Großbritannien Kapitalismuskritik und Brexit alarmieren die Wirtschaft

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Tiefe Gräben bei den Tories

Wie tief die Gräben bei den Tories sind, machte die resolute Chefin der Konservativen in Schottland deutlich: Ruth Davidson sprach von einem „Psychodrama“, das ihre Partei zu zerreißen drohe – ein klarer Seitenhieb auf Außenminister Boris Johnson, der unmittelbar vor Beginn der Tory-Konferenz mit einem Interview im Boulevardblatt „The Sun“ erneut provoziert hatte. Er erklärte dort, eine Übergangsphase beim EU-Austritt dürfe „keine Sekunde länger als zwei Jahre“ dauern – obwohl das Kabinett sich noch nicht konkret auf die Länge eines solchen Übergangs festgelegt hatte. Die Wirtschaft wünscht sich ohnehin mehr Zeit: drei Jahre sollten es schon sein, meint Marshall. Johnson, der am Dienstag seine mit Spannung erwartete Rede vor dem Parteitag halten wird, will Premierministerin May durch sein Interview mit der „Sun“ und mit einem Namensartikel in der konservativen Zeitung „Daily Telegraph“ auf eine knallharte Brexit-Linie zwingen: in der Übergangsphase dürfe Großbritannien keine neuen Vorschriften oder Regularien aus Brüssel akzeptieren, forderte er außerdem.

Nach dem Brexit will London eine knallharte Eindämmung der Freizügigkeit und setzt so die Interessen von britischen und europäischen Unternehmen aufs Spiel. Der geschwächten Premierministerin May droht ein heißer Herbst.
von Yvonne Esterházy

Finanzminister Hammond, der als Befürworter eines weichen Brexit gilt und hier im Sinne der britischen Wirtschaft handelt, spielte die Differenzen im Kabinett zwar herunter, räumte aber Unmut über die mangelnden Fortschritte bei den Brexit-Verhandlungen ein. „Wir sind alle frustriert von dem langsamen Tempo der vergangenen Monate“, sagte er. Dann betonte er, er stehe voll hinter der Regierungschefin, die angesichts ihres desaströsen Wahlergebnisses im Juni und dem ewigen Brexit-Streit als schwer angeschlagen gilt.

May selbst versucht beim Parteitag mit einer Reihe von innenpolitischen Reformen die Initiative zurückgewinnen. Doch das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei den Brexit-Verhandlungen nicht wie von der britischen Wirtschaft gewünscht, Ende Oktober die nächste Phase beginnen wird, in der es um die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien gehen wird. Es könnte noch schlimmer kommen, sollte sich die Tory-Partei nach einem eventuellen Putsch gegen May in heftige Nachfolgekämpfe verstricken. Außenminister Johnson will offenbar darauf hinarbeiten: Er gebe ihr bestenfalls noch ein Jahr, ließ er kolportieren.

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