Als die EU Gegenmaßnahmen ankündigte, drohte Trump mit Strafzöllen auf Autos. Bis zu fünf Milliarden Euro könnte das die deutsche Wirtschaft kosten, befürchtet das Ifo-Institut. Was würde das für Deutschland bedeuten?
Das wäre ein ganz anderes Kaliber als Strafzölle auf Aluminium und Stahl. Zölle auf Autos beträfen die ganze Wertschöpfungskette in Europa und gingen sogar noch weit darüber hinaus. Ein Auto, das in Deutschland montiert wird, besteht zu 40 bis 50 Prozent aus Vorleistungen, die importiert werden. Sinken die Autoexporte, sinken auch die Vorleistungsimporte Deutschlands zum Beispiel aus vielen mittel- und osteuropäischen Ländern. Dies würde diese Länder härter treffen als das hoch entwickelte Deutschland und vielleicht dazu führen, dass sie ihre vergleichsweise amerikafreundliche Haltung überdenken. Allerdings hat Trump gerade im Automobilbereich ein gutes Argument auf seiner Seite.
Welches?
Wir Europäer erheben Zölle auf Autoimporte von zehn Prozent. Die stammen noch aus den frühen Neunzigern und wurden beschlossen während der Uruguay-Runde, der achten Welthandelsrunde. Einzelne EU-Partner wie Frankreich, Italien, Spanien oder Portugal hatten Importkontingente, um sich vor dem Import japanischer Autos zu schützen. Diese Kontingente sollten allmählich abgeschafft werden, da sie ja unvereinbar mit dem europäischen Binnenmarkt waren. Also haben die Europäer während der Übergangszeit im Rahmen der Uruguay-Runde Zölle von zehn Prozent durchgesetzt, die sich de facto nur gegen Japan richteten.
Die EU täte gut daran, einseitig diese Zölle zu senken. Das wäre in unserem eigenen Interesse, denn unsere Produktionen sind montagelastig, das heißt, die Vorleistungen sind nur niedrig bezollt, die Endprodukte dafür relativ hoch. Das schützt die letzte Stufe der Verarbeitung. Im Zuge des Strukturwandels in den Autoindustrien weltweit hin zum Elektroauto ist das für die EU eine Hypothek, weil Elektroautos nicht so montageintensiv sind wie herkömmliche Autos.
Wie die EU auf die neuen US-Zölle reagieren könnte
Die US-Regierung macht ihre Drohungen ernst und verhängt ab Freitagmorgen neue Zölle auf Stahl- und Aluminiumlieferungen aus der Europäischen Union. Seit Beginn des Streits im März bereitet die EU-Kommission, die die Handelspolitik im Namen aller 28 Staaten leitet, den Ernstfall vor. Die Pläne werden nun Realität:
Die Kommission will am 1. Juni bei der WTO gegen die US-Maßnahmen klagen. Der Schritt ist bereits mit den Mitgliedsstaaten abgestimmt. Die WTO entscheidet bei Handelskonflikten zwischen ihren Mitgliedern. Allerdings können bis zu einem Urteil drei Jahre ins Land gehen. Die Erfolgsaussichten sind zudem unklar, da US-Präsident Donald Trump argumentiert, die Zölle dienten der nationalen Sicherheit seines Landes. Damit hätte die Genfer Organisation kaum Befugnisse. Die Kommission widerspricht der Argumentation. Zudem läuft die WTO Gefahr, bald nicht mehr entscheidungsfähig zu sein. Die USA blockieren nämlich die Neuberufung von Richtern für die Revisionsinstanz.
Gleichzeitig hat die EU eine Reihe von Gegenschlägen in der Schublade. Dazu gehören Zölle auf ur-amerikanische Produkte wie Whiskey, Motorräder oder Jeans. Die Strafabgaben im Volumen von 2,8 Milliarden Euro wurden bei der WTO angemeldet und können ab dem 20. Juni fällig werden. In einer zweiten Stufe können ab 2021 weitere US-Waren im Wert von 3,6 Milliarden Euro von Abgaben getroffen werden. Damit nimmt Brüssel insgesamt US-Waren im Wert von 6,4 Milliarden Euro ins Visier - genau der Zollwert, mit dem Washington nun Stahl und Aluminium aus Europa belegt.
Zudem will die Brüsseler Behörde europäische Stahlhütten vor Dumping-Einfuhren schützen. Die Furcht dahinter ist, dass Stahl, der in den USA wegen der nun höheren Preise keine Abnehmer mehr findet, früher oder später in Europa landet. Die Kommission untersucht seit Ende März den Markt und kann bis Ende des Jahres Schutzmaßnahmen verhängen.
Quelle: Reuters
Stattdessen verhängt die EU in Reaktion auf Trumps Strafzölle ihrerseits Strafzölle auf Orangensaft, Whiskey und Motorrädern von Harley-Davidson gegen die USA. Ist das aus Ihrer Sicht zielführend?
Das ist eine typische Vergeltungsmaßnahme, zielführend ist das nicht. Das ist lediglich Symbolpolitik. Mit der Produktauswahl will man natürlich Trumps Wähler in den betreffenden Bundesstaaten wirtschaftlich treffen.
Glauben Sie nicht, dass das hilft?
Ich schätze, wir erreichen damit das Gegenteil dessen, was wir wollen. Es wird zu einer Trotzreaktion des US-Präsidenten kommen – vielleicht sogar zu Strafzöllen auf Fahrzeuge. Auch seine Wählerschaft dürfte sich dann eher mit ihm gegen die EU solidarisieren, als nachzugeben.
Als Reaktion auf Trumps Angriffe treibt die restliche Welt den freien Handel voran – allerdings zunehmend auf Basis bilateraler Abkommen. Davon profitieren vor allem starke Volkswirtschaften. Sehen Sie darin ein Problem?
Die Idee des Multilateralismus stammt aus den Vierzigern und Fünfzigern und wird schon lange nicht mehr beherzigt. Wir haben mittlerweile mehr als 500 bei der WTO notifizierte bilaterale Abkommen und sie verstoßen streng genommen allesamt gegen den Artikel 24 des GATT, der diese Abkommen unter strengen Auflagen als Ausnahme akzeptiert. Viele dieser Abkommen haben Schwellen- und Entwicklungsländer geschlossen. Aber auch strategisch große Abkommen – TTIP hätte ein solches werden können – bestimmen mehr und mehr den Welthandel. Die Gründung der EWG war auch nichts anderes als eine Verletzung der GATT-Regularien. Allerdings überprüft das niemand – und damit zerfällt der Multilateralismus. Letztlich ist der Bilateralismus genau im Sinne Trumps.
Weil der Multilateralismus gerade die schwächeren Wirtschaften schützt?
Genau, Trump möchte immer direkt mit schwächeren Partnern verhandeln, weil er dann seine Deals durchsetzen kann. Gerade Mechanismen wie die WTO-Streitschlichtung haben kleineren Volkswirtschaften gegen solche Übervorteilungen geschützt, zumindest teilweise. Die Regeldisziplin lässt immer weiter nach, darüber bin ich in großer Sorge. Je mehr bilaterale Abkommen mit überlappenden Mitgliedschaften abgeschlossen werden, desto komplizierter und verworrener werden auch die Regeln. Der berühmte Ökonom Jagdish Bhagwati hat dafür das Bild der „Spaghetti-Schüssel“ geprägt. Für Unternehmen und Länder bedeutet das einen gigantischen Bürokratieaufwand – und damit verbunden große Kosten. Eine Besserung ist aktuell nicht in Sicht, ganz im Gegenteil.