Dann kam es zu einer ganz seltsamen Geschichte: Die Griechen kidnappten einen gewissen Max Merten, der während des Krieges ein kleiner Verwaltungsoffizier im besetzten Saloniki war. Er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und unter ziemlich verrückten Umständen zu 130 Jahren Haft verurteilt – später dann auf 25 Jahre reduziert. Der Mann war eigentlich eine Geisel. Bonn hat nachgegeben und 200 Millionen Mark gezahlt, getarnt als Investitionskredit, um ihn freizukaufen. Dieses Geld wurde dafür verwendet, dass deutschen Firmen Griechenland elektrifizierten. Vorher gab es Strom nur in den Großstädten. Außerdem bekam Griechenland von Deutschland 115 Million Mark in bar, um Opfer von Nazi-Verbrechen zu entschädigen. Vor allem ging es um den Juden-Mord und Geiselerschießungen. Das war 1958. Ich weiß von einem damaligen deutschen Diplomaten, dass mindestens zwei Drittel der 115 Millionen Mark irgendwo im politischen Klientelsystem landeten und nicht bei den Opfern ankamen.
Die Wiedervereinigung kam dann 1990 doch noch. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag, der einen Friedensvertrag ersetzte, haben alle früheren Kriegsgegner Deutschlands auf Reparationen verzichtet. Griechenland auch?
Griechenland hat keinen Einspruch erhoben. Davon und von den genannten Demontage-Gütern und Reparationen – abgesehen von den 115 Millionen Mark - will man in Griechenland angeblich nichts wissen.
Athens Reparationsforderungen an Deutschland
Während des Zweiten Weltkriegs musste Griechenland den deutschen Besatzern netto umgerechnet 476 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellen. Die heutige griechische Regierung interpretiert das als "Zwangsanleihe", die heute noch rückzahlbar sei.
1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensvertrages“. Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ gegenstandslos. Die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - darunter Griechenland - stimmten 1990 der „Charta von Paris“ für eine neue friedliche Ordnung in Europa zu.
Nach Auffassung Berlins ergibt sich aus der Zustimmung zur „abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland“ in der Charta, dass die Reparationsfrage nicht mehr geregelt werden sollte. In Athen wird dagegen argumentiert, die Entschädigungsfrage sei ungeklärt, denn die Unterzeichner hätten den Vertrag nur zur Kenntnis genommen.
2003 wies der Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen eines SS-Massakers in Distomo von 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung und nahm eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.
Ein griechisches Gericht sprach 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstößt das Urteil aber gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Diesen Grundsatz hatten 2002 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit habe das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand der BGH.
In den vergangenen zwei Jahren haben Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank in Athen die Höhe der Reparationen aus griechischer Sicht berechnet. In einer Studie, die die griechische Sonntagszeitung „To Vima“ im März 2015 veröffentlicht hatte, wurden die Gesamtforderungen auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas nannte am 6. April dann in einer Rede vor dem Parlament nach einer ersten Auswertung des zuständigen Parlamentsausschusses eine Summe von 278,7 Milliarden Euro.
Deutschland vereinbarte zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädigungsabkommen mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag ist laut Bundesregierung festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen. 2014 wurde die Forderung nach Entschädigungen auch beim Athen-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck laut. Die Bundesregierung wies die Ansprüche zurück. Athens Forderungen seien geregelt, heißt es bis heute.
Und was ist mit der „Besatzungsanleihe“?
Die Vorstellung in Griechenland ist in etwa, dass sich das nationalsozialistische Deutschland bei Griechenland Geld lieh, um den Zweiten Weltkrieg zu finanzieren. Das ist Unsinn. Es handelt sich um keine „Anleihe“. In einem Bericht der Reichsbank von April 1945, erkennt man, dass es um eine Bilanz geht. Die deutschen Besatzer ließen Bunker und andere Militärbauten errichten, Griechenland hat die Löhne der Arbeiter vorgestreckt. Das sind die 376 Millionen Reichsmark, die heute im Raum stehen. Man muss aber auch die andere Seite der Bilanz betrachten. Während der Besatzungszeit herrschte eine irrsinnige Inflation in Griechenland. Die deutsche Reichsbank hat eine Million Goldpfund zur Verfügung gestellt – zwei Drittel Gold-Francs, ein Drittel Gold-Sovereigns. Die wurden in Athen spekulativ eingesetzt, um den Wert der Drachme zu stützen. Deutschland lieferte außerdem Waren und Lebensmittel im Wert von je 1,5 Millionen Goldpfund. Wenn man das umrechnet, kommt man zum Ergebnis, dass die Bilanz ausgeglichen war.
Das ist also das Ergebnis eines Dokuments aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Gibt es auch griechische Quellen?
Es gibt dafür eine Bestätigung in den Memoiren von Konstantinos Logothetopoulos, des zweiten Ministerpräsidenten der Kollaborationsregierung. Er beruft sich auf Daten des griechischen Staatsanwaltes im Prozess gegen ihn nach dem Krieg. Aber: Diese Memoiren sind in fast keiner griechischen Bibliothek vorhanden. Da wurde gesäubert. Ich habe das Buch aber und es auch neu aufgelegt. Ich werde sehr bald auch ein Buch über „Mythen und Legenden der griechischen Zeitgeschichte“ veröffentlichen.
Also haben die Griechen keine Ansprüche auf Reparationen?
Nein. Und Tsipras weiß das. Seine Vorgänger wussten das auch. Die Forderungen waren auch nie regierungsamtlich, sondern für die heimische Öffentlichkeit bestimmt. Deutschland dient als Sündenbock.
In Griechenland ist man ziemlich empfindlich, wenn es um die eigene Geschichte geht. Sie selbst wurden bereits vor einem griechischen Gericht angeklagt.
Ich hatte – angeblich – einen griechischen General beleidigt. Es ging um den Sechs-Wochen-Mythos. Demnach hat Hitler-Deutschland den Krieg verloren, weil die Griechen 1941 sechs Wochen so tapfer gekämpft hätten. Diese Wochen hätten den Deutschen dann im Herbst 1941 vor Moskau gefehlt. Das steht auch in manchen Schulbüchern, obwohl die internationale Forschung diesen Blödsinn längst widerlegt hat. Die 200 Divisionen des deutschen Ostheeres mussten nicht auf die zwei Divisionen warten, die auf Kreta kämpften. Aber der griechische General hatte das auf seiner Offiziersschule so gelernt und sorgte dafür, dass ich verklagt wurde. Die Anklage lautete, dass ich Nazi-Propaganda mache.