




Berlin und Brüssel aufgepasst. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause will Premierminister David Cameron dem Vernehmen nach die Weichen für ein radikales Reformpaket stellen, um das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zu Europa auf eine neue Basis zu stellen. Dazu gehört nicht nur die Konkretisierung seines Forderungskatalogs für die Verhandlungen im Vorfeld des von ihm angekündigten Referendums über die künftige britische EU-Mitgliedschaft, das spätestens 2017 anberaumt werden soll. Er will auch - so jedenfalls berichten es regierungsnahe Publikationen im Vereinigten Königreich - rasch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aussteigen. Die Konvention und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sind den Briten schon lange ein Dorn im Auge. Am Sonntag ernannte der Premier den früheren Erziehungsminister Michael Gove zum Justizminister. Der konfrontationsfreudige Politiker vom rechten Flügel der Tory-Partei ist zwar kein Jurist, hat aber ein dickes Fell wenn es darum geht, kontroverse Maßnahmen durchzusetzen und wird den Abschied aus der Europäischen Menschenrechtskonvention mit Verve vorantreiben.
Wahl des Unterhauses
Wahllokale
Um 7:00 Uhr (Ortszeit) öffnen die etwa 50.000 Wahlbüros in ganz Großbritannien ihre Pforten. Eine Stimmabgabe ist bis 22 Uhr möglich. Dann schließen die Lokale und die Auszählung beginnt. Mit einem Ergebnis ist frühestens Freitagmittag zu rechnen.
Wahlsystem
In Großbritannien gilt das sogenannte Mehrheitswahlrecht. Das bedeutet dass der Kandidat gewinnt, der die meisten Stimmen im Wahlkreis hat. Es finden 650 Einzelwahlen statt, aus denen jeweils ein Sieger hervorgeht. Die für die anderen Kandidaten abgegeben Stimmen verfallen.
Hochrechnungen
Im Mehrheitswahlrecht ist die Prozentzahl nicht konstitutiv für die Zahl der Sitze. Anstelle von Hochrechnungen wird mit Schließung der Wahlbüros eine Prognose abgegeben, bevor dann die Stimmen ausgezählt werden.
Stimmbezirke
England ist mit 533 Wahlkreisen am stärksten vertreten. Gefolgt von Schottland mit 59, Wales mit 40 und Nordirland mit 18 Wahlkreisen. Obwohl die geografische Größe der Nationen sich stark voneinander unterscheidet, erreichen alle vertretenen Wahlkreise etwa 70.000 Wähler.
Mehrheit
Rein rechnerisch wird mit 326 Stimmen bei insgesamt 650 Abgeordneten im Unterhaus eine Mehrheit erreicht. Experten gehen jedoch davon aus, dass der zukünftige Premierminister nur 323 Stimmen benötigen wird. Der sogenannte Speaker (Parlamentssprecher) ist nicht stimmberechtigt.
Wahlbeteiligung
Bei der Unterhauswahl im Jahr 2010 haben 29,7 von insgesamt 45,6 Millionen Registrierten ihre Stimme abgegeben. Wie die Wahlbeteiligung in diesem Jahr ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Etwa 30 von 64 Millionen Bürgern sind zur Wahl berechtigt.
Regierungsbildung
Im Normalfall bildet die stärkste Partei mit der absoluten Mehrheit die Regierung. Dass bedeutet, dass auch die Partei, die nach Wählerstimmen nur zweite oder dritte geworden ist, die Regierung stellen kann. Sollte der amtierende Premier nicht mehr kandidieren wollen, muss er bei der Queen höchstpersönlich seinen Rücktritt einreichen.
Als erste Amtshandlung nach der Wahl bestätigte Cameron zudem Finanzminister George Osborne, Außenminister Philip Hammond, Verteidigungsminister Michael Fallon und Innenministerin Theresa May in ihren Ämtern. Osborne erhielt zusätzlich den Ehrentitel des "Ersten Ministers" - und wird im Kabinett als Primus inter Pares künftig als offizieller Stellvertreter Camerons fungieren. Außerdem wird er als Verhandlungsleiter auch die Schlüsselfigur bei den künftigen Gesprächen der britischen Regierung mit der EU sein. In Kürze soll er gemeinsam mit Außenminister Hammond nach Berlin und Brüssel reisen, um dort den Forderungskatalog für ein lockereres Verhältnis Großbritannien zu konkretisieren und Spielräume für die Verhandlungen mit den übrigen EU-Partnern auszuloten. "Die Idee ist, George und Phil möglichst rasch ins Flugzeug nach Berlin zu setzen und ein offenes Gespräch mit den Beratern von (Bundeskanzlerin Angela) Merkel zu beginnen um zu sehen, was eigentlich möglich ist", zitierte die Sunday Times ein hochrangiges Mitglied der Tory-Partei.
Osborne ist ein langjähriger Weggefährte Camerons und einer seiner engsten politischen Vertrauten. Anders als der farblose und euroskeptische Hammond gilt der Finanzminister im Hinblick auf Europa als weniger ideologisch festgelegt. Mit der neugewonnen Autorität sein Wahlsiegs ausgestattet möchte der Premier ohne Zeit zu verlieren nun gleich in den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit die politische Initiative ergreifen. Seine konservative Partei hatte am Donnerstag mit 331 von 650 Sitzen überraschend die absolute Mehrheit gewonnen und wird künftig allein die Regierung stellen.