Doch was sich zunächst anhörte wie eine unglaubliche Geschichte brachte Gutmann auf eine Spur. Sie führte ihn zu der Internetseite dormantaccounts.ch. Die Seite hatte die Schweizerische Bankiervereinigung Mitte Dezember freigeschaltet. Über die Plattform wollen Schweizer Banken die Besitzer und Erben herrenloser Konten finden. Es geht um Menschen, die sich seit 1955 oder länger nicht mehr bei ihrer Bank gemeldet haben. Dass der eigentliche Kunde noch lebt, ist daher unwahrscheinlich. Vor allem Erben wie Gutmann können die Internetseite daher nutzen, um nach dem verschollenen Geld ihrer Vorfahren zu suchen.
Die Schweizer nennen solche Gelder nachrichtenlose Vermögen. 3500 Namen haben die Banken bislang im Internet publiziert - und jedes Jahr kommen nun neue hinzu. Hinter den Kunden stehen Aktien, Tagesgelder oder gar Goldbarren -, denn die Banken haben auch den Kontakt zu Kunden verloren, die Schließfächer gemietet haben. Derzeit sind unter den publizierten Namen auch 80 solcher Safes. Die Schweizerische Bankiervereinigung taxiert die insgesamt hinter den Kunden stehenden Vermögenswerte auf über 60 Millionen Franken - im Schnitt mehr als 17.100 Franken pro Kunde.
Bedenkt man, dass das Geld seit mindestens 60 Jahren in der Schweiz liegt, können dank Zinseszinseffekt selbst aus wenigen tausend Franken märchenhafte Summen geworden sein. Gute Aussichten für Gutmann.
Der 70-Jährige aus der Kleinstadt Haslach im Kinzigtal bei Freiburg ist Anfang 2016 gemeinsam mit der WirtschaftsWoche auf Schatzsuche gegangen. Die freundlichen Menschen, die ihm sonst helfen wollten, ließ er links liegen. Denn gerade Erbenermittler, die sich in solchen Fällen gerne melden, kassieren für ihre Hilfe empfindliche Prozentsätze des Erbes ab. Darauf hatte Gutmann keine Lust. Zumal der erste Hinweis auf einen möglichen Schatz sich schnell finden ließ - auf der Seite von dormantaccounts, was so viel wie schlafende Konten heißt, stand der Name der ihm wohlbekannten Elisabeth Aiple aus Haslach.
Elisabeth Aiple, erzählt Gutmann, war die Schwester von Johanna Aiple. Beide Schwestern sind schon vor Jahren verstorben. Elisabeth starb zuerst – und vermachte ihrer Schwester Johanna ihr gesamtes Vermögen. Gutmann ist als Großcousin nicht nur einer der Erben, sondern er verwaltet für die Erbengemeinschaft Johanna Aiple den Nachlass. Er ist von den 15 übrigen Erben bevollmächtigt worden, den Nachlass abzuwickeln und zu verteilen. Eigentlich dachte Gutmann schon vor Jahren, dass sein Job beendet sei. Ein Vermögen in der Schweiz war den Erben bislang unbekannt. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, sagt Gutmann.
Für den 70-Jährigen ging also die Schatzsuche los. Für ihn hieß das vor allem: Papierkram erledigen. Denn Auskunft bekommt nur, wer nachweisen kann, dass er der rechtmäßige Eigentümer des Vermögens ist.
Unendlich Zeit blieb Gutmann nicht: Sobald ein Name auf der Plattform veröffentlicht ist, tickt die Uhr. Meldet sich nach der Publikation der Namen nach einer Frist, die je nach dem Jahr des letzten Kundenkontaktes ein bis fünf Jahre beträgt, niemand bei der Bank, fließt das Geld in die Schweizer Staatskasse.
Gutmann wusste dank der Internetseite zunächst nur, dass bei irgendeiner Bank noch Vermögen war -, wo, war aber unklar. Auch wie viel Vermögen noch vorhanden war, stand nicht auf der Internetseite. Nur eins war sicher: Der Wert des Vermögens sollte über 500 Franken liegen, denn sonst würde der Name gar nicht erst veröffentlicht – das Geld solcher Kleinstkonten fließt direkt an den Staat.
Auf der Seite von dormantaccounts steht, dass Gutmann einen Antrag stellen müsse, „der an die betreffende Bank weitergeleitet wird“. Der Antrag muss auf der Onlineseite eingereicht werden. Dort laden Suchende Dokumente hoch oder lassen dies von einem Bevollmächtigten machen. Folgende Dokumente können Erben bei der Bank legitimieren: Erbschein, Todesschein, Familienbuch, Geburtsschein, Heiratsurkunde, Ausweis des Kontoinhabers, Wohnsitzbescheinigung des Kontoinhabers oder alte Kontounterlagen.