Herfried Münkler "Wir sind die Gegenstimme des Leichtsinns"

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Bescheidenheit und Disziplin

Büsten des Preußenkönigs Friedrich II. Quelle: dpa

Insofern wäre das Dienstbekenntnis heute schon eine Leistung für sich?

Absolut. Es ist nicht selbstverständlich in einem Land, das politische Selbstdarsteller hofiert, mit Aussicht auf Erfolg seine Dienstbereitschaft zu kultivieren. So protestantisch sind wir ja alle nicht mehr, dass wir an Selbstheiligung durch Demut glauben.

Nicht an Heiligung, vielleicht aber an Heilung. Verheißt uns die Berufung auf „preußische Tugenden“ in diesen Monaten nicht auch die Rückkehr in eine Zeit, als Freiheit noch mit Verantwortung zu tun hatte und die Begleichung von Schulden noch Ehrensache war?

Doch, doch, bestimmt. Preußen kehrt als eine Art Gegenmittel in die konsumistische Gesellschaft zurück. Es wird lebendig, um den Leichtsinn der kapitalistischen Gesellschaft zu domestizieren. So wie Max Weber „Sparsamkeit“ und „Askese“ als Korrektiv für die Funktionsfähigkeit des Kapitalismus identifiziert hat , ist „Preußen“ als verinnerlichte Form von Bescheidenheit und Disziplin gewissermaßen die Voraussetzung dafür, dass die „kreative Zerstörung“ des Kapitalismus, wie Joseph Schumpeter das genannt hat, nicht zu dessen Selbstzerstörung führt.

Diese positive Konnotation Preußens im Wirtschaftsleben ist nicht neu. Wir achten die Japaner als „Preußen“ Asiens – und schätzen die Piemontesen als „Preußen“ Italiens.

Wobei es jetzt höchste Zeit wird, daran zu erinnern, dass wir hier von einem „Preußen“ in Anführungsstrichen sprechen, von „Preußen“ als einer abgezogenen Idee. Das Preußen, das es mal als Staat gab, ist verdampft zu einer wirtschaftspolitischen Formel der Mäßigung. Es erzählt als Kontrastbild zur Hegemonie einer spielerisch gewordenen, nicht mehr nationalstaatlich einzuhegenden Wirtschaftsordnung von Fleiß und Schweiß, von Ordnung, Ehre und Verdienst. Insofern muss man, um genau zu sein, von einem Schwächetriumph „Preußens“ sprechen.

Politisch wirksam wird Preußen demnach nicht nur als Idee, sondern auch als Ideal. Lässt sich die ambivalente Figur Friedrichs des Großen in dieses Ideal hinein integrieren? Der frühe Friedrich, der vom Vater als Schöngeist und Weichling verhöhnt wird? Der mittlere Friedrich, der als Feldherr über Leichen geht? Oder der späte Friedrich, der verschrobene Landesvater?

So wie wir bei Preußen heute das Militärische herausschneiden, so schneiden wir bei Friedrich den Feldherren heraus. Und so wie wir den jungen Friedrich schätzen, das leichtsinnige Genie, und den gichtgeplagten Alten, den paternalistischen Aufklärer, so ist „Preußen“ heute vor allem lebendig als Idee von einem Staat, dessen Stärke darin besteht, nicht borniert zu sein. Preußen war immer attraktiv für Menschen, die man heute ausländische Fachkräfte nennen würde. Es bot den Hugenotten eine Zuflucht vor religiöser Repression und lud die Niederländer ein, um sumpfige Gebiete trockenzulegen.

Preußen in Anführungsstrichen meint aber auch, dass man nie zu genau hinschauen darf: Die Sparsamkeit der Preußen zum Beispiel ist ein Mythos – die Finanzpolitik Friedrichs zeichnet sich durch Münzverschlechterung, also Inflationierung aus.

Natürlich. Es gehört zum Mythos, dass er auf die historische Analyse verzichtet. Der Mythos fragt nicht nach Wahrheit, sondern nach Bedeutung.

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