Beim Weltwirtschaftsforum hatte er seine Europa-Vision auf internationaler Bühne eloquent verteidigt und war mit seiner vehementen Forderung nach einer Reform der EU sogar auf einige Zustimmung gestoßen. Doch daheim in London gab es für David Cameron schlechte Nachrichten. Ein unerwartet starker Konjunktureinbruch im vierten Quartal des vergangenen Jahres hat den Kritikern des konservativen Regierungschefs neue Munition geliefert.
Da Großbritannien nun Gefahr läuft, zum dritten Mal seit Beginn der Finanzkrise in die Rezession abzurutschen, werden die Stimmen im Vereinigten Königreich und im Ausland lauter, die Cameron und seinen Finanzminister George Osborne auffordern, ihren drakonischen Sparkurs zu lockern. Sogar der Internationale Währungsfonds gehört dazu. Und der Bürgermeister von London, Boris Johnson, der zu Camerons gefährlichsten innerparteilichen Konkurrenten zählt, erklärte, das viele Gerede von Entbehrungen und Sparen müsse jetzt endlich ein Ende haben.
Kurzfristige Impulse durch Olympische Spiele
Am Freitag hatte das Statistikamt ONS die mit Spannung erwarteten Konjunkturzahlen für das vierte Quartal 2012 veröffentlicht: die britische Wirtschaft ist nach dieser ersten Schätzung um 0,3 Prozent - und damit stärker als erwartet - geschrumpft. Damit ist auch klar, dass das Plus im dritten Quartal nur ein Strohfeuer war. Vermutlich hatten der Kartenverkauf für die Olympischen Spiele und die mit dem sportlichen Großereignis verbundenen kurzfristigen Konjunkturimpulse vorübergehend geholfen - nachhaltig aber waren sie nicht. Da Großbritannien in den neun Monaten zuvor bereits ein negatives Wachstum zu verzeichnen hatte, sieht die Gesamtbilanz für das vergangene Jahr trist aus: Stagnation statt der erhofften Erholung. Das Finanzministerium sprach von einer "sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation".
Lage ist schlechter als 1929
Denn der britischen Wirtschaft droht nun der dritte Rückfall in die Rezession (technisch definiert als zwei Quartale negativen Wachstums) seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007. Das Problem ist vor allem, dass das Bruttoinlandsprodukt heute immer noch um 3,3 Prozent niedriger als ist als vor der Bankenkrise. "Damit ist die Lage schlechter als zum vergleichbaren Zeitpunkt nach der Weltwirtschaftskrise von 1929", sagt George Buckley, Chefökonom der Deutschen Bank in London.
Eine schnelle Erholung ist nicht in Sicht, und eine ganze Reihe von Volkswirten befürchtet, dass 2013 noch schwieriger werden dürfte als 2012, weil es ohne den Sonderfaktor Olympische Spiele keine zusätzlichen Wachstumsimpulse gibt und die Regierung mit den soeben beschlossenen Kürzungen der Sozialausgaben ihren Sparkurs noch weiter verschärft. Hinzukommt, dass die drei großen Ratingagenturen Großbritannien schon bald das begehrte Triple-A-Rating entziehen könnten. Möglicherweise wird dies geschehen, wenn Finanzminister George Osborne im März den neuen Haushaltsentwurf vorlegt und dann im Hinblick auf den Abbau des hohen Haushaltsdefizits Farbe bekennen muss.
Fragen zur Haltung zur EU bleiben
Denn die Konjunkturschwäche hat zu einem geringeren Steueraufkommen geführt und gefährdet damit den von Osborne angestrebten Defizitabbau. Er musste bereits letztes Jahr einräumen, dass es ihm nicht gelingen wird, das Haushaltsloch bis zum Ende der Legislaturperiode auf unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. Die Konsolidierung wird statt dessen frühestens 2018, und damit drei Jahre später als ursprünglich geplant, erreicht - wenn dieses Ziel nicht erneut revidiert werden muss.
Unklar ist zwar, ob ein Herabstufung des Ratings wirklich verheerende Folgen für Großbritannien hätte. Der Verlust der AAA-Bewertung hatte nämlich bei den USA und Frankreich bisher keine negativen Folgen, was die Refinanzierung ihrer Staatsschulden anging. Auch Großbritannien gelang es bisher trotz seines hohen Haushaltsdefizits problemlos Käufer für seine Staatsanleihen zu finden und auch der Wechselkurs des Pfundes war bis vor kurzem stabil, denn das Land galt vielen Anlegern bis jetzt als sicherer Hafen außerhalb der Eurozone. Doch das ändert sich nun, die Stimmung an den Märkten schlägt um. Mit der Stabilisierung der Eurozone verliert Großbritannien seine Attraktivität und eine wachsende Zahl internationaler Investoren stellt die Sparpolitik von Finanzminister Osborne nun in Frage.
Angst vor dem EU-Austritt
Die wirtschaftliche Misere kommt der oppositionellen Labour-Partei zugute, denn in den Meinungsumfragen liegt sie nun schon seit Monaten vorne. Eine neue Befragung vom Wochenende ergab allerdings auch, dass die Tories ihren Abstand zu Labour nach Camerons Europa-Rede vom letzten Mittwoch verringern konnten. Die Zugewinne der Konservativen gingen in erster Linie auf Kosten der Splitterpartei UKIP, die lautstark für einen Austritt aus der EU wirbt. UKIP war in den letzten Monaten zunehmend zum Sammelbecken von euroskeptischen Stammwählern der Konservativen Partei geworden. Als Folge von Camerons Rede - in der er seinen Landsleuten im Falle seiner Wiederwahl bis 2017 ein Referendum über die weitere Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU versprochen hatte - gingen UKIPs Popularitätswerte von 14 auf zehn Prozent zurück, während sich die Tories von 28 Prozent auf 33 Prozent verbessern konnten.
Cameron - Briten sollen nach 2015 über EU-Austritt abstimmen
Doch die Mehrheit der Wähler favorisiert weiterhin die Labour-Partei. Deren Chef, Ed Miliband, warf Cameron am Wochenende in einem Interview mit der "Sunday Times" vor, er habe das Referendum lediglich aus taktischen Gründen angekündigt, um UKIP und den Euroskeptikern in der Konservativen Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen. Schließlich habe Cameron selbst erst vor 18 Monaten im Parlament gegen eine Volksbefragung gestimmt. "Ist sein Meinungsumschwung auf den Druck aus seiner eigenen Partei und seiner Angst vor UKIP zurückzuführen?", so Miliband.
Labour-Partei will kein Referendum
Gleichzeitig bekräftigte der Labour-Chef in der "Sunday Times" erneut, er sei gegen ein EU-Referendum. "Ich glaube einfach nicht, dass es im nationalen Interesse ist", betonte er und ergänzte: "Es machte keinen Sinn, sich so viele Jahre vorher auf ein Referendum festzulegen". Damit spricht er vielen Unternehmern aus dem Herzen, die meinen, nun werde eine lähmende Phase der Ungewissheit folgen, in der Entscheidungen über neue Investitionen auf Eis gelegt werden müssten. Manager der ausländischen Autokonzerne auf der Insel - darunter BMW, Ford und Honda - haben bereits vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU gewarnt. Auch in der Londoner City sorgt man sich deshalb und Vertreter großer Anlagegesellschaften und Fonds fürchten, dass sie nach einem "Brixit" Schwierigkeiten haben dürften, ihre Finanzprodukte außerhalb Großbritanniens zu vermarkten.
All dies macht klar: Politisch mag Camerons Europa-Rede und sein Referendums Versprechen ein kluger Schachzug gewesen sein, doch für die schwache britische Wirtschaft kam sie zum falschen Zeitpunkt, auch wenn sich der britische Regierungschef für Bürokratieabbau, mehr Wettbewerb und weniger Regulierung stark machte. Zudem läuft er Gefahr, dass die Briten, die unter dem Sparkurs der Regierung ächzen, der langwierigen Europadebatten bald überdrüssig werden. Die nächsten Wahlen finden erst im Mai 2015 statt; gut möglich, dass die Labour-Partei ihren Vorsprung bis dahin weiter ausbauen kann und die Wähler den Tories einen Denkzettel erteilen, falls die Konjunktur dann noch schwächelt. Doch wenn die Tories im Mai 2015 eine Niederlage erleiden sollten, wird es womöglich auch keine Verhandlungen über britische Sonderrechte und kein Referendum über den Verbleib oder Austritt aus der EU geben.