Großbritannien May will Brexit-Deal wieder aufschnüren - Brüssel lehnt ab

Theresa May will Brexit-Deal nachverhandeln - EU lehnt ab Quelle: UK Parliament/Mark Duffy/Handout via REUTERS

Das britische Unterhaus hat am Abend über den Kurs für den Ausstieg aus der Europäischen Union abgestimmt. Anträge zur Verschiebung des Brexit-Datums wurden abgelehnt, zur irischen Grenze soll nachverhandelt werden.

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Nur zwei Monate vor dem Brexit will die britische Premierministerin Theresa May das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen wieder aufschnüren. Die unter enormen Druck stehende Regierungschefin warb am Dienstag im Londoner Parlament für ein Mandat der Abgeordneten, die schwierige Nordirland-Frage nachzuverhandeln. Das britische Parlament stimmte am Dienstagabend mit knapper Mehrheit dafür, die Garantie einer offenen Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland im Brexit-Deal neu zu verhandeln. Bislang hat sich die EU strikt gegen Nachverhandlungen des Deals ausgesprochen. Brüssel reagierte besorgt, sondern zeigt sich lediglich für eine Verschiebung offen.

Zunächst hatte das britische Unterhaus über den Plan von Premierministerin Theresa May zum weiteren Vorgehen beim Brexit debattiert und anschließend über Änderungsanträge dazu abgestimmt. Den Abgeordneten lagen am Abend insgesamt sieben Anträge vor. Beobachter hoffen, dass nach der Sitzung klarer ist, wie es nach der Abstimmungsniederlage der Regierung am 15. Januar mit dem Brexit-Abkommen weitergehen soll. Erst zum Schluss Schluss wurde über das Gesamtpaket abgestimmt. Mit einer neuerlichen Ablehnung sind alle Änderungen hinfällig.

Gleich der erste Antrag von Oppositionsführer Jeremy Corbyn scheiterte zum Beginn der Abstimmungsrunde. Darin waren Alternativen zu einem Brexit ohne Abkommen aufgeführt. Anschließend lehnte das britische Unterhaus auch der Vorschlag der schottischen Nationalpartei SNP für einen Verbleib Schottlands in der EU trotz Brexits ab. Der von Fraktionschef Ian Blackford eingebrachte Antrag sah zudem eine Verschiebung des EU-Austritts vor.

Ebenso wenig wollte das Parlament vorerst die Kontrolle im Brexit-Prozess übernehmen. Die Abgeordneten votierten mehrheitlich gegen einen Antrag des konservativen Abgeordneten Dominic Grieve, der die Entscheidung über den Brexit-Kurs in die Hände des Parlaments legen sollte. Dazu sollten im Februar und März insgesamt sechs Debattentage im Unterhaus reserviert werden, an denen über Alternativen zum abgelehnten Brexit-Abkommen von Premierministerin Theresa May abgestimmt werden sollte.

So rüsten sich Konzerne für einen No-Deal-Brexit
AirbusDer Luftfahrt- und Rüstungskonzern drohte mit der Schließung von Fabriken. „Wenn es einen Brexit ohne Abkommen gibt, müssen wir bei Airbus möglicherweise sehr schädliche Entscheidungen für Großbritannien treffen“, sagte Konzern-Chef Tom Enders jüngst. Es gebe auf der Welt Länder, die gerne Tragflächen für Airbus bauen würden. Im Vereinigten Königreich bündelt Airbus fast den gesamten Tragflächen-Bau - was beim Brexit heikel werden könnte. Zulieferer müssen Teile auf die Insel bringen, danach müssen die fertigen Tragflächen zu Werken in Frankreich, Deutschland, China und den USA. Quelle: dpa
SonyDer japanische Elektronikkonzern verlegt seinen europäischen Hauptsitz von London nach Amsterdam. Damit könne das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb ohne Beeinträchtigung fortsetzen, wenn Großbritannien die Europäische Union verlasse, sagte eine Sprecherin. Quelle: AP
PanasonicDer Konzern erklärte schon im vergangenen August, den Europasitz nahe London nach Amsterdam zu verlegen - auch wegen des Brexits. Panasonic wolle so verhindern, möglicherweise von der eigenen Regierung bestraft zu werden: Sollte Großbritannien die Unternehmenssteuer drastisch senken, könnte das Land von Japan als Steueroase eingestuft werden. Auch der freie Verkehr von Waren und Personen spiele eine Rolle. Quelle: REUTERS
DysonDer Staubsaugerhersteller verlagert seine Zentrale von Großbritannien nach Singapur. Dyson begründete das aber nicht mit dem Brexit, sondern mit der Bedeutung Asiens. Dort befänden sich eine wachsende Mehrheit seiner Kunden und alle Produktionsstandorte. Quelle: REUTERS
Pets at homeDer größte Tierbedarf-Händler Großbritanniens hat angekündigt, seine Lager etwa für Katzenfutter aufzustocken. So will das Unternehmen einem möglichen Chaos in britischen Häfen begegnen und verhindern, „dass Familien das Futter für ihre Tiere ausgeht.“ Quelle: dpa
P&ODie Fährgesellschaft will ihre Flotte für den Verkehr über den Ärmelkanal unter zypriotischer Flagge anmelden. Der Schritt bringe dem Unternehmen deutlich günstigere Steuerbedingungen, da die Schiffe dann unter der Flagge einer EU-Mitgliedslandes liefen, erklärte sie. Quelle: REUTERS
BMWDer Autobauer hat die jährliche Wartungsperiode für seine vier Werke in Großbritannien auf die Zeit unmittelbar nach dem geplanten EU-Ausstieg gelegt. So will BMW verhindern, dass die Versorgungskette der Fabriken wegen Brexit-Turbulenzen unterbrochen wird. Nach der Pause soll die Produktion von Autos und Komponenten reibungslos anlaufen - wie auch immer die Lage dann aussieht. Ferner prüfe BMW, Lagerkapazitäten zu erweitern. Man rüste sich auch in Sachen IT, Logistik und Zollabwicklung für den ungeordneten Brexit. Quelle: dpa

Keine Brexit-Verschiebung

Ein Gesetzgebungsverfahren zur Verschiebung des EU-Austritts Großbritanniens stieß ebenfalls auf Ablehnung. Die Abgeordneten votierten am Dienstagabend mehrheitlich gegen einen Vorstoß der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper, den Brexit per Gesetzgebungsverfahren aufzuschieben, sollte bis Ende Februar kein Austrittsabkommen ratifiziert sein. Ein ähnlicher Antrag der Labour-Abgeordneten Rachel Reeves auf Verschiebung fand in London genauso wenig eine Mehrheit.

No-Deal-Szenario soll verhindert werden

Das britische Unterhaus hat sich grundsätzlich gegen einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne ein Brexit-Abkommen ausgesprochen. Die Abgeordneten billigten einen Antrag der konservativen Abgeordneten Caroline Spelman, der einen sogenannten No-Deal-Brexit ablehnt.

Allerdings hat der Beschluss rechtlich keine Konsequenzen. Einen ungeordneten Brexit kann der Beschluss allein nicht abwenden. Das Austrittsdatum 29. März 2019 ist im EU-Austrittsgesetz festgeschrieben. Sollte es weder ein Abkommen noch eine Verschiebung der Brexit-Frist geben, würde Großbritannien trotzdem ohne Deal aus der EU ausscheiden.

Irland-Grenze: Parlament fordert Nachverhandlungen

Das britische Parlament will die Garantie einer offenen Grenze in Irland im Brexit-Deal neu verhandeln. Die Abgeordneten votierten mehrheitlich für einen Vorstoß mehrerer konservativer Abgeordneter, der die Zustimmung des Parlaments zum Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May von erfolgreichen Nachverhandlungen zum sogenannten Backstop mit der EU abhängig macht. Die Irland-Klausel ist ein Knackpunkt im Austrittsvertrag zwischen der EU und Großbritannien. In London fürchten viele Parlamentarier, dass der Backstop sie auf Dauer an die EU ketten könnte. Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist, außerdem sollen in Nordirland weiter einige Binnenmarktregeln gelten. Die nordirische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab. May will daher mit Brüssel nachverhandeln.

Alle EU-Institutionen betonen allerdings bislang, dass das Austrittsabkommen nicht nachverhandelt werden kann - vor allem nicht der Backstop. Die Brexit-Fachleute im EU-Parlament schlossen zuletzt aus, ein Abkommen ohne „wetterfesten Backstop“ zu ratifizieren. Die EU besteht auf der Backstop-Klausel, weil eine Teilung der irischen Insel ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion provozieren könnte.

Das britische Unterhaus hat nach dem Beschluss zu Nachverhandlungen das Gesamtpaket der Änderungsanträge zum Brexit ohne förmliche Abstimmung durchgewunken. May sagte schon zuvor: „Es ist jetzt klar, dass es einen Weg zu einer tragfähigen und nachhaltigen Mehrheit dafür gibt, die EU mit einem Deal zu verlassen.“ May hatte sich zuvor hinter den Vorschlag gestellt und versprochen, das Brexit-Abkommen mit der EU wieder aufzuschnüren.

Ob sie damit in Brüssel Erfolg haben wird, gilt aber als zweifelhaft. Bislang lehnt die EU Veränderungen am Brexit-Deal ab. EU-Ratspräsident Donald Tusk lehnte Nachverhandlungen an dem Austrittsabkommen ab. Der Vertrag bleibe der beste und einzige Weg, um einen geordneten Brexit sicherzustellen, sagt sein Sprecher nur wenige Minuten nach der Abstimmung im Unterhaus.

Noch während der Abstimmung fiel der Wechselkurs des Pfund gegenüber dem Euro auf ein Tagestief.

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