Großbritanniens Haushaltsplan „Wir sind an einem Wendepunkt unserer Geschichte“

Die Zeit des Sparens ist vorbei? Das sagt zumindest der britische Schatzkanzler Philip Hammond. Quelle: dpa

Der britische Finanzminister Hammond will die Zügel lockern: In seinem Haushaltsentwurf verspricht er ein Ende der Austerität. Großbritannien soll fit für das Leben außerhalb der EU werden. Kann das gelingen?

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„Wir sind an einem Wendepunkt unserer Geschichte und schlagen nun ein neues wirtschaftliches Kapitel auf.“ Der britische Finanzminister Philip Hammond sparte nicht mit großen Worten, als er am späten Montagnachmittag im Unterhaus den letzten Haushaltsentwurf der Regierung vor dem Brexit vorstellte. Auch sonst gab er sich betont großzügig.

Hammond kündigte das Ende der zehnjährigen Sparpolitik und eine Reihe von finanziellen Maßnahmen an – etwa Änderungen bei der Einkommenssteuer. Viele davon sollen britischen Familien zugutekommen, „die hart arbeiten und morgens früh aufstehen“. Höhere Ausgaben sind für Verteidigung, Erziehung, Altenbetreuung, Sozialhilfe und Infrastrukturmaßnahmen vorgesehen. Der Minister will sogar mehr Geld für die Reparatur von Schlaglöchern lockermachen und die Betreiber von öffentlichen Toiletten steuerlich entlasten. Den dicksten Brocken erhält das angeschlagene staatliche Gesundheitssystem NHS, dem 20 Milliarden Pfund im Jahr an zusätzlichen Mitteln versprochen wurden. Die Ausgaben der öffentlichen Hand werden im nächsten Haushaltsjahr auf den höchsten Stand seit 40 Jahren steigen, versprach der Schatzkanzler.

Neue Digitalsteuer für Google & Co

Zwar will der Minister in Großbritannien erstmals eine Digitalsteuer einführen, die für große Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon gelten soll. Gleichzeitig stellte er für die nächsten zwei Jahre aber auch steuerliche Anreize für Investitionen in Aussicht. Ein Signal, dass Großbritannien auch nach dem Brexit ein guter Standort für Geschäfte sein will.

Der Brexit war bei Hammonds dritter Haushaltsvorlage allgegenwärtig. Schließlich verlässt Großbritannien die EU schon Ende März 2019. Die Verhandlungen über einen geregelten Brexit sind allerdings ins Stocken geraten. Noch ist ungewiss, ob sich Brüssel und London vertraglich auf eine Fortführung enger Wirtschaftsbeziehungen einigen können. Ein harter Bruch würde die britische Wirtschaft schwer belasten.

Hammond will deshalb 500 Millionen Pfund zusätzlich für die Vorbereitung auf einen harten Brexit zurückstellen. Alles in allem stiege diese Reserve damit auf zwei Milliarden Pfund. Im Fall eines ungeordneten Brexit müsse die Regierung auch über eine „andere Strategie“ für die Zukunft der britischen Wirtschaft nachdenken, hatte Hammond am Wochenende gewarnt. In diesem Fall sei ein neuer Haushalt nötig. Davon war in seiner Ansprache vor dem Parlament nicht mehr die Rede – der Minister bemühte sich stattdessen um Optimismus. „Dieser Etatentwurf ebnet den Weg in eine rosigere Zukunft“, versprach er.

Für das laufende Jahr erwartet die Regierung allerdings nur ein Wachstum von 1,3 Prozent. So wenig war die britische Wirtschaft seit dem Krisenjahr 2009 nicht gewachsen. Nur die offizielle Konjunkturprognose für 2019 wurde leicht auf 1,6 Prozent angehoben. 2020 und 2021 soll das Bruttoinlandsprodukt dann jeweils um 1,4 Prozent zulegen.

Das ist zwar besser als ein Abschwung. Doch vor dem EU-Referendum im Sommer 2016 gehörte das Vereinigte Königreich noch zu den dynamischsten der sieben führenden Industrienationen (G7). Mittlerweile ist das Wachstum der EU-Länder fast doppelt so hoch wie in Großbritannien. Die USA schneiden noch besser ab.

Während sich die düsteren Wirtschaftsprognosen für eine Rezession nach dem Brexit-Referendum bisher nicht bewahrheiteten, mehren sich die Anzeichen für eine Abschwächung der Konjunktur. Die britische Industrie berichtet bereits vom größten Auftragsschwund seit drei Jahren. Der Eingang neuer Aufträge ist laut einem Barometer des Industrieverbandes CBI von August bis Oktober auf minus sechs Zähler gefallen. Die neueste Mitgliederbefragung des Verbandes ergab, dass die Zuversicht der Unternehmen auf den schlechtesten Wert seit dem Brexit-Votum Mitte 2016 absackte. CBI-Ökonomin Rain Newton-Smith sprach von „ernüchternde Zahlen“. Geplante Investitionen würden wegen der wachsenden Ungewissheit über den Ausgang der Brexit-Verhandlungen zurückgefahren.

Dramatisch ist die Lage in der Autoindustrie, die neben den Finanzdienstleistern zu den Schlüsselbranchen Großbritanniens zählt. Die Unsicherheit vor dem Brexit und neue Abgasvorschriften ließen die britische Autoproduktion nach Angaben des Branchenverbandes SMMT im September um 16,8 Prozent schrumpfen. Es war der vierte monatliche Einbruch in Folge. Die britische Automobilindustrie ist sehr besorgt, dass Zölle eingeführt werden könnten, falls London und die EU keinen Austrittsvertrag abschließen. „Es war ein turbulentes Jahr und die Branche braucht Stabilität, die angesichts der fehlenden Ergebnisse der Brexit-Verhandlungen schwer zu greifen ist“, klagt SMMT-Chef Mike Hawes.

Ein Brexit ohne eine Vereinbarung mit der Europäischen Union, ein sogenannter No-Deal-Brexit, bei dem Großbritannien auf die Meistbegünstigungsregeln der Welthandelsorganisation WTO zurückgreifen müsste, würde die britische Wirtschaft im nächsten Jahr fast zum Erliegen bringen, warnt das renommierte National Institute of Economic and Social Research.

Die Angst vor dem No-Deal-Brexit

Bei der Etatvorlage stand Hammond also unter Druck wie nie zuvor. Sein Spitzname - „Spreadsheet-Phil“ - lässt an Excel-Tabellen, Arbeitsblätter und Ärmelschoner denken und macht klar: Der grauhaarige und stets etwas säuerlich dreinblickende Minister hat ungefähr so viel Charisma wie der sprichwörtliche Buchhalter.
Weil er außerdem ein aufrechter „Remainer“ ist und nie ein Geheimnis daraus machte, dass er eine Fortdauer der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens befürworten würde, steht er unter dem Dauerfeuer der Brexitiers. Hammond ist ihr Lieblingsfeind.
Die Brexit-Befürworter unterstellten ihm in der Vergangenheit, den Austritt aus der EU mit pessimistischen Prognosen und einer negativen Drohkulisse („Project Fear“) miesmachen zu wollen. Selbst Premierministerin Theresa May, die Hammond noch aus gemeinsamen Studententagen in Oxford kennt, distanzierte sich von dem Mann, den sie im Juli 2016 bei ihrem Amtsantritt das mächtigste Kabinettsressort anvertraut hatte. Vor den Parlamentswahlen im Juni letzten Jahres galt als es daher als ausgemacht, dass Hammond als Schatzkanzler ersetzt würde.

Weil May ihre Parlamentsmehrheit aber verlor, konnte sie Hammond nicht mehr feuern. Seitdem ist er der mächtigste Verbündete und größte Hoffnungsträger all jener, die auf einen weichen Brexit hoffen.

Diese Hoffnung haben auch die deutschen Firmen in Großbritannien. Am 1. November wird May in der Downing Street eine Delegation europäischer Unternehmenschefs empfangen, darunter werden dann wohl auch Vertreter deutscher Konzerne sein. Sie werden angesichts der knappen Zeit bis zum offiziellen EU-Austritt konkrete Auskünfte über die Pläne der Regierung verlangen, um ihre Lieferketten entsprechend ausrichten zu können.

Bisher blieben May und Hammond hier immer vage. Stattdessen ließ Hammond schon mehrmals durchblicken, dass er auch vor drastischen Mitteln nicht zurückschrecken würde, sollte es zu einem ungeregelten Brexit ohne Vereinbarung kommen. Mehrmals schon drohte er, dass das Vereinigte Königreich dann zu einem Steuerparadies, einer Art „Singapur on Thames“ werden könnte. Dahinter versteckt sich der Plan, die Wettbewerbsposition Großbritanniens durch niedrige Körperschaftssteuern aufzuwerten und gleichzeitig die Attraktivität der Londoner City durch eine deutlich laxere Regulierung zu erhöhen.

Solche Drohungen wiederholte Hammond in seiner Haushaltsrede nicht. Beides ist auch nicht ohne weiteres machbar: Großbritanniens Unternehmenssteuern – derzeit mit 19 Prozent bereits niedriger als der EU-Durchschnittswert von 21,3 Prozent – sollen bis 2020 ohnehin auf 17 Prozent abgesenkt werden. Damit blieben zwar noch weitere Spielräume, etwa im Vergleich zu Irland mit seiner Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent. Allerdings ergab kürzlich eine Umfrage der Beratungsfirma EY, dass eine Absenkung der Unternehmenssteuern allein nicht ausreichen würde, um den Industriestandort Großbritannien dauerhaft für ausländische Investoren attraktiver zu machen. Auch die Möglichkeiten, die Londoner City ohne EU-Fesseln zu einem florierenden Off-Shore-Finanzplatz wird nicht so einfach möglich sein: Schließlich bezahlten die Briten für die riskanten Geschäfte ihrer Banken vor der Finanzkrise einen hohen Preis. Die drastische Sparpolitik der Regierung ist ein direktes Resultat jener Exzesse. Diese Lektionen können weder die Bank of England noch die Politiker außer Acht lassen, zumal Schattenfinanzminister John McDonnell von der oppositionellen Labour-Partei keine Gelegenheit auslässt, um vor einem Steuerparadies zu warnen.

Zunächst bleibt ohnehin abzuwarten, ob Hammonds Budget-Entwurf überhaupt vom britischen Parlament abgesegnet wird. Die nordirische Protestantenpartei DUP, auf deren Unterstützung die Minderheitsregierung May angewiesen ist, droht wegen der ungeklärten Nordirland-Frage bei den Brexit-Verhandlungen bereits damit, den Haushalt abzulehnen.

In diesem Falle droht der Sturz der Regierung und damit das Ende von Hammonds Amtszeit als Finanzminister. Sein freigiebiger Haushalt wäre Makulatur.

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