




Es klingt wie ein Witz und ist doch bitterernst: Die für nächsten Montag geplante Regierungserklärung, die Königin Elisabeth II in Krone und hermelinbesetztem Umhang traditionell mit viel Pomp und großem Zeremoniell im Palast von Westminister verliest, muss zumindest um einige Tage verschoben werden.
Denn selbst wenn sich Premierministerin Theresa May bis dahin mit der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) auf die Details eines Tolerierungsbündnisses geeinigt haben sollte, wird es nicht mehr gelingen, den Redetext rechtzeitig wie üblich auf dünn gegerbtes Ziegenleder zu drucken. Und auf Traditionen setzen sie im Vereinigten Königreich – selbst in Zeiten der Krise.
Allerdings läuft seit dem unerwarteten Wahlergebnis in Großbritannien, bei dem die konservative Partei unter Premier Theresa May ihre Mehrheit verlor, auch sonst nichts mehr rund. Auch wenn die disziplinierte Regierungschefin den Eindruck zu erwecken sucht, es herrsche „business as usual“ wird zu Wochenbeginn immer deutlicher, dass ihre Position massiv geschwächt ist und ihre Regierung vom Chaos überwältigt zu werden droht, weil es auf allen Ebenen Konflikte gibt.
Das betrifft vor allem den Austritt aus der EU – den Brexit. May bestätigte den bisherigen Brexit-Minister David Davis im Amt, um so Kontinuität zu signalisieren. Am Montagvormittag sprach Davis in einem Interview mit dem TV-Sender Sky aber plötzlich davon, beim Beginn der Brexit-Verhandlungen, die ebenfalls am 19. Juni starten sollten, könne es eventuell Verzögerungen geben.
Gleichzeitig bekräftigte er, Großbritannien werde an seinem harten Kurs für den EU-Ausstieg festhalten. Und das bedeute den Ausstieg aus dem Binnenmarkt, den Abschied aus der Zollunion und die Kontrolle der Einwanderung aus der EU.
Allerdings ist das keine ausgemachte Sache mehr. Denn im Kabinett und im Parlament haben sich die Gewichte verschoben. Außerdem muss May auf die Wünsche der DUP und ihre neuen selbstbewussten Tory-Abgeordneten aus Schottland Rücksicht nehmen. All dies lässt darauf schließen, dass die Weichen eher in Richtung Kompromiss und „weicher“ Brexit gestellt werden dürften – mit oder ohne May.
Was ist das "hung parliament"?
Die Wahl in Großbritannien hat ein „hung parliament“ hervorgebracht - ein „Parlament in der Schwebe“, in dem keine Partei eine absolute Mehrheit hat. In Deutschland ist das ganz normal, im Vereinigten Königreich dagegen die Ausnahme. Was nun passiert, ist nicht in der Verfassung festgeschrieben, denn die haben die Briten in der klassischen Form nicht, dafür aber viele Traditionen. So geht es jetzt - sehr wahrscheinlich - weiter:
Premierministerin Theresa May (oder auch ein möglicher Nachfolger an der Spitze der Konservativen) muss für ihre Partei eine Mehrheit organisieren. Entweder über eine formale Koalition oder über einen „Deal“ mit anderen Parteien, etwa der nordirischen DUP, die eine konservativ geführte Minderheitsregierung unterstützen würden.
Die Zusammenarbeit von Tories und DUP gilt aktuell als wahrscheinlichste Option. Rein rechnerisch braucht eine Regierung mindestens 326 der 650 Sitze im Parlament. In der Praxis sieht das aber anders aus. Die nordirisch-republikanische Sinn Fein hat 7 Sitze gewonnen, schickt jedoch traditionell keine Abgeordneten nach London. Also reichen schon weniger Mandate als die genaue Hälfte der Sitze für eine „Arbeits-Mehrheit“ aus. Eine Möglichkeit wäre auch, für jede Abstimmung einzeln eine Mehrheit zu organisieren.
Wenn May keine Chance auf eine Regierung unter ihrer Führung sieht, geht sie zu Königin Elizabeth II. und reicht dort ihren Rücktritt ein. In diesem Fall dürfte die Queen Oppositionsführer Jeremy Corbyn auffordern, mit seiner Labour-Partei eine Regierungsbildung zu versuchen und ein Regierungsprogramm zu zimmern.
Die Queen mischt sich in all das übrigens nicht ein, sie ist politisch neutral. Egal, von wem es am Ende kommt: Das Regierungsprogramm liest die Königin als Staatsoberhaupt in der sogenannten Queen's Speech vor. Geplant ist das bisher für den 19. Juni. Es folgt eine rund fünf Tage dauernde Debatte darüber im Unterhaus. Dann wird abgestimmt - hierbei handelt es sich de facto um eine Vertrauenserklärung für die neue Regierung, also die Nagelprobe.
Sollte sie scheitern, hätte die Gegenseite das Recht auf den nächsten Versuch. Die Abstimmung gilt aber als reine Formsache, weil die Mehrheiten vorher feststehen sollten. Kann sich also niemand sicher sein, ein Regierungsprogramm durchs Parlament zu bekommen, dann müssen die Briten möglicherweise ein weiteres Mal wählen gehen.
Zu den interessantesten, wenn auch in Deutschland wenig beachteten Neuerungen im Kabinett gehört die Ernennung von Damian Green zum First Secretary of State and Minister of the Cabinet Office. Denn hinter diesem umständlichen Titel verbirgt sich große Macht: Green wird nun zum Primus inter Pares und Mays Stellvertreter. Er ist ein langjähriger Vertrauter der Premierministerin und ein überzeugter Pro-Europäer, der für einen weichen Brexit kämpfen wird.
Das gilt auch für Finanzminister Philip Hammond, der vor allem die Interessen der City und der Wirtschaft im Auge hat und deshalb von May eigentlich entmachtet werden sollte. Geschwächt wie sie nun ist, konnte sie sich das allerdings nicht leisten. Der neu ins Kabinett berufene Brexitier Michael Gove ist als Landwirtschaftsminister von deutlich geringerem Rang und wohl in erster Linie dazu da, den ehrgeizigen Außenminister Boris Johnson im Zaum zu halten. Beide schielen allerdings auf den Premierministerposten, sollte May gehen. Das Problem ist , auch Davis gilt neben Johnson als einer ihrer schärfsten Rivalen. Schon vor 12 Jahren hatte sich der 68-Jährige erfolglos um die Führung der konservativen Partei bemüht, er war damals von David Cameron geschlagen wollen.
So herrscht in Mays neuem Team also ein Geist von Kabale und Intrige statt Kooperation. Für die Chefin einer Minderheitsregierung also ein Minenfeld und im Hinblick auf den Brexit eine explosive Mischung.