
Die vorgeschriebene anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten der Bürger zu Fahndungszwecken sei unvereinbar mit der EU-Charta der Grundrechte. Das geht aus einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Rechtsgutachten des zuständigen Generalanwalts Perdro Cruz Villalon hervor. In den meisten Fällen folgt der Gerichtshof dem einflussreichen Gutachter. Ein Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Nach Ansicht des Generalanwalts widerspricht die EU-Richtlinie von 2006 als Ganzes der Charta, so etwa dem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre. Zudem sei die vorgesehene Speicherung der Daten, die bis zu zwei Jahre dauern soll, unverhältnismäßig lange. Nach Ansicht des Gutachters könnte diese auf unter ein Jahr begrenzt werden.
Was für die Vorratsdatenspeicherung spricht
Bei der Verfolgung von Kriminalität im Internet wie der Verbreitung von Kinderpornos und Datenklau kommen Ermittler mit den klassischen Ermittlungsinstrumenten nicht weit.
Das Bundeskriminalamt (BKA) verweist darauf, dass zwischen März 2010 und April 2011 rund 80 Prozent der Daten-Anfragen an Telekommunikationsanbieter nicht beantwortet wurden. Neun von zehn Anfragen betrafen den Datenverkehr zwischen Computern - hier ging es um IP-Adressen, mit denen Computer im Netz identifiziert werden.
Nach Angaben von BKA-Chef Jörg Ziercke gibt es mittlerweile Tausende von Beispielen mittlerer und schwerer Kriminalitätsfälle, die Polizei und Staatsanwaltschaft nicht umfassend aufklären konnten, weil Daten fehlten.
Auch zur Aufklärung der Kommunikationsstrukturen islamistischer Terroristen und zur Verhinderung von Anschlägen pochen die Sicherheitsbehörden auf Vorratsdaten.
Die umstrittene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist noch gültig - für die Mitgliedstaaten besteht eine Pflicht zur Umsetzung.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung nicht komplett verworfen, sondern Grenzen aufgezeigt.
Der Gutachter empfiehlt dem Europäischen Gerichtshof, die beanstandete Richtlinie in seinem Urteil nicht direkt auszusetzen. Vielmehr sollten die EU-Gesetzgeber ausreichend Zeit erhalten, um die notwendigen Änderungen vorzunehmen.
Geklagt hatten eine Firma aus Irland sowie mehrere Österreicher.
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Union und SPD haben in ihren Koalitionsverhandlungen vereinbart, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auch in Deutschland umzusetzen. Im gemeinsamen Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. (...) Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“
Und was dagegen
Datenspeicherungen auf Vorrat gibt es schon in vielen Bereichen - so beim Swift-Abkommen zur Weitergabe von Bankdaten aus der EU an die USA. Kritiker argumentieren, die Kombination gespeicherter Daten ermögliche individuelle Personenprofile bis hin zum gläsernen Bürger.
Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen die besonderen Anforderungen bestimmter Berufsgruppen wie Ärzte, Journalisten, Geistliche oder Mitarbeiter von Beratungsstellen.
Es gibt keine umfassende Sicherheit. Deshalb sollte man den Preis, die Freiheit der Bürger einzuschränken, sorgsam abwägen.
Zur Aufklärung von Straftaten gibt es auch andere Ermittlungsinstrumente - gerade Kriminelle nutzen bestehende technische Möglichkeiten, um eine Erfassung ihrer Daten zu umgehen.
Ein zielgerichtetes Vorgehen mit „Quick Freeze“ - also eine Speicherung nur nach einem konkreten Verdacht - greift nicht ganz so unverhältnismäßig wie die Speicherung aller anfallenden Daten in die Freiheitsrechte der Bürger ein.
Es kann sein, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung überarbeitet wird - das sollte zunächst abgewartet werden.
Der frühere Koalitionspartner der Union, die FDP, hatte sich jahrelang gegen die Vorratsdatenspeicherung gesperrt - allen voran die scheidende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie hatte vehement dafür plädiert, vor einer Wiedereinführung die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu der zugrundeliegenden EU-Richtlinie abzuwarten.