WirtschaftsWoche: Herr Professor Münkler, Frankreich hat in diesen Tagen den 600. Geburtstag von Jeanne d‘Arc gefeiert – und Präsident Nicolas Sarkozy hat nicht gezögert, sich als erster Gratulant der Jungfrau seiner „Grande Nation“ zur Wiederwahl zu empfehlen. In dieser Woche nun feiert Deutschland den 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen. Taugt der „Alte Fritz“ der Kanzlerin und uns Deutschen als nationale Erinnerungsfigur?
Herfried Münkler: Kommt drauf an, auf welche Formen der Erinnerung wir uns einlassen – und wie positiv wir diese Erinnerungen bewerten. Auch die Franzosen hatten mit ihrer Jeanne ja nicht immer nur Glück: Sie stand lange für das katholische, königstreue Frankreich im Gegensatz zum republikanischen, das den Sturm auf die Bastille in den Mittelpunkt stellte. Dieser Mythos der inneren Spaltung Frankreichs ragte bis in die Zeit des Vichy-Regimes hinein. Es war die Klugheit von General Charles de Gaulle nach dem Zweiten Weltkrieg, dass er beide Traditionsstränge aufnahm und sagte: Als Lothringer komme ich aus demselben Land wie das Bauernmädchen Jeanne, aber zugleich bin ich ein Republikaner, der die revolutionäre Tradition Frankreichs hochhält.
Auch Friedrich der Große personifiziert einen Spaltungsmythos,…
… und auch den kann man überwinden. Als Friedrich 1757 die Reichsarmee bei Roßbach schlägt, ist das auch ein Triumph Preußens über große Teile von West- und Süddeutschland. Meine hessische Heimatstadt Friedberg befand sich damals auf der „anderen Seite“: Im dortigen Rathaussaal hängt immer noch das Bild der Habsburgerin Maria Theresia von Österreich. Aber Thomas Mann hat in seinem Essay „Friedrich und die große Koalition“ den Preußenkönig mit Deutschland im Ersten Weltkrieg identifiziert.
Ist Preußen auch heute noch anschlussfähig? Taugt Friedrich als Figur, mit der man politisch wuchern kann?
Friedrich taugt nicht mehr als Kriegsheld, als der er im Dritten Reich verehrt wurde. Aber als aufgeklärter Herrscher und Peuplierer des Landes, als Modernisierer der Verwaltung, als Inbegriff der Nichtkorrumpierbarkeit und vor allem als „erste Diener seines Staates“ ist er gewiss anschlussfähig.
Sie spielen auf Friedrichs Beflissenheit und Bescheidenheit an?
Der „Alte Fritz“ war bis zur Selbstvernachlässigung bescheiden, hat selten seinen Rock gewechselt, sich nicht um Schnupftabakflecken auf seiner Weste geschert. Kein Glanzbedürfnis, kein Luxus, kein Urlaub vom Staatsgeschäft und auch kein zinsgünstiges Eigenheim… – ich würde schon sagen, dass dieser Friedrich hochaktuell ist. Das Neue Palais, das er in Potsdam bauen ließ, diente ihm als Beweis, dass nicht er, sondern Preußen sich nach dem Siebenjährigen Krieg noch was leisten konnte.