Das EU-Parlament in Straßburg hat den Weg für das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (Ceta) frei gemacht. 408 Abgeordnete stimmte am Mittwoch für den Vertrag, der Ende Oktober von den EU-Staaten und der kanadischen Regierung unterzeichnet worden war, 254 dagegen. Teile des Abkommens, die vor allem den Abbau von Zöllen vorsehen, dürften damit im Frühjahr in Kraft treten. Bis alle Vereinbarungen gelten, vergehen aber vermutlich noch Jahre, da die nationalen Parlamente der EU-Staaten zustimmen müssen. Da könnte es Verzögerungen geben. Im Oktober hatte bereits der Widerstand der belgischen Region Wallonien gegen Ceta das Abkommen fast zum Scheitern gebracht.
Am Donnerstag will der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau vor dem EU-Parlament in Straßburg sprechen. Der Besuch gilt auch als Reaktion auf die restriktivere Handelspolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump und soll das Bekenntnis der EU und Kanadas zum Freihandel unterstreichen.
Die Abstimmung der EU-Abgeordneten wurde von Protesten begleitet. Im Parlament selbst wurde kontrovers debattiert. „Welche Richtung werden wir einschlagen?“, fragte Berichterstatter Artis Pabriks im Europaparlament. „Werden wir den Weg des Protektionismus gehen? Oder werden wir für liberale und demokratische Werte, für Wachstum und einen goldenen Standard beim internationalen Handel kämpfen?“ Voraussichtlich am Mittag stimmen die Abgeordneten über den Vertrag ab. Erwartet wird eine mehrheitliche Zustimmung.
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Vor dem Parlamentsgebäude protestierten rund 100 Gegner gegen das Abkommen. Teilweise lagen die Demonstranten auf dem Boden und versperrten den Eingang. Die Umweltorganisation Greenpeace zog auf dem angrenzenden Kanal eine Justitiafigur hoch und spannte Plakate auf mit dem Spruch „Versenkt Ceta, nicht die Gerechtigkeit“. Eine Linken-Abgeordnete trug während der Debatte einen Papierstapel im Arm - als Symbol für 3,5 Millionen Unterschriften gegen das Abkommen.
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström versuchte, den Kritikern Ängste vor negativen Folgen für den Verbraucherschutz sowie Sozial- und Umweltstandards zu nehmen. „Ceta wird Standards für die Sicherheit von Lebensmitteln nicht ändern“, sagte sie. „Nichts darin zwingt zu einer Privatisierung des Wasser- und Gesundheitssektors.“
Aus Sicht des Vorsitzenden der christdemokratischen EVP-Fraktion darf bei der Abstimmung über Ceta auch die Politik des neuen US-Präsidenten nicht vergessen werden. „Das ganz große Bild ist, dass wir Donald Trump haben“, sagte Manfred Weber. „Trump hat TTIP (das geplante Freihandelsabkommen mit den USA) gekündigt.“