Großbritannien „Wir lassen uns von der EU nicht die Bedingungen diktieren“

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Wird Großbritannien zur Steueroase vor den Toren der EU?

Warum dann der Streit?
Brüssel will, dass Großbritannien auch in Zukunft alle EU-Standards übernimmt, die Brüssel setzt. Dazu sind die Briten nicht bereit. Wir haben uns unsere Souveränität nicht zurück erkämpft, um sie im Schlepptau von Regulierungsvorgaben aus Brüssel in Zukunft wieder zu verlieren. Kein Land mit einer souveränen Regierung kann sich von einer fremden Instanz vorschreiben lassen, wie es Politik gestalten soll. Das gilt im Übrigen auch für die Fischereirechte, die ein weiterer Streitpunkt in den Verhandlungen sind. Ein Abkommen mit Brüssel in diesem Bereich ist durchaus möglich. Aber Großbritannien muss die Bedingungen festlegen können, zu denen Fischer aus anderen EU-Ländern in britischen Gewässern fischen dürfen. Wenn Brüssel darauf besteht, dass sich Großbritannien künftig allen Regulierungsvorgaben der EU fügt, wird es kein Abkommen geben.

Die britischen Exporteure werden darüber nicht begeistert sein. Sie drängen auf ein Abkommen.  
Politik sollte sich nicht an den Interessen einzelner Branchen und Unternehmen ausrichten. Das Ziel einer Regierung muss sein, den Wohlstand einer möglichst großen Anzahl von Bürgern zu erhöhen. Freier Handel dient diesem Ziel. Er erhöht die Vielfalt des Güterangebots und dämpft die Preise. Davon profitieren alle Bürger. Das ist wichtiger als die Marktanteile der britischen Exporteure im EU-Binnenmarkt abzusichern.

Wird Großbritannien in Zukunft zu einem Niedrigsteuerstandort, einer Steueroase vor den Toren der EU?
Die Corona-Krise treibt das britische Haushaltsdefizit und die Staatsschulden nach oben. Das schmälert den Spielraum für rasche Steuersenkungen. Allerdings muss die britische Wirtschaft wachsen, um die Schuldenquote wieder auf ein tragfähiges Niveau zurückzuführen. Die Regierung in London wird daher alles daransetzen, die Standortbedingungen zu verbessern. Dazu gehören auch möglichst niedrige Steuern...

...mit denen London Unternehmen aus der EU nach Großbritannien lockt.
Wettbewerb ist nichts Schädliches, auch nicht bei Steuern. Wenn die britische Wirtschaft wegen niedrigerer Steuern wächst, profitiert davon auch die EU. Einerseits, weil die Briten dann mehr Produkte vom Kontinent nachfragen. Andererseits, weil niedrigere Steuern die Regierungen in der EU unter Druck setzen, ebenfalls die Steuern zu senken. Das stärkt die Wachstumskräfte in der EU. Wer behauptet, Steuer- und Standortwettbewerb seien schädlich, hält Wirtschaft offenbar für ein Nullsummenspiel. Nach dem Motto: Was die Briten gewinnen, verliert die EU. Das ist Unsinn. Steuerwettbewerb stärkt die Wachstumskräfte auf allen Seiten.

Wenn Großbritannien außerhalb der EU prosperiert, könnten andere Länder folgen und der EU ebenfalls den Rücken kehren.
Das halte ich für wenig wahrscheinlich. Schauen Sie nach Italien, Spanien und Portugal. Dort genießt die EU hohes Ansehen. Die Menschen betrachten die EU-Kommission als eine Art Korrektiv für ihre heimische Regierung, der sie wenig Vertrauen entgegenbringen.

Wird sich die EU ohne Großbritannien zu einem europäischen Bundesstaat mit eigener Fiskalsouveränität entwickeln?
Eine solche Entwicklung würde vermutlich die Überlebensfähigkeit des Euros erhöhen. Denn das Konstrukt der gemeinsamen Währung leidet darunter, dass es in der Eurozone keine gemeinsame Fiskalpolitik gibt. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine supranationale Instanz die Fiskalpolitik übernimmt, gering. Deutschland und die meisten anderen Nationalstaaten in der EU sind nicht bereit, ihre finanzpolitische Autonomie aufzugeben.

Wird Großbritannien der EU je wieder beitreten?
Dafür sehe ich zumindest für die Dauer einer Generation keine Chance. Der Wunsch nach einem neuerlichen Referendum ist gering. Und die Johnson-Regierung genießt hohe Popularität. Hinzu kommt: Bei einer erneuten Bewerbung für die EU-Mitgliedschaft wird Brüssel wohl verlangen, dass die Briten auf Beitragsrabatte verzichten und sich verpflichten, dem Euro beizutreten. Dafür aber gibt es keine Mehrheit in der britischen Bevölkerung.

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