukturierung für Griechenland auf das Jahr 2018 zu verschieben – also auf die Zeit nach der deutschen Bundestagswahl. Ist dieser Kompromiss dahin?
Aus griechischer Sicht schon. Die Schuldentragfähigkeit bestimmt, ob eine wirtschaftliche Erholung des Landes überhaupt möglich ist. Ohne Restrukturierung gibt es keine Investitionen. Und deswegen hätte Tsipras gerne möglichst schnell eine internationale Schuldenkonferenz für Griechenland, ähnlich wie die Londoner Schuldenkonferenz von 1953 für das damalige Westdeutschland.
Das wird Deutschland nicht mitmachen.
Die Position von Finanzminister Wolfgang Schäuble ist eindeutig: Kein nominaler Schuldenschnitt. Diese Position ist in der Eurogruppe der Finanzminister klare Mehrheitsmeinung.
Kann es beim Thema Primärüberschuss einen Kompromiss geben?
Schon eher. Der Internationale Währungsfonds bezweifelt mittlerweile, dass Griechenland dieses überambitionierte Ziel erfüllen und durchhalten kann. Der IWF hält 2,5 statt 3,5 Prozent für sinnvoller. Ähnlich wie bei der Frage der Schuldentragfähigkeit kommt der IWF zu anderen Ergebnissen als die europäischen Geldgeber.
Weshalb die Europäer den IWF rauskaufen könnten.
Der IWF beteiligt sich bis heute nicht finanziell am dritten Programm. Es gibt Wege, die Finanzierung des dritten Hilfspakets sicherzustellen, selbst wenn der IWF aussteigt. Der Ausstieg des IWF ist aber nicht mehrheitsfähig in der Eurogruppe. Deutschland, die Niederlande, die Slowakei und andere Mitglieder fordern, dass der IWF an Bord bleibt. Das hat oft auch innenpolitische Gründe in diesen Ländern.