Herfried Münkler "Wir sind die Gegenstimme des Leichtsinns"

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Das preußische Erbe

Reiterstandbild von Friedrich dem Grossen Quelle: dapd

Der Philosoph hat Friedrich als autoritären Aufklärer gefeiert: Nur wer ein starkes Heer zur Hand habe, könne es sich leisten, in so hohem Maße wie der Monarch die Freiheit des öffentlichen Räsonnements einzuräumen – bis sich zuletzt das freie Denken auf die Grundsätze der Regierung erstrecken werde.

Kant hat Friedrich zu schätzen gewusst –was für Friedrich die Strenge des Handelns war, war für Kant die Strenge des Denkens – eine Strenge, die uns bis heute prägt und zu eigen ist. Kant ist preußische Disziplin im Feld des Denkens. Die Kantschen Fragen – Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? – sind die Gebrauchsanleitung für die deutsche Politik innerhalb Europas, wenn sie Disziplin durchsetzen, also borussisch sein will – ohne sich angreifbar zu machen durch vorlautes Gehabe.

Auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) hat das gute Borussia gepflegt: In seinem Arbeitszimmer ließ er sich von Kant, dem Philosophen des Pflichtgefühls, und von Lessing, dem Dichter der Toleranz, über die Schulter blicken.

Die Bundesrepublik hat den Besatz des Reiterstandbilds Friedrichs Unter den Linden in Berlin umgekehrt. Beim Denkmal von Christian Daniel Rauch sind zu Füßen des großen Königs vor allem die Generäle versammelt – während sich die Philosophen, mit Verlaub: unterm Pferdearsch befinden. Heute sind die Generäle fast unsichtbar geworden – und die Philosophen sind nach vorne getreten.

Kann Frankreich damit umgehen? Seine relative wirtschaftliche Schwäche einsehen – und Deutschland trotzdem mögen? Ein Deutschland noch dazu, dass sich am Ende auch noch moralisch überlegen wähnt?

Gute Frage. Schon die alte Bundesrepublik war ökonomisch leistungsfähiger als das damalige Frankreich. Aber damals war der Krieg noch ein belastendes Thema – und der Zwang der deutschen Politik groß, sich hinter den Franzosen zu verstecken. Das ist heute nicht mehr in diesem Maße der Fall – und das spüren die Franzosen natürlich. Für Angela Merkel gilt die alte Staatsräson der Bundesrepublik nur noch bedingt. Sie lautete: „Wenn Deutschland eine politische Initiative startet, dann muss es Frankreich so lange von ihr überzeugen, bis es zuletzt der Überzeugung ist, es handle sich um seine Initiative.“ Anders gesagt: Vor zehn, zwanzig Jahren musste niemand in Frankreich zugeben, dass Deutschland zuweilen Recht hat. Heute schon.

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