Hans-Peter Keitel "Griechenland fehlt es am Willen"

BDI-Präsident Hans-Peter Keitel fordert mehr Anstrengungen von Athen und sieht im Austritt Griechenlands aus dem Euro keine Bedrohung mehr. Auch von Deutschland erwartet Keitel mehr Spar- und Reformanstrengungen.

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Hans-Peter Keitel Quelle: Dieter Mayr für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Keitel, Deutschland wird als Viertes Reich beschimpft, die Bundeskanzlerin als Nazi verunglimpft. Spaltet die Schuldenkrise wieder Europa?

Keitel: Darüber ist die deutsche Wirtschaft entsetzt. Manche Beleidigung ist ungeheuerlich. Darin stimmen wir übrigens mit unseren europäischen Partnern überein. Wir dürfen Europa nicht den Populisten als Beute überlassen.

Was empfehlen Sie gegen üble Tiraden?

Wir sollten gelassen reagieren. Im Sport wird auch gern zur emotionalen Keule mit grenzwertigen Formulierungen gegriffen. Wichtiger ist, dass die Politiker die Krise bald in den Griff bekommen.

Sehen Sie Fortschritte in der Euro-Krise?

Eindeutig. Die europäische Staatengemeinschaft sollte mit mehr Selbstbewusstsein auf ihre bisherigen Entscheidungen sehen. Wir erleben eine allmähliche Trendumkehr in der Schuldenpolitik, die bisher zum unbeschwerten Alltag vieler Regierungen gehört hat. Die Defizite in den Staatshaushalten haben sich verbessert, etwa in Italien, Spanien oder Irland. Die Lohnstückkosten sinken, und zusammen mit zahlreichen Strukturreformen gewinnen die meisten Krisenländer ganz langsam an Wettbewerbsfähigkeit – trotz Rezession.

Und trotzdem drängen die Regierungen in Rom und Madrid auf eine Lockerung der Konsolidierungspolitik.

Ich verstehe Italien und Spanien hier wirklich nicht. Beide Länder müssten ihre Erfolge und Strategien offensiv vermarkten, anstatt ständig nach Hilfestellung zu rufen.

Die Finanzmärkte sehen das anders. Die Zinsen für dortige Staatsanleihen sind um ein Vielfaches höher als für deutsche.

Eben weil sich beide Länder unter Wert verkaufen! Aber lassen Sie die Kirche im Dorf. Die italienischen Zinsen liegen aktuell im Schnitt bei 4,5 Prozent. Das ist viel weniger als zu Lira-Zeiten. Es war eher ungewöhnlich, dass die Zinsen in den einzelnen Euro-Mitgliedstaaten jahrelang nahezu identisch waren. Ich wäre jedenfalls froh, wenn wir in der Debatte zu mehr Sachlichkeit und Ruhe kommen könnten.

Wo die Schuldenländer schon Erfolge erzielen
Griechenland: Die Lohnstückkosten sinkenStillstand in Griechenland? Nicht ganz. Bei der Sanierung der Staatsfinanzen hat Athen durchaus Erfolge vorzuweisen: Um sechs Prozentpunkte vom Bruttoinlandsprodukt wurde das Haushaltssaldo in nur zwei Jahren verbessert. Eine solche Konsolidierungsleistung hat kein anderes Euro-Land geschafft. Und im ersten Halbjahr liegt Griechenland beim Defizitabbau sogar vor dem Plan. Auch dem Ziel, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, kommt das Land näher: Die Lohnstückkosten sind seit 2009 rückläufig. Aber bei den Strukturreformen, die für eine international konkurrenzfähige Wirtschaft zumindest ebenso bedeutend sind, bleibt noch viel zu tun.
Zwar hat das griechische Parlament seit 2010 Dutzende von Reformgesetzen verabschiedet. Aber es hapert bei der Umsetzung, weil die zuständigen Ministerien die notwendigen Durchführungsbestimmungen schuldig bleiben. Das geschieht weniger aus Nachlässigkeit als gezielt, um die Reformen zu hintertreiben. Denn die Politiker scheuen immer noch die Konfrontation mit den Kartellen, Gewerkschaften und Zünften, die sich gegen eine Deregulierung der Wirtschaft sträuben, weil sie sich dann dem Wettbewerb stellen müssten. Ein Beispiel: Die Öffnung der "geschlossenen Berufe", Hunderter Tätigkeiten, deren Ausübung strikt reglementiert ist, wie der Rechtsanwaltsberuf. Weil die Anwälte im Parlament stark vertreten sind konnten sie die Liberalisierung für ihren Berufsstand bisher verhindern. Manche Reformen ist Griechenland seit über einem Jahr schuldig geblieben. Die Wahlen vom Frühsommer haben das Land weiter in Verzug gebracht. Umso energischer drängen jetzt die Delegationschefs der Troika in Athen darauf, bei den Reformen endlich Gas zu geben.Text: Gerd Höhler, Athen
Italien: Die Erfolge sind sichtbarDie Technokraten-Regierung von Mario Monti hat in Italien innerhalb von neun Monaten mehr Reformen durchgesetzt als Silvio Berlusconi in allen seinen Legislaturperioden zusammen. Gleich nach seinem Amtsantritt im November hatte Monti noch vor Weihnachten das Maßnahmenpaket "Salva Italia" (Rette Italien) durchgepaukt, das jährlich Mehreinnahmen von 26 Milliarden Euro bringen soll. Zudem beschloss das Kabinett innerhalb kürzester Zeit eine Rentenreform, die das früher sehr großzügig ausgestaltete Rentensystem für die kommenden Jahrzehnte auf sichere Beine stellen soll. Es folgten zaghafte Liberalisierungen einiger Berufsstände und schließlich die große Arbeitsmarktreform im Frühsommer: Sie setzt auf mehr Flexibilität bei Einstellungen, ermöglicht aber auch ein leichteres Kündigen.
In Italien, wo die Arbeitslosigkeit im Juni mit 10,8 Prozent auf ein neues Rekordhoch seit 2004 stieg, ist der Arbeitsmarkt bislang zweigeteilt: Während sich ältere Angestellte meist über fast unkündbare Arbeitsverhältnisse freuen können, hangeln sich viele junge Menschen oft von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Diese befristeten Verträge liefen in der Krise einfach aus. Diese Zweiteilung soll durch die Reform überwunden werden. Um die ausufernden Staatsausgaben zu drosseln, hat Monti (rechts) eigens den Parmalat-Sanierer Enrico Bondi als Spar-Kommissar an Bord geholt. Er sollte alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Das Ergebnis: 26 Milliarden Euro sollen innerhalb von drei Jahren eingespart werden. Die Ausgabenkürzungen sind wichtig, da die Regierung nicht ohne Grund in der Kritik steht, bisher vor allem durch Steuererhöhungen den Haushalt saniert zu haben.Text: Katharina Kort, Mailand Quelle: dpa
Portugal: Auf dem rechten WegPortugal macht alles richtig - aber die Euro-Schuldenkrise und die Abhängigkeit von Spanien bergen weiter Risiken. So begründete die Ratingagentur Standard & Poor's den negativen Ausblick für das Land. Ähnlich war der Tenor im Juli bei der vierten Überprüfung des Kreditprogramms durch die Troika. Die portugiesische Regierung unter Premier Pedro Passos Coelho hat in einem Jahr enorm viel erreicht. Steigende Exporte und fallende Einfuhren brachten das Handelsdefizit fast ins Gleichgewicht, das Haushaltsdefizit schrumpfte von fast zehn auf 4,2 Prozent Ende 2011. Auch 2012 sei ein Defizit von 4,5 Prozent machbar, meint die Troika.
Die Arbeitsgesetzgebung wurde reformiert, Arbeitszeit und Löhne wurden flexibilisiert, die Kündigungskosten gesenkt. Nun soll die Regierung auf Geheiß der Troika eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge prüfen, um die Beschäftigung zu beleben. Bis September muss Premier Passos Coelho (im Bild zu sehen) zudem die Lohnverhandlungen weiter flexibilisieren. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde teilweise umgesetzt, ein neues Wettbewerbsrecht verabschiedet, diverse Berufe wurden liberalisiert. Der Mietmarkt mit extrem niedrigen fixen Mieten und entsprechend verfallenen Gebäuden wurde dereguliert, eine Reform des teuren, trägen Rechtssystems ist angeschoben. "Wir glauben, dass all diese mikroökonomischen Reformen dazu beitragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Produktivität statt durch sinkende Löhne verbessert wird", urteilt S&P. Immerhin lag der durchschnittliche Stundenlohn in Portugal mit 12,10 Euro Ende 2011 bereits 41 Prozent unter Spanien.Text: Anne Grüttner, Madrid
Spanien: Das Sparpaket ausgeweitetSpaniens Premier Mariano Rajoy gönnt sich derzeit ein paar Tage Urlaub in seiner Heimat Galizien. Kurz zuvor brach er ein bis dahin geltendes Tabu. Auf die stets eisern verneinte Frage, ob er den EU-Rettungsfonds in irgendeiner Weise anzuzapfen gedenke, antwortete Rajoy nun: "Ich habe keine Entscheidung getroffen, ich werde tun, was im allgemeinen und im spanischen Interesse ist." Er wolle zunächst alle Bedingungen kennen. Rajoy gab damit den Ball an EZB-Chef Mario Draghi zurück, der klargemacht hatte, die bedrängten Südländer müssten zunächst die Anleihekäufe des EFSF aktivieren, bevor die EZB den Rettungsfonds mit eigenen Maßnahmen unterstützen könne.

Sehen Sie aber für Griechenland noch Chancen?

Griechenland ist ein Sonderfall. Dem Land fehlt es an substanziellen Voraussetzungen, angefangen von einer funktionierenden Verwaltung bis zum ausdrücklichen Willen, sich selbst aus der Krise befreien zu wollen. Dabei hat Griechenland viele ausgesprochen reiche Bürger und Unternehmen. Sie müssten als Patrioten ihrer Heimat beim Wiederaufbau helfen, im Land investieren und dort Steuern zahlen.

Was aber die wenigsten tun. Soll das restliche Europa ein solches Griechenland weiterhin mit Milliarden alimentieren?

Die Griechen müssen sich in den nächsten beiden Monaten entscheiden. Wollen sie zu den vereinbarten Bedingungen im Euro-Raum bleiben? Falls ja, müssen sie endlich die Auflagen für die Hilfen von EU und Internationalem Währungsfonds erfüllen. Ich könnte mir dann auch eine Art Sonderwirtschaftszone für Griechenland vorstellen, für zehn Jahre, mit Steueranreizen und ohne hinderliche Bürokratie, um dort attraktive Bedingungen für Wirtschaftsansiedlungen aus dem Ausland zu schaffen.

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