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Großbritannien Cameron macht in der Europafrage Druck

Mit dem Rückenwind seines Wahlsiegs plant der britische Premier die Verhandlungen über das künftige Verhältnis zur EU zügig zu beginnen. Schlüsselfigur wird dabei sein engster Vertrauter: Finanzminister George Osborne.

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Jubel, Triumph und Tränen
Die großen Sieger sind im Norden des Königreiches zu finden: Die Scottish National Party (SNP) könnte es der Prognose zufolge auf 58 von 59 schottischen Sitzen im Parlament in Westminster schaffen. Vor allem der Labour-Partei nahmen sie in deren früherer Hochburg zahlreiche Direktmandate ab. Quelle: dpa
Verlierer und Sieger: Der Schatten-Außenminister und Labour-Wahlkampfmanager Douglas Alexander schaffte es in seinem schottischen Wahlkreis nur auf knapp 18 Prozent der Stimmen und verlor seinen Platz im Parlament an die 20-jährige Politikstudentin Mhairi Black von der SNP (51 Prozent). Sie wird als jüngste Abgeordnete seit 1667 in das britische Parlament einziehen. Quelle: AP
David Cameron wird wohl Premierminister von Großbritannien bleiben. Sein Herausforderer Ed Miliband muss als amtierender Chef der Labour-Partei bei der britischen Parlamentswahl empfindliche Verluste verkraften. Laut einer nach der Wahl am Donnerstag veröffentlichten Wählerbefragung für BBC, Sky und ITV können die Tories 316 Abgeordnete ins Westminster-Parlament schicken, die Labour-Partei nur 239. Noch in der Nacht wurden Spekulationen über einen baldigen Rücktritt von Labour-Chef Ed Miliband laut. Quelle: AP
Nach der jüngsten BBC-Prognose muss die sozialdemokratische Partei massive Verluste hinnehmen und kommt mit Herausforderer Ed Miliband auf nur 232 Sitze. Quelle: AP
Feiert sich, obwohl verbuchbar unter ferner liefen: Die Official Monster Raving Loony Party (etwa: Offizielle Partei der rasenden verrückten Ungeheuer) macht sich seit Jahrzehnten über den Politikbetrieb lustig. Parteichef Alan „Howling Laud“ Hope tritt in weißem Anzug mit einer Rosette in Übergröße, Cowboyhut und Fliege im Leoparden-Look auf – und feiert in der Nacht die paar Tausend Stimmen, die seine Partei abfahren könnte. Das Parteiprogramm "Manicfesto" enthält Vorschläge wie: Klimaanlagen außen an Häusern anbringen, um der Erderwärmung zu begegnen und die Börse mit Airbags ausrüsten, um sie für den nächsten Crash zu wappnen. Einst als übergeschnappt abgetan, wurden einige Vorhaben tatsächlich umgesetzt, darunter Pässe für Haustiere, 24-Stunden-Pubs und Auszeichnungen für die Beatles. Quelle: dpa
Die Liberaldemokraten um Parteichef Nick Clegg verteidigt zwar seinen Parlamentssitz. Der Vize-Premierminister holt seinen Wahlkreis Sheffield Hallam mit 22.215 Stimmen, sein Labour-Konkurrent Oliver Coppard auf 19.862. Laut Nachwahlbefragungen rutschten die Liberaldemokraten von bislang 56 auf nur noch zehn Sitze ab. Auch Clegg hatte der Verlust seines Mandats gedroht. „Es ist nun schmerzhaft klar, dass das eine grausame und bestrafende Nacht für die Liberaldemokraten war", sagte Clegg nach seiner Wiederwahl in einer Rede. Quelle: dpa
Dein Bild des Ukip-Spitzenkandidaten war auf das BBC-Gebäude projeziert. Seine euro-skeptische Partei schnitt laut BBC-Prognose 12,2 Prozent zwar schwächer ab als erwartet, nimmt wohl aber statt einem, zwei Sitze im Parlament ein. Quelle: REUTERS

Berlin und Brüssel aufgepasst. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause will Premierminister David Cameron dem Vernehmen nach die Weichen für ein radikales Reformpaket stellen, um das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zu Europa auf eine neue Basis zu stellen. Dazu gehört nicht nur die Konkretisierung seines Forderungskatalogs für die Verhandlungen im Vorfeld des von ihm angekündigten Referendums über die künftige britische EU-Mitgliedschaft, das spätestens 2017 anberaumt werden soll. Er will auch - so jedenfalls berichten es regierungsnahe Publikationen im Vereinigten Königreich - rasch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aussteigen. Die Konvention und die Entscheidungen des  Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sind den Briten schon lange ein Dorn im Auge. Am Sonntag ernannte der Premier den früheren Erziehungsminister Michael Gove zum Justizminister. Der konfrontationsfreudige Politiker vom rechten Flügel der Tory-Partei ist zwar kein Jurist, hat aber ein dickes Fell wenn es darum geht, kontroverse Maßnahmen durchzusetzen und wird den Abschied aus der Europäischen Menschenrechtskonvention mit Verve vorantreiben.

Wahl des Unterhauses

Als erste Amtshandlung nach der Wahl bestätigte Cameron zudem Finanzminister George Osborne, Außenminister Philip Hammond, Verteidigungsminister Michael Fallon und Innenministerin Theresa May in ihren Ämtern. Osborne erhielt zusätzlich den Ehrentitel des "Ersten Ministers" - und wird im Kabinett als Primus inter Pares künftig als offizieller Stellvertreter Camerons fungieren. Außerdem wird er als Verhandlungsleiter auch die Schlüsselfigur bei den künftigen Gesprächen der britischen Regierung mit der EU sein. In Kürze soll er gemeinsam mit Außenminister Hammond nach Berlin und Brüssel reisen, um dort den Forderungskatalog für ein lockereres Verhältnis Großbritannien zu konkretisieren und Spielräume für die Verhandlungen mit den übrigen EU-Partnern auszuloten. "Die Idee ist, George und Phil möglichst rasch ins Flugzeug nach Berlin zu setzen und ein offenes Gespräch mit den Beratern von (Bundeskanzlerin Angela) Merkel zu beginnen um zu sehen, was eigentlich möglich ist", zitierte die Sunday Times ein hochrangiges Mitglied der Tory-Partei.

Osborne ist ein langjähriger Weggefährte Camerons und einer seiner engsten politischen Vertrauten. Anders als der farblose und euroskeptische Hammond gilt der Finanzminister im Hinblick auf Europa als weniger ideologisch festgelegt. Mit der neugewonnen Autorität sein Wahlsiegs ausgestattet möchte der Premier ohne Zeit zu verlieren nun gleich in den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit die politische Initiative ergreifen. Seine konservative Partei hatte am Donnerstag mit 331 von 650 Sitzen überraschend die absolute Mehrheit gewonnen und wird künftig allein die Regierung stellen.

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