




Anderthalb Jahre vor den nächsten Wahlen geht es in Großbritannien wieder aufwärts: „Die harte Arbeit hat sich gelohnt & das Land ist wieder auf dem Weg zum Wohlstand“, twitterte Schatzkanzler George Osborne. Die britische Wirtschaft ist von Juli bis September im Vergleich zum Vorquartal um 0,8 Prozent, im Vergleich zum Vorjahresquartal um 1,5 Prozent gewachsen. Drei Wachstumsquartale in Folge geben wieder Anlass zu Optimismus, zumal die Prognosen weitere Besserung verheißen. So erwartet die Deutsche Bank für 2013 ein Wachstums-Plus von 1,5 Prozent, die US-Bank Citi Group rechnet für 2014 sogar mit drei Prozent Zuwachs.
Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt: Die Folgen der Finanzkrise sind noch nicht überwunden; die Wertschöpfung liegt derzeit immer noch um 2,5 Prozent unter dem Niveau von 2008. Nur Italien steht in diesem Punkt innerhalb der G7 noch schlechter da als Großbritannien. Außerdem hat das Land als Folge der Finanzkrise ein Haushaltsdefizit von rund sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Schuldenquote liegt bei 76 Prozent. Tendenz fallend: Ein strenger Sparkurs zeigt Wirkung.
Die konjunkturelle Erholung ist willkommen, doch der zweite Blick offenbart große regionale Unterschiede. Das Wachstum findet vor allem in London und im Südosten des Landes statt. Ferner sind vor allem die Dienstleistungen, der Konsum und der boomende Immobilienmarkt für den Aufschwung verantwortlich.
Der angekündigte Umbau der britischen Ökonomie in Richtung Exportwirtschaft und verarbeitender Industrie findet nicht statt. Damit wollten die Briten eigentlich die Abhängigkeit vom Finanzsektor reduzieren. Stattdessen sind es erneut die alten Wachstumstreiber, die Großbritannien in Schwung halten: Dienstleistungen insgesamt tragen 78 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, die Finanzdienstleistungen sind dabei mit 12,5 Prozent ein wichtiger Faktor. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger befürwortet der neue Notenbankchef Mark Carney ausdrücklich eine Stärkung der Finanzbranche.
Bedrohung vom Immobilienmarkt





Gleichzeitig mehren sich am Immobilienmarkt – vor allem in London und im Südosten des Landes – bedrohliche Anzeichen einer Überhitzung. In England sind die Immobilienpreise mittlerweile so hoch wie zuletzt 2007. Landesweit legte der Durchschnittspreis für ein Eigenheim mit drei Schlafzimmern allein in den vergangenen vier Wochen um 6923 Pfund auf 252.418 Pfund zu, in London waren es gar 50.484 Pfund, wie das Immobilienportal Rightmove berichtet. „Wir erwarten, dass die Hauspreise nächstes Jahr um zehn Prozent steigen werden“, so Robert Wood, UK-Volkswirt bei der Berenberg Bank.

Statt gegenzusteuern, gießt die Regierung mit ihrem „Help-to-buy“-Programm Öl ins Feuer. Das funktioniert so: Wer ein bis zu 600.000 Pfund teures Eigenheim kaufen will, muss nur fünf Prozent des Kaufpreises ansparen. Für die 95-Prozent-Finanzierung bürgt dann der Staat in Höhe von 20 Prozent. So kommen auch Menschen zu einem eigenen Heim, die sich eigentlich keines leisten können – und die Banken werden dazu veranlasst, mehr Hypotheken zu vergeben, als sie es sonst tun würden. Ganz so, als habe es die Erfahrungen mit den Subprime-Krediten in den USA nie gegeben.
Das schafft nicht nur neue Risiken, sondert treibt auch die Immobilienpreise in die Höhe. Ohnehin lag die Teuerungsrate im September bei 2,7 Prozent und damit um 0,7 Prozentpunkte über dem offiziellen Inflationsziel. Doch das wurde in den vergangenen vier Jahren nie eingehalten.
Löhne und Gehälter stagnieren zwar noch, doch die stark steigenden Lebensmittel- und Energiepreise treiben die Inflationserwartungen hoch: Laut Meinungsforschungsinstitut YouGov sind sie im vergangenen Monat von 2,5 Prozent auf 3,2 Prozent gestiegen – das war der größte monatliche Anstieg seit Beginn der Statistik.
Europa
Das erschwert dem neuen Chef der Bank of England (BoE), Mark Carney, das Geschäft. Kurz nach seinem Amtsantritt am 1. Juli hatte er erklärt, die britischen Leitzinsen würden erst dann wieder steigen, wenn die Arbeitslosigkeit von derzeit 7,7 Prozent auf 7,0 Prozent sinkt. Damit rechnete er nicht vor Mitte 2016. Ein Hintertürchen hielt sich der Kanadier aber offen: Sollten die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, könnte es schon vorher so weit sein. Gut möglich also, dass der BoE-Chef nun schon früher als beabsichtigt geldpolitisch kürzer treten muss.
Die Märkte hatten ihm seine „Forward Guidance“ ohnehin nicht geglaubt: Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen steigen bereits seit dem Sommer und nehmen die Zinswende vorweg. Für den Ex-Chef der Bank of Kanada ist das ein holpriger Start. „Die größte Herausforderung für Carney wird es sein, Großbritannien wieder von dieser extrem lockeren Geldpolitik zu entwöhnen, ohne Panik an den Märkten auszulösen“, sagt Professor Andrew Sentance, einst selbst Mitglied im geldpolitischen Ausschuss der BoE.