Finnland will ein drittes Hilfspaket für Griechenland genehmigen. Der zuständige Parlamentsausschuss gab dem finnischen Finanzminister Alexander Stubb dafür am Donnerstag grünes Licht. „Es ist ein starkes Mandat“, sagte Stubb nach der Entscheidung vor Journalisten. Von 25 Mitgliedern des sogenannten Grand Committee hatten zuvor 18 für das neue Paket gestimmt und vier dagegen. Dazu gab es eine Enthaltung, zwei Mitglieder waren nicht zur Abstimmung erschienen. Finnland gehört zu den größten Kritikern der Finanzhilfen an Griechenland. Der rechtspopulistische Außenminister Timo Soini setzt sich seit langem für einen Austritt der Griechen aus der Eurozone ein.
Derweil scheint es von Seiten der europäischen Institutionen ernsthafte Bedenken geben hinsichtlich der Fähigkeit Griechenlands, seine Schulden zurückzuzahlen. Dies geht aus Dokumenten hervor, die Bloomberg und der Deutschen-Presse-Agentur vorliegen.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Laut Basisszenario wird die griechische Verschuldung im kommenden Jahr mit 201 Prozent des Bruttosozialprodukts ihren Höhepunkt erreichen, um bis 2022 auf 160 Prozent zu sinken.
Der Internationale Währungsfonds hat in der Vergangenheit einen Schuldenstand in Richtung 120 Prozent für eigene Hilfen vorausgesetzt. Bei den Verhandlungen über das dritte Hilfsprogramm für Griechenland hat der IWF mit der Forderung nach einem weiteren Schuldenerlass bei Deutschland für Verärgerung gesorgt.
Die europäischen Schätzungen deuten den Dokumenten zufolge zwar auf ernste Bedenken zur Tragfähigkeit der griechischen Schulden hin. Das Problem könne jedoch ohne einen nominalen Schuldenschnitt gelöst werden, hieß es.
Die Schuldenlast Griechenlands ist eines der schwierigsten Themen beim Treffen der Finanzminister am Freitag in Brüssel, wenn es um das neue, rund 85 Mrd. Euro schwere Hilfsprogramm für Griechenland geht.
Vom Pressebüro der Europäischen Kommission war auf Anfrage unmittelbar keine Stellungnahme zu der Studie zu erhalten.
Aber laut der Schuldentragfähigkeitsanalyse könnte das neue Hilfsprogramm dennoch beschlossen werden. „Eine angemessene Kombination aus Laufzeitverlängerungen und tilgungsfreien Zeiten für Kapital und Zinsen würde es möglich machen, Griechenlands Schulden in Bezug auf den Bruttofinanzierungsbedarf auf ein tragfähiges Niveau zu bringen - ohne klassischen „Haircut“ (Schuldenschnitt)“, heißt es in dem Papier für die Sondersitzung der Finanzminister der Euro-Staaten an diesem Freitag in Brüssel.
Griechenland-Rettung ohne Schuldenschnitt geplant
Griechenland soll mit einem riesigen Hilfspaket und ohne einen Schuldenschnitt wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen. Das auf drei Jahre angelegte Rettungsprogramm soll einen Umfang von 91,7 Milliarden Euro haben, einschließlich Erlösen aus dem Verkauf von Staatsvermögen, wie Reuters am Donnerstag erfuhr. In einer ersten Rate sollen noch im August 23 Milliarden Euro nach Athen fließen. Mit den neuen Darlehen steigt der Schuldenberg des Landes 2016 auf einen Rekord von 201 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Damit es nicht daran erstickt, sind punktuell Schuldenerleichterungen vorgesehen. In der Nacht wollte das Parlament in Athen über das im Gegenzug fällige Reformprogramm abstimmen - der radikal-linken Regierungspartei Syriza droht allerdings eine Spaltung, was Neuwahlen nötig machen könnte.
Mit dem frischen Geld des Euro-Rettungsfonds ESM könnte die Regierung eine Rückzahlung an die Europäische Zentralbank (EZB) von 3,2 Milliarden Euro leisten, die am 20. August fällig wird. Die akute Gefahr einer Staatspleite wäre damit vorerst gebannt. In einer Reuters vorliegenden Analyse äußern die von den Geldgebern beauftragten Institutionen allerdings Zweifel, ob das Land seine Schulden mit Zinsen auf Dauer verlässlich zurückzahlen kann. Deshalb sollen die Laufzeiten früherer Kredite gestreckt werden.
Entscheidende Hürde im griechischen Parlament
Eine Mitschuld an dem rasant gewachsenen Bedarf weisen die Institutionen der Regierung in Athen zu, die im Januar mit dem Versprechen angetreten war, den Spar- und Reformkurs zu beenden. Die Folge war eine drohende Staatspleite und vorübergehende Bankenschließungen. Dabei sah die Lage nach Angaben des Athener Statistikamtes bis zur Zuspitzung der Verhandlungen gar nicht so schlecht aus: Im zweiten Quartal wuchs die Wirtschaft um 0,8 Prozent. Experten zufolge liegt dies vor allem am Tourismus. Für das Gesamtjahr 2015 rechnen die Institutionen allerdings damit, dass die Wirtschaft um 2,3 Prozent schrumpft. Erst 2017 dürfte sie wieder um 2,7 Prozent wachsen.
Die Konjunkturschwäche und die neuen Darlehen führen zu einer weiteren Aufblähung des Schuldenberges: Er wird nach den Erwartungen der Geldgeber bis 2030 nur mäßig auf 143 Prozent des BIP schrumpfen. Beim letzten Hilfspaket hatte man noch eine Quote von unter 110 Prozent im Jahr 2022 angestrebt. Bisher hat sich allerdings noch keine solche Prognose seit 2010 erfüllt.
Eine erste entscheidende Hürde müssen die Pläne für das neue Hilfsprogramm im Parlament in Athen nehmen. Ministerpräsident Alexis Tsipras muss zwar erneut mit heftigem Widerstand aus den Reihen seiner Syriza-Partei rechnen. Der Flügel der Reformgegner um den Ex-Energieminister Panagiotis Lafazanis rief sogar zur Gründung einer neuen Bewegung auf, die gegen neue Programme kämpfen soll. Weil aber die bürgerliche Opposition Tsipras Unterstützung signalisiert hat, galt eine Parlamentsmehrheit als gesichert.
Am Freitag wollen sich dann die Euro-Finanzminister mit dem Hilfspaket befassen und letzte Hindernisse aus dem Weg räumen. Der deutsche Finanzstaatssekretär Jens Spahn nannte es im Deutschlandfunk vor allem wichtig, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) an Bord bleibe. Endgültig kann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Rettungsprogramm nur zustimmen, wenn ihn der Bundestag dazu ermächtigt. Hier zeichnet sich vor allem in der Unions-Fraktion Widerstand ab. Eine Sondersitzung könnte am kommenden Dienstag angesetzt werden.
Die Aussichten haben sich stark verschlechtert
In den Verhandlungen hatte die Bundesregierung unter anderem darauf gedrungen, zu Beginn des Programms eine möglichst kleine Rate nach Athen zu überweisern, um den Reformdruck aufrecht zu erhalten. Damit konnte sie sich offenbar durchsetzen. Insidern zufolge sollen im August 23,0 Milliarden Euro fließen, davon zehn Milliarden zur Rekapitalisierung angeschlagener Hellas-Banken. Zeitweise war von einer weitaus höheren Rate die Rede.
Bei der Beurteilung der Schuldentragfähigkeit des Landes zogen die Institutionen nicht nur die Schuldenhöhe gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung in Betracht. Sie analysierten auch den jährlichen Finanzbedarf. Gemessen daran kamen sie zu dem Urteil, dass dieses Kriterium geschafft werden könne, wenn ein glaubwürdiges und ehrgeiziges Reformprogramm verfolgt werde. Dann könnte eine "angemessene Kombination" von Verlängerungen laufender Kredite sowie tilgungs- und zinsfreier Zeiten helfen. Ein Schuldenschnitt wäre so nicht erforderlich. Damit die Rechnung aufgeht, müsse sich die Regierung in Athen allerdings voll hinter das neue Reformprogramm stellen